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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0704.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Gelände zwischen der Simmerau und dem Wald so sehr verändert, daß es den Ausblick auf die noch stehenden Bäume verwehrte?

In der Simmerau fanden sie nicht Zeit, um die Antwort auf diese Fragen zu suchen. Sie hatten sich allzuviel um die eigene Gefahr und Not zu sorgen! Nur Mathes schickte manchmal einen still bekümmerten Blick hinüber zu den verschwindenden Wipfeln des Purtschellerwaldes.

Wie rings nur die Simmerau, so hatte sich die vom reichlich strömenden Schneewasser gesteigerte Bewegung des Bodens auch in unmittelbarer Nähe des Hauses geäußert. Ein Teil der Böschung war niedergebrochen, hatte den neuen Verhau zerdrückt, den halben Garten begraben und das Geröll bis an die Mauern des Hauses geworfen. Im Hofraum war beinahe der ganze, mit so mühsamer Arbeit gezimmerte Balkenrost aus den Fugen geraten, und lange Risse hatten den Grund zerspalten. Der Brunnen war verschüttet und die Röhre so gewaltsam eingeklemmt, daß sich der Pumpkolben nicht mehr bewegen ließ.

Gegen Mittag waren von den weißen, so sauber gehaltenen Mauern des Hauses die ersten Mörtelbrocken niedergefallen.

Als Michel mit nassen Augen den Schaden betrachtete, kamen über einen nahen Grat ein halb Dutzend Leute heruntergestiegen, welche schwere Päcke schleppten und einen Karren zogen, den sie mit Hausgerät beladen hatten. Das war der Brunnthaler mit Weib und Kindern – auf dem Gehäng des laufenden Berges der einzige Bauer noch, der gleich dem Simmerauer bis zur äußersten Gefahr bei seinem bedrohten Häuschen ausgehalten hatte. Jetzt suchte auch dieser Letzte die Sicherheit im Thal und rettete von seinem Hab’ und Gut, was noch zu retten blieb.

Als die Vorüberziehenden verschwunden waren, sagte Michel mit erloschener Stimme zu seinem Weib: „Mutter, was meinst? Sollten wir net auch die Kinderln ’nunterschicken ins Dorf … über Nacht bloß, weißt?“ Daß die Hoffnung ihn zu verlassen begann – ihr das zu sagen, brachte er nicht fertig. Er sagte nur: „Wir alle müssen ja schaffen in der Nacht … und da liegen halt die Kinderln gar so ohne Aufsicht da! Meinst net, wir sollten s’ ’nunterschicken zu gute Leut’?“

„Ja, Michel! Jetzt mein’ ich schon selber bald!“ Bei diesen Worten fuhr Mutter Katherl mit der Schürze übers Gesicht, um sich den kalten Schweiß von der Stirne zu wischen.

Während sie nun berieten, wem sie die Kinder drunten im Dorfe anvertrauen sollten, sagte Mathes zu seiner Schwester: „Das Beste wär’, Du thätst die Kinderln zur Bäckin führen! Die nimmt sie g’wiß gern ins Haus … und der Schorschl noch lieber, mein’ ich!“

Brennende Röte flog über Vronis Züge; aber sie schüttelte den Kopf. „Unser’ G’vatterin müßt’ sich kränken, wenn wir die Kinderln zu fremde Leut’ geben thäten.“

Mit der „G’vatterin“ waren auch Michel und Mutter Katherl einverstanden. Man rief die Kinder, die mit Lachen und Singen auf einer sonnigen Halde spielten, packte ihnen ein bißchen Wäsche und Kleider in ein Bündel, und dann führte Vroni das kleine, über diese „Reise“ seelenvergnügte Pärchen ins Dorf hinunter.

„Gelt, Madl, sei so gut,“ rief Michel seiner Tochter nach, „und bring mir vom Schmied ein g’hörigs Packl lange Eisenstiften mit ’rauf!“

„Ja, Vater!“

Zwei Stunden später, um drei Uhr nachmittags war Vroni wieder zurück, mit Grüßen von der Gevatterin, welche die Kinder mit offenen Armen aufgenommen hatte, und mit den Eisenstiften, um die sie nicht zum Schmied, sondern zum Schlosser gegangen war. Fünfzig Pfennig hatten sie gekostet.

„Aber geh,“ sagte der Vater, „warum bist denn net zum Schmied ’gangen? Der Schorschl hätt’ Dir die Stiften um dreißig Pfennig ’lassen! Oder ’leicht billiger noch! Der ander’ is ja viel teurer!“

Ohne ein Wort zu erwidern, war Vroni zum Hackstock gegangen und hatte nach dem Beil gegriffen.

Mit vereinten Kräften und erschöpfender Hast hatten sie dann Stunde um Stunde gearbeitet, von jeder Minute erzwingend, was sie geben konnte. Um den zerstörten Balkenrost wieder neu zu fügen, dazu fehlte ihnen das Holz – und auch die Zeit, denn nach den Erfahrungen dieses Tages mußten sie fürchten, daß der nächste Erdrutsch nicht, wie im Herbst, eine Woche auf sich warten ließe; jede Stunde konnte ihn bringen! So flickten sie mit Brettern und Latten die zersplitterten Balken des Rostes zusammen – und als hiezu die vorrätigen Bretter nicht reichen wollten, zerstückelte Michel mit Thränen in den Augen das Thor der Scheune.

„Wenn ich nur ’s Häusl halten kann! ’s Häusl allein! So bin ich schon z’frieden und dank’ dem lieben Herrgott!“

Die geflickten Balken des Rostes wurden, statt sie mit Fugen zu verschränken, mit den langen Eisenstiften übereinander genagelt. Sie wußten wohl, daß jede leichte Bewegung des Bodens dieses notdürftige Fachwerk wieder zerstören mußte …

„Aber ein bißl könnt’s halt doch noch helfen!“ meinte Michel.

„Und wenn der Mensch einmal ’s Vertrauen verliert und die faulen Händ’ in’ Schoß legt, so könnt’ auch den lieben Herrgott ’s Festhalten verdrießen! Und hat er uns seine Lieb’ und Güt’ net sichtbar merken lassen? Schauts nur umeinander, Kinder! Alle Häusln auf’m Berg heroben sind verlassen oder liegen halb versunken im Boden drin … und ’s unser’ steht noch allweil da! Allweil steht’s noch! Ja!“ Als er das sagte, zitterte ihm die Stimme, und sein scheuer Blick glitt über Mauern und Dach des kleinen Hauses empor zum Himmel, der im Gold des Abends leuchtete.

Mit Einbruch der Dämmerung hatten sie im Hof die Arbeit am Rost vollendet und konnten bei Fackellicht im Garten den neuen Verhau beginnen – es war der vierte, den sie bauten. Unter dem Schutt der eingestürzten Böschung wühlten sie die umgedrückten Pfähle hervor und schlugen sie wieder ins Geröll, das über den Garten hergefallen war. Neue Ruten hatten sie nicht mehr – also mußten die alten verwendet werden. So waren sie still und emsig bei der Arbeit, als der Hall des Zügenglöckleins zu ihnen empordrang …

Stunden vergingen. Als Michel wieder einmal von den Fackeln, damit sie heller brennen möchten, die glühenden Kohlenstümpfe abgestreift hatte und zum Verhau zurückkehrte, sagte er zu Mathes: „So schön windstill is d’ Nacht! Man müßt’ doch alles hören aus’m Thal ’rauf! Und gar nix hör’ ich nimmer … gar nix!“

Mathes verstand, was der Vater meinte. Es war ihm selbst schon aufgefallen, daß seit dem Nachmittag das Rauschen des Wassers, das dort unten im Thal aus dem Innern des Berges hervorströmte, von Stunde zu Stunde schwächer geklungen hatte. Und als er jetzt hinauslauschte in die stille Nacht, hörte er keinen Laut dieses Rauschens mehr.

„Geh, sag’ mir, Mathes, was denkst denn Du dazu? Haltst es für ein unguts Anzeichen?“

„Na na, Vater! G’wiß net!“ erwiderte Mathes, doch seine Stimme hatte bangen Klang. Es war die Sorge in ihm erwacht, daß die im Innern des Berges sich stauenden Gewässer einen schweren Erdbruch vorbereiten könnten – und da wußte er nicht gleich, welchen Trost er dem Vater sagen sollte. „D’ Nacht is kühl … wir spüren’s halt net, weil uns warm is vom Schaffen … aber es muß kalt machen, denk ich mir! Und natürlich, da schmilzt halt droben kein Schnee nimmer, und ’s Wasser wird g’ring. Das is gut für uns, Vater!“

„So, meinst? … Der liebe Gott soll’s geben, daß D’ recht hast!“

Seufzend nahm der Alte die Arbeit wieder auf und schaffte, daß ihm der Schweiß über die furchigen Backen rann.

Als drunten im Thal die Turmuhr Elf schlug, sagte Mutter Katherl: „Geh, Michel, endlich einmal müssen wir doch aufhören und d’ Nachtruh’ suchen. Ich merk’ Dir’s doch an, daß D’ schier nimmer weiter machen kannst vor lauter Müdigkeit!“

„Ein bißl noch, Mutter … bis d’ Fackeln ausbrennt haben! Andere hab’ ich eh’ nimmer … gleich morgen in aller Früh muß ich wieder neue machen für die nächste Nacht!“

Ein Viertelstündchen brannten die Fackeln noch, dann drohten sie zu erlöschen.

„In Gottesnamen,“ sagte Michel, „lassen wir’s halt gut sein für heut’!“

Zögernd legten sie in ihrer Sorge die Arbeit nieder, und dennoch war ihnen allen bei dieser Erschöpfung die Ruhe willkommen.

Sie verwahrten die Werkzeuge im Hausflur und löschten die glühenden Kohlenstümpfe zweier Fackeln.

Da quoll ein mattes, langgezogenes Knirschen aus dem Grund, als hätte die Erde geseufzt – so, wie ein Müder seufzt, bevor er die Augen zur Ruhe schließen will. Langsam bewegten sich an der Böschung die neu geschlagenen Pfähle und legten sich auf die Seite, im Hof verschob sich der Balkenrost, mit trägem Krachen knickten die geflickten Hölzer entzwei, und während von den Mauern des Hauses der Mörtel niederbröckelte, klang von der Scheune ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0704.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)
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