verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Anregungen, die dem gelehrigen Knaben das Vaterhaus und das Streifen durch die schönen Umgebungen der Lahnstadt bot, von größerem Wert! Seine Neigungen waren naturwissenschaftliche; er sammelte allerlei Getier, namentlich Schmetterlinge, züchtete Raupen.
Die Eltern ließen ihm für diese Liebhaberei volle Freiheit. Anderseits nahm ihn der Vater auch nicht an das Gängelband seines besseren Wissens. „Hilf Dir selber!“ war das Motto seiner Erziehung. Und schon als kleine Burschen ließ er seine beiden ältesten Söhne beim Beginn der Ferien, das Ränzel auf dem Rücken, hinauswandern auf die Vetternstraße, der zu Seiten allenthalben im Land Verwandte wohnten, Pfarrer, Beamte, Förster, wo sie früh in die verschiedensten ländlichen Verhältnisse Einblick gewannen und speziell Karl, der kleine Zoologe, mit den Tieren des Feldes und Waldes immer vertrauter wurde. In Dauernheim, dem stattlichen Dorf in der Wetterau, dessen Pfarre vom Großvater Vogt auf dessen Schwiegersohn Kolb übergegangen war, hatten die Knaben eine zweite Heimat, mit den Söhnen der Bauern dort standen sie auf Du und Du, und als Karl Vogt im zweiten Jahr seines Studiums als Mitglied des burschenschaftlichen Korps „Palatia“ zum Opfer der Demagogenverfolgung wurde – er sollte die revolutionäre Zeitschrift „Der Leuchter“ verbreitet haben – da fand er in Dauernheim die sicherste Zuflucht, und der Sohn eines dortigen Pächters stellte die Pferde zur weiteren Flucht. Weniger gemütlich als in dem reichen Pfarrdorf der Wetterau war’s in Gladenbach, wo die jüngste Schwester des Vaters an den Steuerkommissär Eckhard verheiratet war; der Aufenthalt dort gewährte ihnen Einblick in die im hessischen Hinterland herrschende Armut. In dieser armseligen Landstadt war ihnen der Revierförster Venator eine besonders sympathische Persönlichkeit. Er war sehr gutmütig und nahm die anstelligen Buben gern mit auf seine Dienstgänge in den Wald. Diesem Mann lag es ob, gegen Holzfrevler einzuschreiten und die Betretenen ihre Strafen durch Arbeiten im Walde abverdienen zu lassen. Aber Venator war nachsichtig. „Wie sollen denn die armen Leute durch den harten Winter kommen,“ sagte er, „wenn sie nicht Holz freveln? Kaufen können sie es nicht, und Schiefer, die sie zur Genüge haben, brennen nicht … Wenn es auf mich ankäme, ließe ich nur diejenigen abfassen, die Holz stehlen, um es zu verkaufen! Die sind Diebe – die andern nicht! Aber was wissen die Herren in Darmstadt von den armen Leuten im Hinterlande, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht wünschen!“
So hatte Karl Vogt, als er vom Gymnasium auf die heimische Universität überging, in der Schule des Lebens weit mehr gelernt als auf den Bänken der Schule. Und auf der Universität hatte er dann das große Glück, zu einem Lieblingsschüler desjenigen Gelehrten zu werden, der für seine Wissenschaft gerade darin ein Reformator war, daß er auf die praktische Verwertung ihrer Forschungsresultate den größten Nachdruck legte – das war der nachmals zu Weltruhm gelangte große Chemiker Justus Liebig. Auch in dessen Laboratorium herrschte der Grundsatz: Hilf Dir selbst! „Die heutigen ‚Bequemlichkeiten des Lebens‘ in den großen Laboratorien unserer Zeit waren noch nicht erfunden; man mußte sich seine Glasgerätschaften selbst blasen, die Korke schneiden und bohren, die Gummistöcke zu Röhren zusammenlöten, die Platintiegel schmieden.“ Ebenso ließ Liebig die bevorzugten unter seinen Hörern, die in seinen Privatlaboratorium arbeiten durften, durch eigenes Nachdenken und selbständige Versuche in der Welt ihrer Wissenschaft heimisch werden. Und wie er sie so vor allem zu praktischen Chemikern machte, so wies er ihnen praktische Ziele, Ziele, die auf Hebung der Industrie und Landwirtschaft ausgingen. Bei Liebig hat Karl Vogt, obgleich er sich die Chemie nicht zur Fachwissenschaft erkor, jene Geistesrichtung erhalten, die bei allen Errungenschaften des ernsten Forschens an den Gewinn dachte, welchen die Welt außerhalb der Wissenschaft aus ihnen ziehen konnte, jene Richtung, die, von seiner Kenntnis des Volks und seiner Begeisterung für die Interessen des Volks genährt, ihn später zu einem so ausgezeichneten Volksschriftsteller unter den Gelehrten der von ihm gepflegten Wissenschaften werden ließ. Auch hierin folgte er Liebigs Beispiel direkt; als dieser 1844 seine „Chemischen Briefe“ erscheinen ließ, die darauf ausgingen, die gewaltigen Fortschritte der Chemie dem allgemeinen Verständnis nahe zu bringen, auch der Hausfrau nutzbar zu machen, ließ ihnen Vogt mit gleicher Tendenz seine „Physiologischen Briefe“, seine „Zoologischen Briefe“ folgen, und in seinen „Untersuchungen über Tierstaaten“ knüpfte er an seine naturwissenschaftlichen Darlegungen politische Kritik und politischen Ratschlag. Diese seine Thätigkeit als wissenschaftlicher Volksschriftsteller bildete auch das Band, das ihn nach seiner dauernden Ansiedlung in der Schweiz mit dem Vaterland in innigem Zusammenhang erhielt, auch später, da er sich in Genf ganz als Schweizer Bürger fühlte und als Mitglied des Großen Rats und des Schweizer Nationalrats frei die politischen Talente entfalten durfte, deren energische Regsamkeit ihm in der Heimat seiner Jugend Acht und Verfolgung zugezogen hatte. Johannes Proelß.
Blätter und Blüten.
Schwarzwild im Schnee. (Zu dem Bilde S. 809.) „Brrr! lieber F., das war doch eine verdammt kalte Sitzung, das halte der Teufel länger aus!“
Bei diesen zu meinem langjährigen Jagdfreunde, dem dicken fürstlichen Revierjäger F., gesprochenen Worten erhob ich mich von meinem Sitze, stampfte mit den Füßen und schlug mir die Hände ein paarmal um die Schultern, um die steifgefrorenen Glieder wieder gelenkig zu machen – – und vierzig Schritte von uns unter dem Futterschuppen klapperten die Geweihe zusammen und an die Raufen und aus dem Schatten heraus stürmten die Hirsche und das Wild in den schneebedeckten, vom Vollmond fast taghell strahlenden Buchenwald.
„Ja, es ist hier oben auf der Eiche ein bißchen luftig, aber wenn man Hirsche bei der Futterung sehen will, muß man den Frost nicht scheuen, sonst geht’s nicht.“
Dicht bei der Hirschfutterung in „Schlechterskampe“ steht eine mächtige Eiche, in deren Geäst eine Kanzel erbaut ist, von der aus wir die Hirsche, das Wild und auch einige Sauen beobachtet hatten, wie sie langsam nach den vollen Raufen herangezogen kamen – immer vorsichtig sichernd, ob auch die Luft rein wäre und ihnen keine Gefahr drohte. Zuerst war das Leittier an die Raufen getreten, dann war das geringe Zeug hingeeilt, hatte sich gedrängt und geschoben; zwei Schmaltiere hatten sich auf die Hinterläufe gestellt, die Luser (Lauscher) wie bissige Pferde zurückgelegt und „gefrangt“, sich spielend mit den Vorderläufen „geschnellt“. Plötzlich aber war die ganze Gesellschaft auseinander geprescht, als wäre eine Bombe zwischen ihnen geplatzt – vor einem Nichts, einer eingebildeten Gefahr – dann war das Kahlwild wieder herangetreten, und auch die Hirsche kamen angetrollt – zuletzt die starken, die „jagdbaren“, von denen ein Sechzehnender den Schluß bildete. Wo ein solcher ehrwürdiger Herr an die Raufe trat, wurde ihm sofort respektvoll Platz gemacht – und wagte es einmal ein Alttier oder geringer Hirsch, auf sein gutes Recht zu pochen und stehen zu bleiben, so machte er sie mit einem seitlichen Schlage des Geweihes darauf aufmerksam, daß hier der Wille des Stärkeren das höchste Gesetz sei.
Jetzt war alles Wild verschwunden, höchstens sahen wir noch einmal in der Ferne ein Stück zwischen den Stämmen auftauchen. Langsam kletterten wir die Leiter herab. Der fast kniehoch liegende pulverige Schnee dämpfte unsere Schritte und wir gingen so leise, als schritten wir auf Dunen dahin. Kein Luftzug regte sich, kein Wölkchen stand am Himmel; die Sterne glitzerten und funkelten wie tausend Diamanten und die Vollmondscheibe beschien mit lichtem Glanz die Bäume und malte die Zweige in ihren feinsten Linien auf den weißen Schneeteppich, durch den überall die Fährten des Wildes Pfade gezogen hatten.
Unser Weg führte uns am Rande einer Fichtenschonung hinaus, hinter welcher Bnchenhochwald lag. Bei solcher Kälte ist man nicht zum Sprechen aufgelegt, der Bart ist gefroren und die eisige Luft liegt schwer auf der Brust. Aber Freund Grünrock flüsterte mir trotzdem zu, ruhig zu sein und leise zu gehen, da allabendlich um diese Zeit in den hohen Buchen eine Rotte Sauen bräche – vielleicht hätten wir Glück und könnten sie beobachten.
Als wir das Ende der Schonung erreicht hatten, schob ich langsam den Kopf hinter den schneebedeckten Zweigen der letzten Fichte weg – richtig, oben am Hange bewegte es sich zwischen den Stämmen und schwarze Schatten hoben sich scharf von der weißen Schneedecke ab, aber zu weit von uns, als daß wir die einzelnen Stücke deutlich hätten sehen können, und wenn ich das Glas ans Auge setzte, so war es beschlagen, bevor es seinen Zweck erfüllt hatte. Aber die schwarzen Schatten schienen näher zu kommen, und wir hatten noch keine 5 Minuten gestanden, da trollte die schwarze Gesellschaft eins hinter dem andern in langer Linie fast geradeswegs auf uns zu. Unter einer dicken Samenbuche, die kaum 50 Schritte von uns entfernt stand, wurde Halt gemacht, und hier fing die „Rotte“ auch gleich an, unter Schnee und Blättern knurrend und schmatzend nach Buchmast zu suchen. Aber nicht lange sollte für uns das Vergnügen dauern, die borstige Rotte in so unmittelbarer Nähe bei ihrer Arbeit beobachten zu können. Trotzdem sich kein Zweig bewegte, mußte doch ein unmerklicher Hauch nach den Schwarzkitteln hinziehen, der starke Keiler, der uns am nächsten stand, warf auf, äugte nach uns herüber, blies zischend den Wind durchs Gebräch – ruff! und trollte bedächtig, gefolgt von der ganzen Gesellschaft, der nahen Dickung zu. Karl Brandt.
Allers’ Hochzeitsreise nach Italien. (Zu den Bildern S. 805 und 820.) Nach dem Abschluß der schönen Bildercyklen, die den großen Einsiedler in Friedrichsruh zum Helden haben und daher neben ihren künstlerischen Reizen die Eigenschaft wichtiger zeitgeschichtlicher Dokumente besitzen, lenkt C. W. Allers
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0819.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)