verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Nr. 44. | 1896. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Geschwister.
(6. Fortsetzung.)
Nach der Verlobung gab es viel Arbeit im Brücknerschen Hause. Elfe fand nichts zu schön für sich, aber ihre Mithilfe bei der Besorgung ihrer Ausstattung beschränkte sie darauf, daß sie die neuesten Muster zusammentrug, nach denen man das Erforderliche arbeitete.
Walden verlebte jede Freistunde neben seiner Braut und stellte dadurch die ganze Einrichtung des Haushaltes auf den Kopf, so daß er nun für seinen Wunsch, die Hochzeit bald anberaumt zu sehen, an der Frau Geheimrätin plötzlich eine Bundesgenossin gewann.
Seinen einflußreichen Verbindungen hatte er es zu verdanken, daß ihm ein Urlaub von drei Monaten gewährt wurde, den er mit seiner jungen Frau in Italien verleben wollte, und Elfe schwelgte in dieser Aussicht. Sie ging mit denselben Gefühlen in die Ehe wie etwa zu einem Feste, von dem sie sich ein ganz besonderes Amüsement versprach. Ihre Wünsche in Bezug auf die Reise wie die Einrichtung und Gestaltung ihres eigenen Haushaltes wurden von ihrem Bräutigam stets ohne weiteres angenommen; es war für ihn selbstverständlich, daß er dieselben erfüllte, und hätte er es allein zu bestimmen gehabt, so würde vermutlich auch die Hochzeit so großartig und glänzend gefeiert worden sein, wie Elfe es sich in ihrem Köpfchen zurechtgelegt hatte. Aber in dieser Frage lag das Bestimmungsrecht doch in erster Reihe bei ihren Eltern, und die Frau Geheimrätin erklärte von Anfang an, niemand außer der Familie und den Trauzeugen solle der Feier beiwohnen. Davon ging sie auch trotz allen Bittens, Bettelns und Schmollens ihres Lieblingstöchterchens nicht ab.
Wenn sie auch nie mehr von dem Mißerfolge Leos sprach und Fernstehende es ihr nicht anmerkten, wie dieser sie getroffen hatte – die Ihren wußten es, daß der Gram über diese Enttäuschung fortwährend an ihrem Herzen nagte. Sie hatte ihm auf jenen Brief, in welchem er ihr – ganz in dem burschikosen Ton, in dem er immer mit ihr unter vier Augen verkehrte – den Ausfall des Examens mitteilte, gar nicht geantwortet. Dadurch waren nun seine regelmäßigen Briefe an sie auch unterblieben, denn die kurzen Zuschriften, meistens geschäftlichen Inhaltes, die von ihm ins Haus kamen, richtete er jetzt immer an den Vater. Und wie sehr sie darunter litt, wie sehr sie sich nach diesen Briefen sehnte, das sah ihr Gatte, sahen ihre Töchter an ihren blassen Wangen, die an den Sonntagmorgen, an welchen sonst nie das ersehnte Schreiben gefehlt hatte, noch farbloser wurden.
Lisbeth hatte sie erst mit allen Mitteln der Überredungskunst zu veranlassen versucht, dem Sohne ein verzeihendes Wort zu schreiben, aber sie erzielte nichts als eine neue Erregung, so daß sie schließlich davon abstand und ihre Hoffnung auf die Zukunft setzte. Der neugebackene Herr Assessor würde sich schon seinen Platz am Mutterherzen wieder erobern, das wußte sie gewiß. – Was die beiden trennte, war ja nur der verletzte Stolz der Mutter, und wenn er ihr erst wieder das Recht gab, sich in diesem Gefühl zu wiegen, dann war die Scheidewand zwischen ihnen gefallen.
Und eben dieser gekränkte Stolz verbot der Geheimrätin auch den lebhaften, geselligen Verkehr, den sie sonst gepflegt hatte, und sie pries im stillen oft den glücklichen Zufall, der ihre fortgesetzte Ablehnung aller Einladungen durch die Ausstattungsarbeiten und Elfes nahe Hochzeit erklärlich, ja selbstverständlich erscheinen ließ.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0741.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2024)