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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0767.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Offenbar führte sie irgend einen Streich im Schilde; Unternehmungslust funkelte ihr aus den Augen.

„Weiß der liebe Herrgott, was die wieder vorhat,“ sagte der Senior, wackelte mit dem Kopfe, zog seinen Rosenkranz aus der Tasche und fing an zu beten.

Der Hirt und Franzka gingen in die Kirche nach Wolitz. „Könntest auch mit, Du,“ hatten sie Milenka ermahnt und ein paar Anti-Kosenamen hinzugefügt.

„Geht nur voraus, ich hol’ euch ein!“ hatte sie geantwortet und ihnen, als sie den Rücken gewandt, eine lange Nase gemacht. Jetzt stand sie auf der Straße allein mit dem dummen Buben und war unbeschränkte Herrin der Situation. „So, jetzt komm“, sprach sie, „setzt thun wir’s!“

„Was denn?“

„Was – w – as? fragst wie die alte Hex’ – w – as? – Das also! Heute traut sich keine Seel’ in den Wald, ich hab’ ihnen allen gestern eine gehörige Angst eingejagt, heute gehen wir und klauben alles zusammen, alles allein, wir zwei!“

Er meinte, daß sie ihn zum besten habe wie so oft, zuckte die Achseln und sagte: „Was Dir einfällt!“

Sie faßte ihn entschlossen bei der Hand. „Wirst schon sehen, was mir einfällt, komm nur! Ich zeig’ Dir einen Platz, wo so viel Erdbeeren sind, wie Du in Deinem ganzen Leben nicht gesehen hast.“

Ihr überzeugter Ton machte Eindruck auf ihn, besiegte aber seine Zweifel nicht. „Wie sollen wir sie denn nach Hause bringen, die Erdbeeren? Wir haben ja keine Töpf’!“

„Wir leihen uns halt ein paar aus.“

„Ja, just, wer wird nns was leihen?“

Sie zeigte ihm die Zunge.

„Wer? Der’s nicht weiß, daß wir uns bei ihm was ausborgen. Komm!“ Und sie schlug den Weg ein, der zum Haus der Hexe führt. Ja wahrhaftig, zum Haus der Hexe, und als Franzko ihr dahin nicht folgen wollte, stieß sie ihn mit Fäusten und Füßen und nannte ihn einmal ums andere Kalb.

Und dann schmeichelte sie ihm und vertraute ihm ein Geheimnis an. Die Hexe ging, wie er ja wußte, zu Mittag immer fort mit ihren Ziegen, um sie am Waldesrand grasen zu lassen, und kam vor Abend nicht heim. Diese Zeit hatte Milenka schon einmal benutzt, um ins Hexenhaus einzusteigen.

„Einzusteigen! Verwundere Du, ,zerkreuzige‘ Dich!“ beantwortete sie seinen Ausruf des Entsetzens bei dieser vertraulichen Mitteilung. „Ich war drin. Den Laden, hinten beim Stall, den hab’ ich aufgemacht. Wie? – halt so – – man muß halt geschickt sein!“ …

Und was sie alles gesehen hatte im Hause der Hexe! Einen Schlangenkopf mit einer goldenen Krone, und eine abgeschnittene Hand, eine weiße, schmale, mit Fingern und Nägeln – ach – ach! … Und ein Messer, viel, viel länger und spitziger als die Zinken der größten und spitzigsten Heugabel, und die graue Haube, die die Hexe aufsetzt, wenn sie eine andre Gestalt annehmen will, oder wenn sie sich unsichtbar machen will. Und auf dem Bort ueben dem Herd fünf schöne, glasierte Töpfe, zwei grüne, zwei braune und einen weißen mit einer Rose drauf.

Und zwei von diesen Töpfen wollte sie jetzt holen gehen und Franzko mußte Wache halten, während sie einstieg bei der Hexe. An der Ecke des Zaunes, befahl sie ihm, stehen zu bleiben. „Und wenn Du jemand von weitem kommen siehst, gluckst Du wie eine Henne, verstehst?“

Es war aber weit und breit kein Mensch zu sehen. Franzko hörte auch nichts außer dem dumpfen Dröhnen in seinem Kopfe und dem Klopfen seiner Adern an den Schläfen. Gott, Gott! wenn sie doch käme! wenn sie heil zurück käme aus dem Hexenhaus! … Wenn ihr nichts geschehen wäre, müßte sie längst da sein. Er betete ein Vaterunser, er zählte bis zwanzig und betete wieder, verging fast vor Angst um sie und stöhnte: „Milenka! Milenka!“ Seine Angst stieg aufs höchste und er begann zu glucksen. O Seligkeit! da war sie und brachte zwei Hafen mit. Für ihn einen vom Drahtbinder schon geflickten, für sich – unfaßbare Keckheit! – den mit der Rose.

Und nun vorwärts, im Laufschritt in den Wald, ums Dorf herum, auf den schmalen Hohlweg, in dem man sich so gut verstecken kann hinter den üppigen Weißdorn- und Haselbüschen, wenn einem ein Angeber begegnen sollte. Die Kinder begegneten aber nur einem jungen Mädchen, das ihnen lachend zurief: „Gesindel!“ und einem alten Mann, der eine störrische Kuh auf die Weide führte.

„Schon wieder in den Wald, verfluchtes Pack?“ wetterte er die beiden an. „Wißt ihr nicht, daß es verboten ist? Das Pack macht Schaden im Wald und uns jagt man hinaus.“

Milenka lachte laut und frech, und er schnalzte mit der Peitsche nach ihr – sie duckte sich, Franzko empfing den Streich, der ihr gegolten hatte und einen roten Striemen auf sein Gesicht hinmalte vom Ohr bis zum Mundwinkel. Das machte ihm keinen Eindruck, auch er lachte.

„Ach, Du, Milenka, beinah’ hätt’ er Dich erwischt!“

Sie rannten weiter, und der alte Mann, der seine Kuh nicht verlassen konnte, schimpfte ihnen nach.

Und nun im Walde!

Ja, das ist wahr, Milenka weiß die besten Plätze! Eine Viertelstunde nur geradeaus hinauf gestiegen zwischen den schlanken Buchen und Erlen, und man ist auf der Stelle, auf der im vorigen Jahr der Holzschlag war! Die Baumklötze sind noch da und treiben gewaltig aus, es wuchert alles in dem guten Waldboden, die Blütenkerzen des Fingerhuts in ihrer wechselnden Farbenpracht, das dichtblättrige Bilsenkraut, der kampflustige Stechapfel stolzieren als Bäumchen, und zu ihren Füßen schimmert es rot: Erdbeeren, lauter Erdbeeren! Man braucht sich nur zu bücken und hat die Hände voll. Im Nu ist der braune Hafen und der mit der Rose mehr als zur Hälfte mit Früchten gefüllt.

Milenka wirft einen raschen Blick nach der Ernte Franzkos, steht plötzlich auf, ergreift mit beiden Händen seinen Hafen und leert ihn in den ihren aus, daß die Erdbeeren hoch aufgetürmt an allen Seiten niederrieseln.

Er kniet auf dem Boden, schaut wie erstarrt zu ihr hinauf. „Milenka, was thust?“

Sie stellt den Hafen auf ihr Tüchlein, das sie vom Kopf genommen hat, knüpft die vier Enden zusammen, hebt sie in die Höhe und läuft davon.

Franzko macht keinen Versuch, ihr zu folgen, er weiß, daß er ihr nicht nachkommen kann, sie ist wie ein Reh. Nur schreien kann er und schreit denn aus allen seinen Kräften: „Milenka, Milenka! Diebin, abscheuliche!“ Bald aber ergreift ihn eine furchtbare Wehmut; sein Zorn erlischt. „Milenka, liebe Milenka! Erbarm’ Dich meiner! Komm zurück! komm zurück, Milenka!“ In allen Tönen des Schmerzes und der Zärtlichkeit wiederholte er ihren Namen.

Sie hört ihn nicht, sie ist fort, hat ihn bestohlen und verlassen.

Was soll er anfangen? Er war noch nie im Badeort, hat dort noch nie Erdbeeren verkauft, das hat immer die Mutter besorgt. Verzweifelnd wirft er sich auf die Erde und weint, und schluchzt über sich, über Milenka, über sein Elend und über ihre Schlechtigkeit. In Strömen laufen die Thränen ihm über das Gesicht, er kommt sich unaussprechlich arm und bedauernswürdig vor. Immerfort weinend und schluchzend fängt er nun aber doch an, die verschütteten Erdbeeren aufzulesen, fängt auch zu pflücken an, und der Beeren scheinen immer mehr zu werden, sie drängen sich förmlich von selbst unter seine Finger, rufen ihn förmlich an: Pflück’ uns! Pflück’ uns! – Es ist wie im Märchen, wie im Traum.

Ein paar Schritte weiter – da strotzt es von Erdbeeren, so groß wie Haselnüsse. Von solchen Erdbeeren weiß nicht einmal die verräterische Milenka, nur er allein! Sein Stolz, sein Trotz erwachen: sie soll auch nichts von ihnen wissen, er sagt ihr nichts, er braucht sie nicht, wird seine Erdbeeren verkaufen ohne sie. Er wischt sich mit dem Aermel die letzten Thränen vom Gesicht und weint nicht mehr, weil er nicht mehr weinen will. Ueber das schwere Schluchzen, das seine schmale eingesunkene Brust stoßweise hebt, hat er keine Macht, das dauert fort und beengt ihm den Atem. Er muß innehalten, sich aufrichten auf den Knien, den Kopf erheben … Allmächtiger! … Wie gebrochen sinkt er im selben Augenblick in sich zusammen … Der kleine alte Jäger Slamek mit den krummen Beinen und dem lehmfarbigen Gesicht steht da, hat einen Hund an der Leine, und der ist auch alt und ist halb blind und schnüffelt und wittert am Boden herum, giebt aber keinen Laut. Unhörbar sind sie herangekommen. Franzko hat ihnen wohl selbst die Richtung angegeben, in der sie zu suchen haben, als er wie sinnlos nach Milenka schrie. Der Jäger wirft einen Blick auf den Buben und sieht dann weg. Gerührt sein ist

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0767.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)
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