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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0730.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

wir können in der That Walden nicht darunter leiden lassen. Die Hochzeit ist in sechs Wochen, und die Verlobung wollen wir schon deshalb schleunigst veröffentlichen, damit die Leute über etwas anderes als das verunglückte Examen zu reden haben. Leo mag erst Ende der Woche zurück kommen, dann hat der Trubel hier im Hause sein Ende erreicht, das wird auch ihm lieb sein.“

„Leo zurückkommen – als durchgefallener Examenskandidat!“ Sie sah ihn starr an. „Nimmermehr! Das wirst Du mir doch nicht zumuten?“

„Ich dachte,“ meinte er, „Du hättest Dich so sehr nach Deinem Sohne gesehnt und –“

„Von meinen persönlichen Gefühlen sehe ich da ganz ab,“ unterbrach sie ihn. „Ich halte es für richtig, daß er den Leuten hier nicht täglich vor Augen kommt, damit sie aufhören, dieser erniedrigenden Angelegenheit zu gedenken. Ich wäre auch gar nicht imstande, nach dem, was er uns angethan hat, ihn immer um mich zu haben.“

„Aber das wird kaum anders gehen, Käthchen, dieses Vierteljahr in Berlin hat mir schon ein unglaubliches Geld gekostet. Wie wollen wir es noch eine doppelt so lange Zeit aushalten?“

„Was, ein halbes Jahr?“

„Beinahe so lange, Käthchen, beinahe! Bedenke dieses Opfer für unseren ganzen Haushalt.“

„Und wenn ich hungern sollte, Erich, es ist mir lieber, als ihn jetzt beständig vor Augen zu haben!“

„Er würde hier viel besser arbeiten, Frauchen. Ich habe es mir schon vorgenommen, ihn bei seinen Studien gründlich zu unterstützen. In Berlin sind so viele Verlockungen für einen jungen Mann, so viele Veranlassungen, die ihn abziehen –“

„Nein, nein, Erich, kein Wort weiter; wir sind es uns schuldig, daß wir ihn nicht zurücknehmen, ehe er diese Blamage vergessen gemacht hat! Wenn er ernstlich will, wird er auch dort seine Pflicht thun; wie sollte er denn anders, er wird doch so viel Ehrgefühl haben, daß er sich schämt, in Gesellschaft zu gehen.“

„Er schreibt mir, Käthchen, er wäre körperlich sehr indisponiert, und dieser Zustand hätte wohl auch das Ergebnis beeinflußt. Nun weißt Du, wie er an häusliche Pflege gewöhnt ist, Du hast ja Tag und Nacht nicht geruht, wenn Deinem Jungen etwas fehlte.“

„Ja,“ sagte sie bitter, „und so lohnt er es mir! Mag er sich selbst helfen, er hat’s nicht besser verdient. Aber mit Deiner Verlobung, Elfe, habe ich es mir anders überlegt: wir verschicken in den nächsten Tagen die Karten und machen dann alle bei den Besuchen, die darauf folgen, ein sehr vergnügtes Gesicht. Das führt die Menschen irre, und sie glauben uns, wenn wir von einen: ,teilweisen Mißerfolg‘ sprechen.“

Und damit hatte die Frau Geheimrätin auch nicht unrecht. Als der Strom der Gratulanten sich nach ein paar Tagen in die prächtig geschmückten Räume der Geheimrat Brücknerschen Wohnung ergoß, konnte niemand an den Familienmitgliedern eine Spur von Aufregung oder Kummer entdecken, und schon die zuerst gekommenen flüsterten es den neu eintretenden Gästen zu: die Neuigkeit scheint erfunden zu sein. Schließlich erwähnte dann die Frau Geheimrätin ganz beiläufig der kleinen Enttäuschung, die ihnen durch eine für notwendig befundene teilweise Wiederholung des Examens geworden wäre, und die als unangenehmste Folge ihnen den Sohn jetzt entzöge.

Frau Kommerzienrätin Grimm und Fräulein Dora waren auch unter den ersten Besuchern, letztere in merklich kühlerer Haltung, die nach diesen so leicht hingeworfenen Worten sich jedoch wesentlich milderte, namentlich als die Frau Geheimrätin sie zärtlich um die Taille faßte und, abermals dieses kleinen Malheurs gedenkend, meinte: „Mir thut der arme Junge so leid, nun muß er noch länger fern bleiben, und die Sehnsucht nach hier,“ ein bezeichnender Blick half das Wort betonen, „ist doch allein die Veranlassung der fatalen Sache!“

Fräulein Dora lächelte befriedigt und versöhnt. Dann küßten sich beide sehr, sehr innig.

Oberst Giersbach und seine Gattin waren auch gekommen, um ihre Glückwünsche darzubringen. Der Oberst hatte einen noch bärbeißigeren Gesichtsausdruck als sonst, und Frau von Giersbach brachte die Gratulation in solchem larmoyanten Ton hervor, daß dieser mit ihren Worten im schärfsten Kontrast stand. Aber die Atmosphäre von Glück und Heiterkeit, die hier wehte, machte auch bald ihre Wirkung geltend, und in ganz veränderter Stimmung verließen sie das gastliche Haus.

„Die Geschichte ist rein erlogen,“ brummte der Oberst, als sie das Freie erreicht hatten, „wie könnten die Eltern wohl sonst so vergnügt sein! Weiß Gott, die Neuigkeiten, die ihr euch in euren Frauenzimmergesellschaften erzählt, sind allemal Dichtung.“

Fräulein Annie war nicht mitgegangen, ihre Mutter hatte sie entschuldigt: „Das Kind ist so nervös, kann nicht schlafen und regt sich über alles bis zu Thränen auf.“ Nun kam sie, als die Eltern zurückkehrten, ihnen entgegen gelaufen, half beim Ablegen der Mäntel und horchte eifrig, was sie ihr von diesem Besuche erzählten, leider ohne den gewünschten Erfolg. Sowohl der Oberst als seine Frau sprachen kein Wort von der Examensangelegenheit.

Am andern Tage sah sie bei einem Geschäftsgange Elfe auf der Promenade, aber es gelang ihr, mit einer schnellen Wendung in eine Nebenstraße einzubiegen und so dieser Begegnung auszuweichen. Dagegen ging sie zehn Minuten später sehr eilig quer über einen Platz, um Lisbeth zu erreichen, die sie dort, allein des Weges kommend, erblickte.

Sie wurde sehr freundlich empfangen und begrüßt und ihre Gratulation zur Verlobung der Schwester recht warm aufgenommen. Auf ihre Frage, ob sie sich bei diesem Gange anschließen dürfe, reichte ihr Lisbeth den Arm und meinte herzlich, sie hätte sich längst solch ein Plauderstündchen mit ihr gewünscht. Nun schritten die jungen Mädchen einem Promenadenwege zu, ergingen sich erst in allgemeinen Gesprächen über das Wetter, die gemeinsamen Bekannten und kleinen Vorkommnisse im Gesellschaftskreise, dann kam wieder das neue Brautpaar und dessen Interessen an die Reihe, und nun stieß Fräulein Annie plötzlich hervor:

„Ja, wenn aber die Hochzeit schon in so kurzer Zeit sein soll, wird Ihr Herr Bruder sie dann auch mitmachen können?“

Da war es heraus. Sie erschrak furchtbar, als sie die Worte klingen hörte, um derentwillen sie Lisbeth angesprochen hatte. Was würde diese nur von ihr denken und wie würde sie es auffassen? – ob sie es ihr wohl ansah, wie rasend jetzt ihr Herz klopfte?

Aber Lisbeth blickte ganz ruhig und ernst und schien mit ihren Gedanken viel zu sehr beschäftigt zu sein, um etwas Auffallendes in dieser Frage zu finden.

„Leo – nein, doch wohl keinesfalls. Sie wissen es wohl schon? Er hat Malheur gehabt und muß nun noch einmal ins Examen. Ich habe es sehr gewünscht, daß er zu den weiteren Studien hierher zurückkommen sollte, namentlich da er körperlich so sehr herunter ist, aber die Eltern hielten sein Dortbleiben für richtiger.“ Sie warf einen Blick auf Annie, deren große Augen, wie sie mit gespanntem Ausdruck an ihren Lippen hingen, jetzt ganz voll Wasser standen. „Der ungünstige Ausfall ist ja doch kein Unglück,“ fuhr sie tröstend fort, „und läßt sich bald reparieren. So unendlich vielen passiert es; und ist dann in ein paar Monaten das Ziel erreicht, ist solche Unannehmlichkeit auch bald vergessen“

„Gewiß,“ meinte Annie und fuhr sich versteckt mit dem Taschentuche über die Augen, „vielleicht dauert es nicht einmal so lange, aber jetzt leidet er doch durch die Enttäuschung, und wenn er nicht einmal gesund ist, doppelt!“

Sie wendete wieder ihr Köpfchen weg, es wäre schrecklich, wenn Lisbeth es merkte, wie die dummen Thränen ihr immer in die Augen schossen! Es war ja nur von der Kälte heute, aber man konnte es am Ende anders auffassen!

„Es ist etwas so Trauriges um zerstörte Hoffnungen,“ sagte sie dann altklug, „wer wüßte nicht davon. – Mein Bruder Paul sollte Michaeli nach Quarta kommen, wir haben immer zusammen so fleißig gelernt und dachten gewiß, er würde genügen, und dann blieb er sitzen und grämte sich so sehr! Da haben wir immer zusammen geweint.“

„Ja, solche kleinen Leute haben auch schon ihre Schmerzen,“ meinte Lisbeth und gab sich sichtlich Mühe, auch für diesen Kummer die richtige Würdigung zu finden.

„Mama sagt immer,“ fuhr Annie fort, „der Verlust einer Hoffnung ist der beklagenswerteste Verlust.“

Jetzt lächelte Lisbeth doch.

„Nun,“ sagte sie, „die Hoffnung auf das Versetztwerden wird der kleine Bursche wohl noch nicht aufgegeben haben.“

Annie sah sie, wie aus anderen Gedanken geweckt, verständnislos an und murmelte dann: „Ach, ich dachte jetzt gar nicht an Paul.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0730.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2024)
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