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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0755.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

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Blätter & Blüten.


Graf August von Platen-Hallermund. Neben den volkstümlichen Dichtern, welche in sinnigen und innigen Klängen aus dem Herzen des Volkes heraussingen, hat es stets Poeten gegeben, welche sprachgewaltig der dichterischen Schönheit huldigten und ihre Verse gleichsam mit unvergänglichen Zügen in den Marmor gruben. Unsere klassischen Dichter Goethe und Schiller stehen in der Mitte zwischen beiden: ein großer Teil der Goetheschen Dichtungen gehört den Meisterwerken dieser poetischen Skulptur an. Ein Dichter, dessen Säkulartag auf den 24. Oktober d. J. fällt, hat sich gerade durch die Formenschönheit seiner Poesien seinen Ruf und ein dauerndes Andenken erworben; er bleibt ein glänzendes Muster auch für die Volkspoesie; wenn diese allzusehr zu verlottern droht und allzubequem in ausgetretenen Pfaden dahinschlendert: da mag sie emporschauen zu den strengen Linien seiner meisterlichen Dichtung und von seiner Muse den ernsten graziösen Gang erlernen! Graf August von Platen war nicht bloß ein Verskünstler und Sprachbändiger ersten Ranges: er war auch ein Dichter, der eines hohen begeisterten Schwunges fähig war. Zu Ansbach am 24. Oktober 1796 geboren als Sohn eines bayrischen Oberhofmeisters, schlug er anfangs die militärische Laufbahn ein und nahm als Unterlieutenant an dem Feldzuge des Jahres 1815 teil. Nach der Beendigung desselben ließ er sich beurlauben und studierte, einem regen wissenschaftlichen Triebe folgend, in Würzburg und Erlangen, wo er sich an den Philosophen Schelling anschloß. Gegenstand seines Studiums waren Philosophie, Philologie und die orientalischen Sprachen, die ihm die Anregung zu Nachdichtungen, wie seine „Ghaselen“ (1821), gaben. In Deutschland fühlte er sich indes auf die Länge nicht heimisch; es zog ihn nach Italien, von wo er nach seiner ersten Reise seine schönen „Sonette aus Venedig“ (1824) mitbrachte, während er nach einem zweiten Besuch des klassischen Landes, das ja auch zwei der herrlichsten Dichtungen Goethes gereift, sich 1826 dauernd in demselben niederließ und von dort nur zweimal auf kurze Zeit nach Deutschland zurückkehrte. Erst in den Jahren 1832 bis 1834 hielt er sich wieder in München und Augsburg auf. Im Sommer 1834 kehrte er nach Italien zurück, flüchtete vor der Cholera nach Sicilien und starb dort am 5. Dezember 1835. Sein Grab ist im Garten der Villa Landolina bei Syrakus.

Graf August von Platen-Hallermund.

Unter Platens Oden und Hymnen finden sich einige, die, trotz mancher Verkünstelung der Form, tief aus der Zeit herausgegriffen sind und sich im Lapidarstil mit dem Schwung eines Lord Byron gegen die Machthaber wandten, welche die Freiheit der Völker gefährdeten und unterdrückten. In volkstümlicherem Ton ist diese Tendenz ausgeprägt in den „Polenliedern“, welche die ganze Energie der späteren politischen Lyrik atmen. Georg Herwegh kann in vieler Hinsicht als ein Jünger Platens betrachtet werden. Ebenso volkstümlich sind viele seiner Balladen, mag der Dichter nun den Einsiedler von St. Just oder Kolumbus und Alarich feiern. Was seine großen satirischen Komödien „Die verhängnisvolle Gabel“ und den „romantischen Oedipus“ betrifft, so werden darin litterarische Richtungen gegeißelt, die der Vergangenheit angehören. Dennoch sind diese Dichtungen nicht veraltet; sie atmen eine so schöne Begeisterung für echte Kunst, daß sie eine dauernde Mahnung bleiben müssen für alle Zeiten dichterischer Verwahrlosung. Hier lockt Platen in der That „der Sprache Zierden ab, daß alle Welt erstaunet“:

„Weltgeheimnis ist die Schönheit, das uns lockt in Bild und Wort;
Wollt ihr sie dem Leben rauben, zieht mit ihr die Liebe fort:
Was noch atmet, zuckt und schaudert, alles sinkt in Nacht und Graus,
Und des Himmels Lampen löschen mit dem letzten Dichter aus!“

G.     

Das Denkmal der Brüder Grimm in Hanau. (Zu dem Bilde S. 741.) Als der hundertjährige Geburtstag Jakob Grimms, der 4. Januar 1885, in weiten Kreisen des Vaterlands zum festlichen Anlaß wurde, sich der nationalen Bedeutung seines Wirkens wie des seines Bruders Wilhelm zu erinnern, fand die begeisterungsvolle Dankbarkeit ihren Ausdruck in dem Beschlusse, den beiden Bahnbrechern der deutschen Altertumsforschung, den Wiederbelebern der deutschen Volkspoesie, ihrer Märchen und Sagen ein gemeinsames Denkmal zu setzen. Ist doch die Gemeinsamkeit ihres Forschens eine so innige gewesen, daß sie ihre Sammlung der deutschen Volksmärchen geradezu als das Werk der „Brüder Grimm“ der Nation übergaben, in deren Bewußtsein diese Brüder seitdem eine litterarische Einheit bilden, aus welcher die Verdienste des einen nicht loszulösen sind von den Verdiensten des anderen. Und in dieser idealen Eintracht der Geister und der Gemüter ist es auch dem Künstler, der dann siegreich aus der Konkurrenz um den besten Denkmalsentwurf hervorging, dem Münchener Bildhauer Professor Eberle, gelungen, das kerndeutsche Gelehrtenpaar darzustellen. Das nunmehr in ihrer Vaterstadt Hanau enthüllte Denkmal zeigt den jüngeren der Brüder, Wilhelm, sitzend, mit einem Buch auf dem Schoß, während Jakob stehend die Linke auf die Lehne des Stuhls stützt und nachdenklich über die Schulter des Bruders auf die Blätter herabschaut, in denen dieser forschend liest. Die feine Sinnigkeit Wilhelms, die energischere Geisteskraft Jakobs ist in den Gesichtern gar lebensvoll charakterisiert. In die vorzügliche Ausführung der Figuren in Bronzeguß haben sich die Ruppsche und die Millersche Erzgießerei in München geteilt. Das schöne Bildwerk, das sich jetzt hochragend auf dem Hanauer Marktplatz erhebt, ruht auf einem Stufenunterbau von schwarzem Granit. Auf der Stirnseite desselben stellt ein Bronzerelief eine reizende Gruppe dar, ein Mütterchen, das der Jugend Märchen erzählt; demselben entspricht auf der Rückseite ein zweites Reliefbild: ein Gelehrter unterrichtet die Jugend. P.     

Erwerbsmöglichkeiten für deutsche Frauen in Amerika. Viele deutsche Mädchen richten, seitdem die Frauenarbeit auf der Weltausstellung in Chicago einen so ehrenvollen Erfolg errungen hat, ihre Blicke auf Amerika und möchten dort eine einträgliche Stellung finden. Aber sie sind gewöhnlich ganz im unklaren über die Wege dazu sowie über die Art der Leistung, welche dort Aussicht auf gute Bezahlung hat. Sie alle seien hierdurch aufmerksam gemacht auf einen älteren, aber noch völlig zutreffenden Aufsatz, welchen C. Wenckebach, Professorin am Wellesley College, Massachusetts, in der bekannten Zeitschrift „Die Frau“ (Verlag von W. Moeser in Berlin) veröffentlicht hat. Die erfahrene und urteilsfähige Verfasserin stellt darin zunächst fest, daß die Arbeit suchende junge Deutsche aus guter Familie den Begriff „standesgemäß“ zu Hause lassen muß, weil in Amerika nicht ein Unterschied zwischen Arbeiterinnen aus höheren oder niederen Ständen, sondern nur zwischen unausgebildeten und ausgebildeten Arbeiterinnen gemacht wird. Nur die letzteren haben Aussicht auf lohnende Arbeit, sie müssen aber beim Suchen derselben die in Deutschland so hochgeschätzte mädchenhafte Bescheidenheit mit einem ruhigen Selbstbewußtsein vertauschen, welches ohne Untertänigkeit die eigenen Leistungen ins rechte Licht setzt und dafür einen möglichst hohen Lohn zu erlangen sucht.

Diese Leistungen müssen bestimmte, den amerikanischen Bedürfnissen angepaßte sein. Gar keine Aussicht hat die in Deutschland so vielbeliebte „Stütze der Hausfrau“, das heißt, das junge Mädchen mit hilfsbereiten, aber ungeübten Händen, das mit geringem Lohn zufrieden ist, aber „völligen Familienanschluß“ als erste Bedingung stellt. Letzterer wird in keiner guten amerikanischen Familie einer Unbekannten gewährt, außerdem erfordert die Art des dortigen Haushalts keine „Stützen“, sondern Köchinnen, Kindermädchen, Haushälterinnen etc.

Da der Lohn dieser sämtlichen Dienstboten ein für unsere Begriffe sehr hoher ist (40 bis 160 Mark monatlich bei freier Station), da außerdem in den Häusern gebildeter und wohlhabender Amerikaner die Dienstboten hübsch möblierte Zimmer mit einer kleinen Bibliothek, häufig mit Nähmaschine und Klavier ausgestattet, bewohnen und die Behandlung durchaus höflich ist, so besteht gar kein Hindernis für eine junge Deutsche, auch aus besserer Familie, sofort in Dienst zu treten und allmählich zur hochbezahlten Hausaufseherin aufzurücken, ja noch weiter, wenn sie den Gehalt von ein paar Jahren zusammenlegt, um eine Industrieschule zu besuchen, und sich dem gewerblichen Leben zuwendet.

Glänzend bezahlt werden geschickte Schneiderinnen und Putzmacherinnen; einfache Arbeit nach dem Modejournal wird mit 25 bis 75 Mark für das Kleid berechnet, wer aber „Originaldichtungen in Seide und Spitzen“ zu machen versteht, kann mit der Zeit ein Vermögen erwerben.

Die deutsche Krankenpflegerin findet gleichfalls Arbeit und guten Verdienst, die geprüfte Aerztin muß den amerikanischen Studiengang nachholen.

Die deutsche geprüfte Lehrerin hat als Gouvernante nur dann Aussichten, wenn sie fließend französisch und englisch spricht, Musik und Zeichnen versteht. Kann sie statt der beiden letzteren Fächer Latein oder Griechisch lehren, so besitzt sie damit auch eine Anwartschaft auf guten Erwerb. Eine Schulstelle ist indessen jeder Privatstelle vorzuziehen, weil sich von ihr aus die Bahn zu den höheren Schulen, zu College und Universität eröffnet, wenn Talent und Charakter vorhanden sind.

Möchten doch recht viele Eltern junger Mädchen, die sich später ihr Brot verdienen sollen, diese vortrefflichen Winke beachten. Die Ausführungen von C. Wenckebach gelten nicht für Amerika allein: auch bei uns führt eine bestimmte Fachausbildung viel sicherer zum Erfolg als die verschiedenen halben Fähigkeiten, welche leider noch so oft die ganze Mitgift unserer Mädchen ausmachen! Bn.     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0755.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)
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