verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Die Hygieine des Mundes und des Rachens.
Viele glauben, die Nase sei zu nicht viel anderem da, als um uns mit den verschiedenen Düften und Gerüchen bekannt zu machen. Das ist allerdings eine, aber durchaus nicht die wichtigste Aufgabe der Nase. Viel wichtiger sind andere Bestimmungen im Haushalte unseres Körpers, denen sie zu dienen hat. Sie hat vor allem die Atmung zu regulieren. Dies geschieht einerseits dadurch, daß die Luft, die aus der für gewöhnlich weit unter der Temperatur unserer Eigenwärme stehenden Atmosphäre eingeatmet wird, während des Durchstreichens durch die Nasenhöhlengänge auf einen für die Zwecke des Organismus gerade brauchbaren Temperaturgrad erhöht, also vorgewärmt wird. Anderseits fällt der Nase die Aufgabe zu, die eingeatmete Luft von all den ihr anhängenden organischen und unorganischen Verunreinigungen zu säubern; die Nase filtriert die Luft. Außerdem wird in ihr die trockene atmosphärische Luft noch zu gleicher Zeit vollständig mit Wasserdampf gesättigt. Instinktiv paßt sich unsere Atmung der umgebenden Luft an: in freier reiner Bergesluft, im Walde atmen wir möglichst tief; in einer rauchig stinkenden Fabrikatmosphäre halten wir unwillkürlich unseren Atem an; unsere Nase schützt uns vor einer drohenden Erstickungsgefahr.
Nur eine gesunde Nase erfüllt diese für das Wohlbefinden durchaus unerläßlichen Bedingungen; ist sie aber erkrankt, dann ist der Leidende genötigt, durch den Mund zu atmen, und das ist ungemein schädlich, weil die eingeatmete Luft jetzt beinahe ohne Vorwärmung, ohne Filtration und nur mit sehr geringem Feuchtigkeitsgehalt unmittelbar in die Atemwege hineingebracht wird und so teils reizend, teils austrocknend, kurzum dahin wirkt, die Vorbedingungen zur leichten Erkrankung zu schaffen.
Ist aber einmal die Atemführung durch die Nase beeinträchtigt, so muß notwendig all das, was mit der Nase zusammenhängt, ebenfalls eine Einbuße in der Ausübung seiner Funktion erleiden, und hierher gehört in erster Linie das Ohr. Das Ohr, besonders aber die Paukenhöhle, welche die für das Hören so wichtigen drei Gehörknöchelchen, Hammer, Amboß und Steigbügel, enthält und die nach außen, gegen den Gehörgang zu, durch das Trommelfell abgeschlossen ist, steht durch die Eustachische Röhre in direkter Verbindung mit dem Nasenrachenraum; ein normales Funktionieren dieses Abschnittes ist daher für ein gutes Gehör Grundbedingung. Die Funktion dieser Röhre besteht aber in einer von Zeit zu Zeit, während eines der immer unwillkürlich sich wiederholenden Schluckakte, eintretenden Lufterneuerung; durch sie wird das Trommelfell und die Gehörknöchelchenkette in der für das normale Hören notwendigen Stellung und Spannung erhalten.
Es liegt daher auf der Hand, daß bei einem so innigen anatomischen und physiologischen Zusammenhange Störungen des Nasenrachenabschnittes einen üblen Einfluß auf das Ohr nehmen müssen. Vor allem sind es die katarrhalischen Erkrankungen, die das Ohr in Mitleidenschaft ziehen. Schon während des gewöhnlichen heftigen Schnupfens tritt zuweilen eine eigene Benommenheit des Gehörs auf einer oder beiden Seiten ein; es klingt einem die eigene Stimme, als ob sie aus einem Keller käme. Ein oder das andere Mal gesellen sich hierzu dumpfes Ziehen und Stechen gegen das Ohr zu oder im Ohr selbst; insbesondere treten solche schmerzhafte Empfindungen auf nach einem der beim Katarrhe so häufigen gewaltsamen Schneuzversuche. Man will dadurch die verstopfte Nase freimachen, will sich Luft schaffen, aber die Wirkung ist doch nie die erwünschte und kann es auch nie sein, weil sich die dünne salzig-ätzende Absonderung der kranken Nasenschleimhaut sehr rasch wieder ergänzt und durch den heftigen Druck gerade das Gegenteil der gewollten Entlastung eintritt; es muß sich naturgemäß ein vermehrter Blutandrang und als Folge davon eine vermehrte Schwellung der Schleimhaut einstellen, die, da der Schneuzversuch alle Augenblicke wiederholt wird, zu einer noch viel ärgeren Verstopfung, zur gänzlichen Undurchgängigkeit der Nase führen muß. Gewöhnlich ergeben sich dann die Leute, nachdem sie sich von der dauernden Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen überzeugt haben, ermattet und resigniert in ihr Schicksal und damit haben sie das für ihren augenblicklichen Zustand verhältnismäßig Geeignetste gethan.
Aber dieses gewaltsame Schneuzen kann noch aus einem andern Grunde schadenbringend, gefährlich werden. Während desselben wird der Mund fest zusammengepreßt und gleichzeitig werden die beiden Nasenöffnungen geschlossen gehalten; infolgedessen wird die im Nasenraume befindliche Luftsäule auf einen abnorm hohen Druck gebracht und muß, da sie nach außen weder durch die Nase noch durch den Mund entweichen kann, durch die vermittelnden Eustachischen Röhren nicht bloß in die Ohren gelangen, sondern geradezu gewaltsam hineingeschleudert werden. Nun kommt noch ein weiterer Umstand dazu. Die Luft allein als solche würde wohl nicht viel Schaden anrichten, aber gleichzeitig mit ihr wird ein Teil der Absonderungsprodukte der kranken Schleimhaut mitgerissen. Dieselben können reizend oder ansteckend auf das Ohr einwirken, und die Folge des heftigen Schneuzens ist alsdann eine Ohrenentzündung.
Selbstverständlich muß nicht jedesmal dieser Ausgang erfolgen, aber Thatsache ist und bleibt es, daß eben auf diesem Wege ein gut Teil aller akuten Ohrenentzündungen zustande kommt. Insbesondere sind es auch die sogenannten Kinderkrankheiten, Masern, Scharlach, Röteln, Diphtherie, die häufig sich auf diese Weise ins Ohr fortpflanzen.
Also Vorsicht beim Schneuzen überhaupt und ganz besonders bei allen Erkrankungen der Nasenhöhle und des Mundes! Am besten und empfehlenswertesten ist das Schneuzen bei möglichst offengehaltenem Munde oder nicht vollständigem Verschluß beider Nasenseiten; wird bloß das eine Nasenloch zugehalten, dann kann keine solche Luftverdichtung sich bilden.
Nicht minder gefährlich als die akuten Nasenkatarrhe sind für das Ohr die chronischen, d. h. die aus akutem Stadium erst hervorgegangenen und durch Vernachlässigung oder infolge einer besonderen Anlage der Befallenen in die Länge gezogenen Erkrankungen des Nasenrachenraumes. Sie erstrecken sich dann in der Dauer immer über viele Monate, ja viele Jahre, und es kommt durch sie leicht zu Funktionsstörungen in den Ohren, besonders zu mehr oder weniger hochgradiger Schwerhörigkeit, die sich bei Nichtachtung langsam, aber sicher, beinahe bis zur Taubheit steigern kann; dabei bestehen sehr häufig die für den Patienten so außerordentlich quälenden Geräusche des Summens, Brummens, Klingens, Läutens, Pfeifens, die, Tag und Nacht oft gleichmäßig fortdauernd, die Nachtruhe zu rauben vermögen. Während wir derartige Erscheinungen zumeist, eben infolge der langen Dauer ihres Bestandes, bei Erwachsenen oder älteren Kindern vorfinden, machen sich bei jüngeren Kindern andere Momente bemerkbar, die hier als ursächlich wirksam für die ins Chronische sich ziehenden Ohrenerkrankungen auf katarrhalischer Grundlage in Betracht kommen.
Fangen wir mit der Nase an, so bildet der sogenannte Stockschnupfen oft den Ausgangspunkt einer Ohrenerkrankung; weniger häufig sind im Vergleich zu den Erwachsenen bei den Kindern echte Polypenbildungen in der Nase Ursache dazu. Dagegen geben einfache Schwellungszustände mit Massenzunahme der Schleimhaut in den vorderen Partien, besonders aber die bei einem sehr großen Bruchteil der Kinder am Boden der Nasenrachenhöhle, also ganz nach innen und oben zu entstandenen weichen Wucherungen, außerordentlich häufig Veranlassung zu Ohrenerkrankungen.
Diese Wucherungen rufen nicht nur Ohrenleiden hervor, sondern haben noch einen weiteren, viel schwerer wiegenden, verderblichen Einfluß auf die gesamte körperliche und geistige Entwicklung, wie ja das durch nun tausendfache Beispiele von allen Seiten und aus beinahe allen Ländern erhärtet ist.
Kinder, die mit ihnen behaftet sind, können, infolge der Verlegung der Nasenwege von hinten her, keine Luft mehr durch die Nase bekommen, atmen also immer bei geöffnetem Munde. Bei Nacht fallen derartige Patienten, die gewöhnlich im Lebensalter von 5 bis 15 Jahren stehen, ihren Geschwistern und Eltern zur Last durch ihr unaufhörliches furchtbar rasselndes Schnarchen. Besteht die Erkrankung einige Zeit, so macht sie sich bald an der Stimme bemerkbar: dieselbe wird völlig klanglos, matt und dann näselnd; derlei Kinder sprechen alles näselnd, besonders die Worte, in denen der Buchstabe N öfters enthalten ist. Sie können nicht schneuzen, nicht singen, das Gesicht bekommt durch den immer geöffneten Mund, durch die unendlich gelangweilten, frühmüden, schlaffen Gesichtszüge und die matten glanzlosen Augen, durch die
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0680.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2024)