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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0795.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

geschehen? Rege Dich doch nicht so auf, es könnte Dir schaden! Aber sage mir nur, warum Du so außer Dir bist!“

Elfe schluchzte immer weiter, ließ aber ihren Kopf geduldig an seiner Brust ruhen, und als er mit Fragen nicht aufhörte, gab sie endlich unter erneutem Weinen die Antwort: „Mama hat mich gescholten. Sie sagt, Du nähmest mir den Scherz von vorhin übel.“

„Mein Himmel,“ sagte er ungeduldig, „wie ist das nur möglich! Wie kannst Du, Mamachen, mich für einen solchen Pedanten halten? Sie spricht ja manchmal ein unbedachtes Wort, das verzogene Kind, aber sie meint es niemals schlimm! Das weiß ich am besten! … Trockne Deine Thränen, Liebchen, ich kann sie nicht sehen – so! … lächle wieder! Mamachen weiß ja, daß Eheleute sich am besten kennen und schnell wieder ausgesöhnt sind, habe nur ein wenig Geduld,“ wandte er sich an die Mutter, „und Du wirst sehen, wie gern sie ein übereiltes Wort wieder gut macht!“

Die Geheimrätin wandte sich weg und zuckte mit einem verächtlichen Ausdruck die Schultern, während Walden, der immer eifriger auf Elfe einredete, sich bemühte, das Tuch von deren Augen fortzuziehen. Aber dieses hatte nur zur Folge, daß sie wieder heftiger schluchzte, als sie die Worte hervorstieß:

„Mama wird hier gar nichts mehr sehen, sie geht ja fort, sie schämt sich über mein Betragen zu Dir, es ist ja alles gepackt – sieh doch nur! Aber – aber – Du bist schuld an allem, und Du mußt sie so lange bitten, bis sie bleibt!“

„Mamachen,“ er drückte Elfe sanft in den Sessel und stand mit gefalteten Händen vor der Mutter, „Du wirst es uns nicht anthun, jetzt uns zu verlassen! Ich sehe die Folgen nicht ab, bei Elfes hochgradiger Erregung. Und wenn ich Dir wert bin, wie Du mich glauben ließest, so lasse mich Dich nicht vergebens beschwören, erfülle meine Bitte und bleibe bei uns!“

„Aber, Kinder,“ rief ganz ärgerlich die Frau Geheimrat, „es ist ja ganz unglaublich, wie alles gleich von euch aufgebauscht wird! Papa ist so lange allein – nur an ihn dachte ich bei dieser Entschließung. Aber, meinetwegen, wenn ihr es durchaus wollt, so bleibe ich noch ein bis zwei Wochen. Du mußt aber auch vernünftig sein, Elfe! Die Sache ist nach Deinem Wunsche erledigt, nun weine auch nicht länger, man kann mit etwas gutem Willen auch dagegen kämpfen. Willst Du Eau de Cologne nehmen, Kind? Laß nur, ich wasche Dir den Nacken und die Stirn!“

„Das Wetter ist so schön, Weibchen – sieh, wie die Sonne scheint – soll ich nicht nach dem Wagen schicken? Wir fahren ein wenig in die Luft, das wird Dir gut thun.“

„Du sagtest erst, Du müßtest ins Bureau,“ antwortete sie, noch immer von Schluchzen unterbrochen.

„Nein, ich gehe nicht, ich bleibe bei Dir. Mein Frauchen geht allem voran. Wir fahren im Tiergarten spazieren und dann besorgen wir uns Billets zum Abend. Wir sind in dieser Woche noch nicht im Theater gewesen – und nach demselben essen wir bei Dressel, da schmeckt es Dir ja immer, nicht wahr? Ist es so gut, ist es Dir recht?“

„Wie Du willst, ich bin mit allem zufrieden.“

„Nun, mein Herz, dann schlage ich vor, wir fahren auch noch bei Gerson vor. Da sah ich gestern am Fenster eine reizende goldgelbe Blouse mit einem Bolero-Jäckchen von Schmelz darüber, die würde meinem Liebchen reizend stehn, was meinst Du, die holen wir uns? Und nun komm’, Schatz, und mach’ Dich flink zurecht für die Fahrt, das soll heute ein schöner Tag werden! Auf Regen folgt immer Sonnenschein.“

Als die Frau Geheimrat am Abend noch ganz warm und erregt von allen den verschiedenen Genüssen, die ihr dieser Tag in der Hauptstadt geboten, ihr Zimmer betrat, lag auf dem Tische ein Brief von Lisbeth, dessen bloßer Anblick schon ihr ganzes Denken wieder der Heimat zulenkte. Was würde darin stehen? Jetzt hatte sie beschlossen, die lebhaft gewünschte Rückreise vorläufig aufzugeben, von dem so friedlich verlaufenen Tag zu der Hoffnung bekehrt, daß unter ihrem Einfluß sich das Zusammenleben des Waldenschen Ehepaares noch ganz befriedigend gestalten könne, und sie mochte keinesfalls eine Disharmonie durch ihre Abreise hinein bringen. Ihr heute gegebenes Versprechen, noch ein bis zwei Wochen hier zu bleiben, wollte sie halten; bis dahin würde Elfe sich drein gefunden haben, daß es ihre Pflicht sei, die Rücksicht auf ihren Gatten für ihr Thun und Lassen als maßgebend gelten zu lassen. Heute war doch Elfe wirklich ganz verständig gewesen – sie selbst hatte recht das Gefühl gehabt, als ob ihre Ermahnungen auf fruchtbaren Boden gefallen wären. Wenn doch diese Hoffnung sie nicht täuschte, wenn das Schicksal ihr diese Sorge vom Herzen nähme! Was wollte Elfe denn eigentlich? Konnte ein Mensch es noch besser haben? Dieser Reichtum hier, der es ihr gestattete, alles zu besitzen, wonach sie Verlangen trug, und jeden Wunsch, ja, jede Laune selbst berücksichtigt zu sehen – dann die Aussichten, die Walden für die Zukunft hatte! Stand er bei seinen Vorgesetzten doch so hoch angeschrieben, daß der Minister selbst ihr neulich gesagt hatte, ihrem Schwiegersöhne stünde eine schnelle Beförderung in seinem Amte bevor! Endlich das Ansehen, das seine Familie als eines der ältesten Adelsgeschlechter hier sogar in den vornehmsten Kreisen genoß! Wirklich, es war geradezu lächerlich, wenn Elfe sich unglücklich fühlen wollte! Aber es war ja auch nur ihr Uebelbefinden, das sich auf diese Weise äußerte, und wenn man sie etwas energisch anfaßte, dann besann sie sich doch, wie man ja heilte gesehen hatte, leicht auf ihre Pflicht!

Unter diesen Erwägungen hatte sie den Brief geöffnet und den Anfang überflogen, der einige Fragen ziemlich flüchtig beantwortete, dann las sie langsam und halblaut vor sich hin:

„Ich wollte Dich eigentlich in dieser Erholungszeit, die Du Dir jetzt gönnst und die Dir auch so nötig war, nicht durch die Mitteilung beunruhigen, daß ich es für Papa doch sehr wünsche, Du kämest bald zurück. Er hat heute seine alljährige Revisionsreise angetreten, die zwölf bis vierzehn Tage beanspruchen wird – könntest Du es nicht einrichten, daß er bei seiner Rückkehr Dich schon zu Hause findet? Du weißt, wie sehr er Dich stets vermißt, und wenn er es Dir auch nie geschrieben hat und ich auf seine Anordnung es nicht schreiben durfte, diesmal ist es mehr als je gewesen, denn der Kummer um Leo drückt ihn sichtlich darnieder. Es ist auch gar zu ungemütlich bei uns. Leo wird von Tag zu Tag finsterer und schweigsamer, er geht fast nie mehr aus, sitzt in seinem Zimmer und schreibt Briefe, und die Antworten, die er darauf bekommt, machen ihn noch verstimmter. Wenn er nur mit sich reden ließe; alle Menschen sagen es mir, es stünde gar nicht so schlimm um seine Zukunft, er könnte sich immer auf die vorzüglichen Zeugnisse, die er von seinen hiesigen Vorgesetzten hat, berufen. Aber er ist so empfindlich und so verbittert; wenn ich ihm mit einem Vorschlag komme, fragt er allemal, ob er schon zu lange hier sei.

Wie Papa darunter gelitten, kannst Du ermessen, und so sehr ich mich bemüht habe, den Ausgleich herzustellen, es ist mir schlecht genug gelungen! Dies und manches andere lastet auch auf meinem Gemüt.

Papa hat Dir wohl geschrieben, daß ich in vergangener Woche meine liebe Freundin Gertrud Römer durch den Tod verloren habe. Sie war noch so jung und lebte so gern, da glaubt man es kaum, daß man ihr Scheiden jemals verwinden kann. Ganz unvorbereitet traf uns dasselbe nicht. Der Arzt hatte zu Tante Römer gesagt, daß es das letzte Stadium der Schwindsucht sei, aber wenn sie auch täglich mehr verging, sie war außer Bett, war immer unter uns und immer gleichmäßig freundlich und hoffnungsvoll. Man konnte also nicht ahnen, daß ihr Ziel so kurz gesteckt war. Am letzten Abend ihres Lebens saßen wir noch alle beisammen und, wie das so kommt, wir sprachen von unserer Kinderzeit und sie war unerschöpflich in Erinnerungen an allerlei scherzhafte und fröhliche Vorgänge und lachte wiederholt herzlich. Dann beim Abschied küßte sie mich innig und wiederholte mehrmals: ,Wie glücklich ist doch mein Leben gewesen!‘ – – Es waren dies die letzten Worte, die ich von ihr hörte, denn in der Nacht bekam sie einen heftigen Blutsturz, und als man mich rief, fand ich sie schon bewußtlos, und nach wenigen Stunden ging sie hinüber.“

Die Frau Geheimrat ließ die Hand, die den Brief hielt, sinken – auch das noch! – auch noch diesen Kummer hatte ihr Mann mit Lisbeth zu tragen gehabt, denn daß diese sich ganz demselben hingegeben haben würde, das wußte sie, sie kannte ja Lisbeths zärtliche Freundschaft für Römers! – Und Leo, welche Zukunft erwartete ihn? Ach, was war aus ihrem sonnigen, heiteren Heim geworden! – (Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0795.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2024)
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