verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
|
ließ, welche von völliger Besserung und baldiger Heimreise der alten Frau Rektor berichteten.
Es war wenige Tage vor dieser Heimkehr, und eben war Lisbeth von ihm gegangen, als der Rektor durch einen Besuch überrascht wurde. Die Dame nannte sich Frau Baumeister Eichberg und kam in Frauenvereinsangelegenheiten, sich zu erkundigen, wie bald man wieder auf die Teilnahme seiner Gattin rechnen könne.
Der alte Herr wurde etwas ausführlich in seinem Bericht über das Mißgeschick der letzten Monate, und Frau Eichberg hörte ihm so aufmerksam zu, als interessierte sie sich lebhaft für dies alles.
„Als ein wahrer Engel,“ schloß er, „hat sich in dieser Leidenszeit die Freundin unserer Tochter, Fräulein Lisbeth Brückner, erwiesen. Sie war bei der Nachricht von der jammervollen Lage der Meinen sofort nach D. gereist, und ihrer treuen, sorgsamen Pflege verdankt unsere Tochter ihr Leben und meine Frau ihre schnelle Genesung.“
„Das war wohl die junge Dame,“ fragte Frau Eichberg, „der ich hier beim Eintritt ins Haus im Flur begegnete? Eine hübsche, blühende Erscheinung!“
„O, ihr anmutiges Aeußere ist noch ihr geringster Vorzug,“ sagte mit väterlich zärtlichem Ton der alte Herr, „es ist nicht zu sagen, welch’ ein großes treues Herz in ihrer Brust schlägt und wie ihr edler Sinn sich nie an Aufopferung und Menschenliebe genug thun kann!“
„Sie ist eine Verwandte des Provinzial-Steuerdirektors hier?“ fragte Frau Eichberg.
„Die Tochter desselben – die Tochter!“ bestätigte der Herr Rektor. „Ja, es ist dem Herrn Geheimrat auf Erden viel Gutes geworden, und ich gönne ihm alles; aber um diesen Schatz beneide ich ihn.“
Frau Eichberg lächelte über den Enthusiasmus des alten Herrn.
„Ihr Geschmack, lieber Herr Rektor, scheint nicht einzig dazustehen. Wie ich hörte, ist die junge Dame Braut und macht eine sehr glänzende Partie.“
Der alte Herr machte ein ganz verschmitztes Gesicht. „Nicht sie,“ sagte er, „nicht sie ist das, ihre jüngere Schwester ist die Braut! Ich sollte eigentlich nicht darüber sprechen, aber die Verlobung wird nun in der nächsten Zeit öffentlich, da ist es doch kein Geheimnis mehr. Ja, die Kleine hat sich schnell entschlossen; Lieschen ist wählerischer. Freilich sagt man ja, der Bräutigam wäre ein prächtiger Mensch von großen geistigen Gaben und schwer reich, aber es will mir gar nicht gefallen, daß er so viel älter als Fräulein Elfe ist. Er soll über die Mitte der Vierzig sein - und dazu dieses junge Kind – das giebt selten etwas Gutes!“
„Nun,“ fragte Frau Eichberg sehr interessiert, „sie ist doch wohl nur ein Jährchen jünger als die ältere Schwester – und Elfe heißt sie? Welch’ seltsamer Name!“
„Elfriede ist sie getauft, das klingt weniger romantisch. Aber weil die Kleine so wunderbar lieblich, zart und biegsam war, wie man sich die Elfen wohl vorstellt, so wurde ihr der Name ganz von selbst. Sie ist sehr schön, diese zierliche Elfe, sehr schön und reizend, und unser Lieschen hängt an ihr mit übergroßer Zärtlichkeit und wohl auch Verblendung. Aber sie hat das Schwesterchen so aufwachsen sehen und mit aufgezogen, denn Elfe ist acht Jahre jünger als sie; da greifen dann leicht solche Ausartungen mütterlicher Gefühle Platz.“
„Acht Jahre jünger, aber ich bitte Sie, da muß sie ja noch völlig Kind sein.“
„Sie ist siebzehn Jahre alt, nun: jung gefreit, hat nie gereut, sage ich noch immer nach alter Weise, wenn es auch für die jetzige Zeit nicht mehr gilt – aber die ungleichen Jahre wollen mir nicht gefallen. Ich finde, der Regierungsrat von Walden hat vielen Mut, daß er sich eine so junge Frau nimmt.“
Frau Eichberg war aufgestanden, man wechselte noch ein paar höflich freundliche Worte, und dann ging sie. Erst lebhaft, dann wurden ihre Schritte immer langsamer, und als ihr die hellen Fenster ihrer Wohnung entgegen blinkten, blieb sie auf der Straße stehen und atmete schwer.
„Arme Hermine,“ sagte sie leise vor sich hin, „mein armes Kind – wie wird es Dich schmerzen! Aber ich bin doch froh, daß ich mir Gewißheit geholt habe. Dieses Langen und Bangen ist ja zu aufreibend! Wird sie es nun endlich begreifen, daß sie ihm nichts anderes war als ein Spielzeug für müßige Stunden? Ich hoffe doch, und dann wird ihr Stolz sie lehren, diese unheilvolle Liebe zu bezwingen. Ein scharfer Schnitt in die Wunde ist in solchen Fällen die wirksamste Kur.“
Sie erstieg die Treppen und hatte kaum die Eingangsthür geöffnet, als ihr Hermine schon entgegen kam. Das schmale, blasse Gesicht war in den letzten Monaten noch um vieles schmäler geworden, und trotz der Röte der Erregung, die jetzt darauf lag, erschien es krankhaft zart und durchsichtig.
„Nun, Mütterchen, da bist Du ja endlich,“ sagte sie zärtlich und nahm der Eintretenden Hut und Mantel ab. „Sind Deine Geschäfte besorgt und hast Du den Besuch bei Römers gemacht?“
„Ja, Hermine.“
„Und –“ sie zog die Mutter aufs Sofa – „was sagte man Dir?“
Frau Eichberg legte den Arm um des Mädchens Schulter. „Es ist wahr, mein Kind. Das Gerede hat einen Grund: demnächst wird die Verlobung veröffentlicht werden.“
„Nein, Mutter, nein! Das ist doch nur Mutmaßung?“
„Durchaus nicht, Hermine. Ich traf die älteste Tochter von Brückners bei Herrn Römer, und er hat die Nachricht aus ihrem eigenen Munde: Walden ist Bräutigam von Fräulein Elfriede Brückner.“
Ein stöhnender Laut entfuhr den Lippen der Zuhörenden und mit geisterbleichem Gesicht lehnte sie sich in die Polster zurück.
„Und mir,“ flüsterte sie dann, „und mir noch diesen Brief vor kurzen vier Wochen!“
„Nun,“ sagte die Mutter, die aufgestanden war und erregt im Zimmer auf und ab schritt, „er hat ja wohl Uebung in solchen mit leeren Redensarten gefüllten Briefen, die ein zärtliches Herz alles ahnen lassen, doch zu nichts verpflichten – also schrieb er Dir einen solchen und ließ Deine thörichte Liebe noch einmal aufflammen. Gott strafe ihn für diese Frivolität!“
„Mutter, Mutter, wie darfst Du das sagen,“ unterbrach Hermine sie und ein paar schwere Thränen rannen langsam über ihre Wangen, „wie darfst Du Gottes Zorn über ihn herabrufen! Weißt Du nicht, daß, was ihn trifft, mich mit schmerzt?“
„Mein Kind,“ sagte die Mutter und stand vor ihr still, „nur bis zu einem gewissen Grade kann ich in diesem Fall mit Dir Mitleid haben. Wenn Dir jetzt Dein weiblicher Stolz nicht hilft, diese Liebe zu überwinden, dann –“
„Weiblicher Stolz?!“ rief Hermine, „mein Gott, weiblicher Stolz – wer hat den, wenn er liebt?“
„Das ist Schwäche, Hermine,“ sagte die Mutter ernst, „ein vernünftiger Mensch läßt sich nicht so von einer Empfindung beherrschen. Kämpfe dagegen an, und es wird nicht lange währen, so hat der Kopf die Ueberhand über das thörichte Herz! Du sagst es Dir dann selbst, daß solch’ ein gewissenloser Mensch nicht der Liebe und nicht der Trauer wert war, die Du ihm weihtest.“
Langsam wandte das Mädchen ihr bleiches Gesicht der Mutter zu. „Du meinst es gut, aber Du ahnst nicht, was Du von mir verlangst. Dir ist es so gut geworden, zur rechten Zeit Liebe und Glück zu finden, Du brauchtest nicht zu kämpfen, sondern hast alle Kräfte deines Wesens im Sonnenschein entwickeln dürfen. Ich stehe im Schatten, meine Jugend ist bald vorüber – seit Jahren ist Ueberwinden und Entsagen mein Teil. Und nun, nach all den stillen, leeren Zeiten ein solches Gefühl – ein solches Verstehen und Seligsein! … Wenn es mir auch jetzt zum Elend wird, ich möchte doch die Erinnerung nicht hergeben! Habe Geduld mit mir, Mütterchen, und verlange nicht, daß ich jetzt ‚vernünftig‘ sein soll! Ich will es in mich verschließen, dies Gefühl, und nicht mehr darüber sprechen. Verwinden aber – das weiß ich bestimmt, verwinden werde ich es nie!“
Voll tiefen Mitleids faßte die Mutter ihr Kind in die Arme. „Ich werde Dir helfen, mein Herz, dann zwingst Du es schon. Morgen packen wir und reisen zu Tante Bertha. Da hat man es so schön in dem prächtigen Gutshause und sie leben so gesellig, es wird uns nicht an Abwechslung und Zerstreuung fehlen. Sind aber erst die Wintermonate herum, dann gehen wir nach Pyrmont. Wie oft hat schon der Arzt Dir diese Kur empfohlen – hätte ich Dich doch lieber dorthin als nach Ilmenau geschickt – aber nun wollen wir beide für den ganzen Sommer hin, und kommen wir zum Herbste zurück, bist Du frisch und gesund an Körper und Seele.“
„Mein Mütterchen, all Deine Opfer sind umsonst!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0726.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2024)