verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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„Hm – hm – allerdings – das muß sehr hübsch sein; wer hat Ihnen denn das erzählt?“
„O, Lieutenant Kurz, er war Weihnachten hier!“
„Und unterhielt hernach die jungen Damen daheim mit seinen Erlebnissen – unglaublich!“ brummte Leo in sich hinein. „Man sollte wahrhaftig die kleinen Mädchen unter Glasglocken setzen, um sie vor solchen Strohköpfen zu schützen.“
„Nun, wie ist’s mit dem Apollo-Theater?“ fragte Annie.
„Nein, mein Fräulein, darauf wollen wir verzichten, das ist nichts für uns. Wir gehen ins Königliche Schauspielhaus und sehen uns das ‚Käthchen von Heilbronn‘ an. Heute ist’s mir so, als könnte man die Offenbarungen, die diese Dichtung predigt, fassen. Und vor dem Herrn Papa bestehen wir jedenfalls damit besser!“
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Der Oberst und sein Töchterchen hatten das Coupé schon bestiegen, und während der Vater es bequem für sie beide da drinnen arrangierte, blickte Annie noch immer hinaus auf den Bahnsteig. – Leo hatte zwar nicht versprochen, zu kommen, im Gegenteil, als sie nach dem gestrigen unvergeßlichen Tage Abschied nahmen, hatte er ihr gesagt, daß er gern bei ihrer Abreise am Bahnhof sein würde, aber wegen dringlicher Arbeiten es nicht könne. Er würde in spätestens acht Wochen bei dem Herrn Oberst sich dieserhalb daheim entschuldigen, sie möchte ihm jetzt schon sagen, daß sie ihm verzeihe, und sie hatte wehmütig dreingeschaut, aber sich zu einigen scherzenden Worten gezwungen. Was sie indessen gestern geglaubt, heute glaubte sie es nicht mehr. Sie bangte sich ja jetzt schon so grenzenlos – und acht Wochen! – Wenn er diese kürzen kann, durch einen Gang hierher, so wird er es trotz allem auch thun, das weiß sie gewiß, das sagt ihr das heftig klopfende Herz.
Und wie nun langsam, ganz langsam der Zug sich in Bewegung setzt, sieht Annie die bekannte Gestalt hastig die Treppe in die Höhe springen. Sie winkt mit dem Tuche einen Gruß und biegt sich weit hinaus, alle Rücksicht auf den Vater und die Mitreisenden vergessend. Da hat er sie gesehen und läuft neben dem Wagen her.
„Leben Sie wohl, Fräulein Annie, leben Sie wohl – hier,
ein paar Blumen zum Gedenken! – Ah, verehrtester Herr Oberst,
meine gehorsamste Empfehlung, glückliche Reise! Auf Wiedersehen,
auf Wiedersehen!“ – Und während sie heimlich eine Thräne trocknet,
pfeift er ein Liedchen vor sich hin und denkt: „Das war gut abgepaßt! –
Ja, der Kleinen mußte ich noch einmal in die blauen
Augen sehen – aber der Alte mit seinen Erkundigungen nach dem Examen
– brrr –“ (Fortsetzung folgt.)
Moderne Goldmacher.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0763.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)