verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
|
indem er die Thür zum Wohnzimmer aufstieß und Leo Brückner mit einer Handbewegung hinein nötigte. „Sieh her, ein alter Bekannter – darum auch besonders willkommen!“ Und während Leo nun Frau von Giersbach und Annie begrüßte und die Knaben aus ihrer Stube neugierig die Köpfe hereinsteckten, frug er behaglich: „Was kriegen wir zu essen? Wir sind mordshungrig nach dem langen Spaziergang. Geh’, Annie, revidiere einmal die Speisekammer und fahre auf, was Du drin hast! Und, höre einmal, eine Flasche Rum auf den Tisch – wir sind durchgefroren – mag das fade Zeugs von Thee heute nicht – wollen uns einen steifen Grog brauen, nicht wahr, Herr Brückner, wie sich das für Männer gehört!“
„Wir kriegen auch Rum,“ rief der jüngste der Giersbachschen Sprößlinge, „nicht wahr, Papa? Wir sind auch ‚Männer‘ – bloß die Annie kriegt nichts.“
„Du wirst gleich was anderes kriegen, Schlingel,“ rief der Vater gutgelaunt und schüttelte den Jungen herzhaft, „was hast Du hier zu suchen? Hast Du schon Dein Exercitium fertig? Nicht? Vorwärts – ’raus mit Dir!“
Bald ging es ins Speisezimmer. Papa hetzte erst noch ein wenig sein Töchterchen herum, aber dann war er zufrieden.
„Sehen Sie,“ sagte er, „nun geht’s schon: Kartoffelsalat, Spickgans und Hasenbraten, na – und da ist ja auch noch eine Wurst! Reiche mir die nur her, Mütterchen, die werde ich tranchieren! Für Eure Frauenzimmer-Häppchen habe ich heute keine Passion. Und was – da ist ja auch Remoladensauce! – ei, sieh einmal, Kleine, Du hast Dich ja heute gewaltig herausgemacht! Ja, denken Sie nur nicht, Herr Brückner, daß es mir immer so gut geht; daß sich meine Damen so anstrengen, ist nur Ihnen zu Ehren.“
So ging’s weiter – Leo Brückner traute gar nicht seinen Augen und Ohren. War das der brummige Alte, der sich hier in seinem Hause so launig, so behaglich und so gemütlich gab? Und mit welcher Herzlichkeit er den Wirt machte – freilich, ein bißchen diktatorisch ging er dabei vor. Als er sah, daß Annie nur so des Scheines halber ein Stückchen Fleisch genommen und daran herum pickte wie ein Vogel, lud er trotz ihrer Gegenreden eine ganz kräftige Portion auf ihren Teller ab und befahl einfach: „Das wird ohne Murren aufgegessen – verstehst Du?“ Auch Grog mußten seine „Weibsen“ trinken, es half ihnen nichts, daß sie sich wehrten: und bald machte sich die Wirkung dieses ungewohnten Getränkes geltend und bei der kleinen Tafelrunde herrschte eine solch’ vergnügte Stimmung, daß des Lachens kein Ende war. Nach Tische kommandierte der Oberst die Knaben zum Gute-Nacht-Kompliment – der Kleine eroberte sich sogar noch einen harmlosen „Katzenkopf“, weil er infolge des halben Theelöffels Rum nicht gerade marschieren konnte – und dann sagte er mit einem wohlbehaglichen Schmunzeln: „Nun kommen Sie, junger Freund, und zünden Sie sich eine Cigarre an, ja – meine Frau erlaubt’s, trotz der frisch gewaschenen Gardinen! Das ist nun meine beste Stunde! Jetzt setze ich mich zu ihr aufs Sofa, rauche meine Cigarre, manchmal werden es auch zwei oder drei, und trinke meinen Abendtrunk. Nun, Annie, wo ist der Mosel?“ – und auf einen fragenden Blick seiner Tochter – „natürlich erste Sorte, wenn man einen lieben Gast hat!“
Und wie er das klare Naß in die Gläser schenkt, fährt er fort: „Sehen Sie, dieses ist ein ganz schöner Tropfen, der läßt sich schon trinken. Sonst ist mein Abendtrunk ein ,Surius‘ für achtzig Pfennige,“ und mit einem neckenden Blick auf seine Frau, „meine Frau giebt mir keinen anderen, da muß ich mir schon einen Gast einfangen, wenn ich einmal den da trinken will.“
„Aber, Papa,“ sagt da Frau von Giersbach und errötet ganz tief, was ihr ein ordentlich jugendliches Ansehen giebt, „aber, Papa, wie machst Du uns heute schlecht! Wirklich, Herr Brückner wird noch glauben, daß –“
„Der alte Giersbach von seiner jungen, hübschen Frau pantoffelt wird,“ lacht mit dröhnendem Basse der Oberst. „Na, sieh einmal, Mütterchen, dann trifft er doch nur den Nagel auf den Kopf! Was hilft das Verstellen, in der Stadt wissen es schon alle Menschen!“
Und in diesem heiteren Ton verlief der ganze Abend. Sie kamen wohl auch auf etwas Ernstes zu sprechen – ab und zu guckte einer in die Abendzeitung und das gab dann Stoff zu einem neuen eingehenden Gespräch, aber immer sahen sie die Welt und alle Geschehnisse milde und menschenfreundlich an, hofften bei jeder zweifelhaften Frage die friedlichste Lösung, gönnten jedem das Beste und freuten sich des Glückes, das anderen geworden war.
Als Leo nach Hause ging, trug er das Gefühl mit fort, um eine wirklich wertvolle Erkenntnis reicher geworden zu sein.
Nein, sagte er vor sich hin, die Welt ist nicht so schlimm, wenn es noch solche Menschen darin giebt! Und wenn solche Menschen mich nun trotz alledem nicht aufgeben, sondern noch ihrer Freundschaft wert halten, dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich es nicht fertig brächte, mich dieser Freundschaft noch einmal würdig zu zeigen! (Fortsetzung folgt.)
Mehr Ruhe!
Die fortschreitende Kultur hat namentlich in den Städten das Leben und Treiben der Menschen von Grund aus umgewandelt. In dem steinernen Häusermeer regt sich der emsigste Gewerbefleiß und durch die weiten Straßen flutet der rascheste Verkehr. Dahingeschwunden ist die Beschaulichkeit der guten alten Zeit, das neue Geschlecht lebt und arbeitet mit früher unbekannter Hast. Dabei tritt es geräuschvoller auf. Wo einst der biedere Schmied seinen Hammer schwang, saust jetzt dröhnend der Dampfhammer nieder; wo einst langsam die wackeren Fuhrknechte die schwerbeladenen Wagen zu den Thoren der Stadt geleiteten, fahren jetzt schnaubend die donnernden Züge der Eisenbahn aus und ein. Lärm, immer lauter werdender Lärm ist ein steter Begleiter der großen Wandlungen im Verkehr und in der Industrie, denen wir so viele Wohlthaten verdanken. Er ist aber eine der Schattenseiten der Kultur, ein zudringlicher Gesell, vor dem man sich nicht schützen kann, der selbst durch geschlossene Fenster dringt und uns in unserm Heim belästigt. Wer von den Einwohnern unserer Großstädte klagt nicht über Straßenlärm? Er stört den Kaufmann, der seine Ware feilbietet und vor Wagengerassel sich mit den Kunden kaum zu verständigen vermag; vor allem aber ist er unerträglich für das große Heer der geistigen Arbeiter, die gerade in den Großstädten schaffen müssen, für die Beamten, die rechnen und schreiben, für die Bureauarbeiter und Gelehrten und für alle, die lehren oder lernen müssen. Indem der Lärm Hunderttausende im Arbeiten stört, ihnen die nötige Ruhe und Sammlung raubt, wird er zu einem Feinde der Gesundheit; er ist eins jener schädlichen Momente, durch welche die Menschen mehr und mehr nervös werden.
Es ist darum eine beachtenswerte Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege, diesem Uebelstand in unserm großstädtischen Leben abzuhelfen. Freilich wird es niemals gelingen, den Lärm gänzlich von der Straße zu bannen, aber seine schlimmsten Auswüchse lassen sich wohl ausmerzen, so daß jenes Uebel wenigstens zu einem erträglichen wird. So kann z. B. der hauptsächlichste Ruhestörer in den Städten, das unaufhörliche Wagengerassel in verkehrsreichen Straßen, durch Einführung eines besseren, zweckmäßigeren Pflasters, z. B. des Asphaltpflasters, bedeutend gemindert werden.
Ueber geräuschloses Pflaster als Forderung der Gesundheit haben sich namhafte Aerzte ausgesprochen; v. Ziemssen sagt in einer Rede, welche die Begriffe „Uebung und Schonung“ behandelt: „Ganz besonders angreifend für das arbeitende Nervensystem ist Unruhe und Geräusch in der Umgebung, insbesondere das Wagengerassel auf den Straßen. Die wechselnde Erschütterung, welche die Gehörnerven immer von neuem trifft, wirkt auf das arbeitende Gehirn für die Dauer geradezu erschöpfend. Es ist deshalb wenigstens für die Großstädte die Beschaffung geräuschlosen Pflasters nicht mehr allein Sache finanzieller Erwägung, sondern eine eminent praktische Forderung der öffentlichen Gesundheitspflege, eine nervenhygieinische Notwendigkeit. Wer die Ruhe und Stille, in welcher sich der Verkehr in den asphaltierten Straßen der Reichshauptstadt abwickelt, in rascher Aufeinanderfolge vergleicht mit dem markerschütternden Gerassel
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0808.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2023)