verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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Beilage zu No 48. 1896.
Vom Weihnachtsbüchertisch. Als man unlängst die Frage, wer in Deutschland zur Zeit der gelesenste Autor sei, durch statistische Erhebungen in den Volks- und Leihbibliotheken zu beantworten suchte, stellte sich heraus, daß die Romane von W. Heimburg und E. Werner es sind, die sich gegenwärtig der größten Nachfrage erfreuen. Die Leser der „Gartenlaube“ kennen die Ursachen dieser Beliebtheit. Schätzen sie doch selber seit langem die besonderen Vorzüge gerade dieser Erzähler: die das Gemüt anheimelnde, dabei spannende Darstellungsweise, die ergreifende Gestaltung von Schicksalen, die das reinmenschliche Mitempfinden erregen! Diese Beliebtheit ist in ganz besonderem Maße den schön ausgestatteten illustrierten Ausgaben der „Gesammelten Romane und Novellen“ der Genannten zu gute gekommen, ein Beweis, wie gern diese Erzählungen wieder und wieder gelesen werden, nachdem die erste Bekanntschaft mit ihnen durch die „Gartenlaube“ vermittelt wurde. Die illustrierte Ausgabe der bisherigen Wernerschen Erzählungen, die auf 10 Bände geplant war, ist soeben vollständig geworden; der letzte Band enthält, von Oskar Gräf mit zahlreichen Abbildungen versehen, den Roman „Die Alpenfee“. Dagegen hat der Verlag von Ernst Keil’s Nachs. in Leipzig, nachdem die erste Reihe illustrierter Romane und Novellen von W. Heimburg schon früher ihren Abschluß gefunden, eine „Neue Folge“ in Angriff nehmen können, welche auf 35 Lieferungen zu 40 Pf., bezw. 5 Bände geplant ist. Der 1. Band, „Mamsell Unnütz“, von W. Claudius schön illustriert, liegt in seinem hübschen Einband bereits vor. Neben diesen Bänden legt der Keilsche Verlag auch schmucke Buchausgaben von E. Werners letztem großen Roman „Fata Morgana“ und den zwei Novellen „Der Egoist – Der höhere Standpunkt“ auf den Weihnachtstisch, ferner die stimmungsvolle Erzählung aus der Jugendzeit J. S. Bachs „Sturm im Wasserglase“ von Stefanie Keyser, den spannenden Roman „Forstmeister Reichardt“ von Marie Bernhard und in 3. Auflage das ergreifende Zeitbild „Aus eigner Kraft“ von Wilhelmine v. Hillern. Die vorm Jahre beim Erscheinen in der „Gartenlaube“ mit so viel Beifall aufgenommenen geist- und lebensvollen Erzählungen „Vater und Sohn“ von A. Wilbrandt und „Die Lampe der Psyche“ von Jda Boy-Ed kamen in Buchform bei Cotta heraus. Besonders anziehende Ausstattung hat die reizende Zusammenstellung kürzerer Novellen Ernst Lenbachs erfahren, deren Titel „Auf der Sonnenseite“ treffend den sonnigen Humor und die heitere Lebensanschauung kennzeichnet, die in ihnen walten. Der reiche Bilderschmuck stammt von verschiedenen Künstlern, Mandlick, Reinicke, Buchner u. a.; eine ganze Reihe jener Geschichten, die den Namen des rheinischen Poeten so schnell beliebt gemacht haben, wie „Stropp der Hund“, „Mäuschen“, „Maien“, finden sich in dem anmutigen Bande vereinigt. Nicht geringere Anwartschaft auf freundliche Aufnahme bei unseren Lesern haben gewiß die folgenden drei, gleichfalls durch echten, gesunden Humor ausgezeichneten Bände: „Aus unserer Zeit“ von H. Villinger, „Aus alten und neuen Tagen“ von Hans Arnold (beide illustriert im Verlag von A. Bonz & Comp. in Stuttgart) und „Stille Geschichten“ von Eva Treu (Lühr und Dircks in Garding).
Einem deutschen Volkserzähler ersten Ranges, welcher aber während seines kurzen Lebens nicht den verdienten Erfolg fand, dem schon im Alter von 30 Jahren verstorbenen Thüringer Volksschullehrerssohn Heinrich Schaumberger, widmet J. Zwißler in Braunschweig eine ebenfalls künstlerisch illustrierte Ausgabe seiner „Gesammelten Werke“. Der uns vorliegende erste Band enthält, von Köselitz illustriert, die oberfränkische Dorfgeschichte „Im Hirtenhaus“. Als kurz nach Schaumbergers Tod in der „Gartenlaube“ die allgemeine Aufmerksamkeit auf Schicksal und Bedeutung dieses Dichters durch Friedr. Hofmann gelenkt ward, rühmte er „Im Hirtenhaus“ mit Recht als ein wahres Volksbuch. Möge es auch in der neuen Ausgabe eine stets wachsende Verbreitung finden! Auf Thüringer Boden wie diese nordfränkische Dorfgeschichte ist der ansprechende Inhalt der neuen Gabe von A. Trinius „Im Banne der Heimat“ (Minden, Bruns) erwachsen. In frischester Schaffenskraft stehend, hat sich neuerdings Ludwig Ganghofer mit seinen großen historischen Romanen „Der Klosterjäger“ und „Die Martinsklause“ an die Spitze derer gestellt, die Natur und Volk des deutschen Hochgebirges in breitgespanntem Rahmen künstlerisch schildern. Auch die illustrierten Buchausgaben dieser Romane haben, wie die neuen Auflagen beweisen, sich des verdienten Erfolgs zu erfreuen. In gleicher Ausstattuug, von H. Engl mit Bildern geschmückt, lassen Bonz & Comp. diesen geschmackvollen Bänden jetzt die Sammlung von Ganghofers älteren Dorfgeschichten aus dem bayerischen Hochgebirge „Bergluft“ folgen – auch die epische Gestaltung des „Herrgottschnitzers von Ammergau“ befindet sich in dem Bande. Ein neuer größerer Roman Ganghofers, „Die Bacchantin“, mit Abbildungen von A. F. Seligmann, spielt dagegen in ganz anderer Umgebung; ein moderner Künstlerroman, der bald Wien, bald Sorrent zum Schauplatz hat, setzt er beim Leser Verständnis für das Seelenleben eines von düsterem Mißgeschick verfolgten hochstrebenden Künstlers voraus. Auch Peter Rosegger tritt uns in doppelter Gestalt entgegen, mit lachendem und ernstem Gesicht. In zweiter, sehr vermehrter Auflage reicht er uns den Band „Stoansteirisch“ (Graz, Leykam), der all die lustigen Schnurren und Schwänke umfaßt, die er dem Volksleben seiner engeren Heimat scharfäugig abgelauscht hat und deren herzerfrischender Humor von der innigsten Menschenliebe durchwärmt ist. Diese ist es auch, welche den reinen Quell des tragischen Heldentums bildet, das uns die neue Erzählung „Das ewige Licht“ (Leipzig, Staackmann) in dem erschütternden Lebensbild eines steirischen „Waldpfarrers“ vorführt. Verwandt in der Grundstimmung mit dieser tiefpoetischen Erzählung Roseggers ist „Aus fremder Seele“ von L. Andreas-Salomé (Stuttgart, Cotta); auch hier werden uns ergreifende Seelenkämpfe eines in ländlicher Einsamkeit wirkenden Pfarrers in meisterhafter Weise geschildert. Aehnlich, wie Rosegger weiß in seiner Heimat der Tiroler R. H. Greinz Bescheid, dessen historische Erzählung „Die Rose von Altspaur“ (Leipzig, G. H. Meyer) einen erfreulichen Beweis davon liefert. Vom Standpunkt eines Großstädters, der als Stammgast einer Sommerfrische Zeuge des Geschilderten wird, ist dagegen des Wieners Hevesi humoristischer Sommerroman „Die Althofleute“ erzählt, dessen anmutiger Eindruck noch durch zierliche Illustrationen von W. Schulz erhöht wird (Stuttgart, Bonz). Der Verfasser von „Alte und neue Erzählungen aus dem böhmischen Ghetto“, S. Kohn, hat in früheren Jahren durch den Roman „Gabriel“ sich den Ruf eines vorzüglichen Kenners altjüdischen Lebens, im besonderen des einstigen Prager Ghettos, von poetischer Darstellungskraft erworben; auch der neue Band (Zürich, C. Schmidt) verdient dieses Lob. Und als ausgezeichneter Darsteller des Lebens in unseren alten Hansestädten und ihren am Meeresstrand sich hinstreckenden Umgebungen bewährt sich Hermann Heiberg, wie schon so oft, auch in seinen stimmungsreichen Novellen „Aus allen Winkeln“ und dem Roman „Menschen untereinander“ (Leipzig, G. Fock).
Mitten in die geistigen und sozialen Kämpfe der Gegenwart, welche derselben ihren Charakter verleihen, führt der interessante Roman „Moderne Jugend“ von Bianca Bobertag (Stuttgart, Cotta). Wendet er sich daher auch nur an einen Leserkreis, in welchem volles Verständnis für diese Kämpfe herrscht, so darf er in diesem auch auf besondere Anerkennnng seiner eigenartigen poetischen Vorzüge rechnen. Weniger scharf ist in R. v. Gottschalls unterhaltendem Zeitroman „Moderne Streber“ (Jena, Costenoble) die im Titel angedeutete Tendenz ausgeprägt. Ein ernstes Problem, dessen Motive Anklänge an Goethes „Wahlverwandtschaften“ haben, bildet die Grundlage von Ernst Ecksteins neuem Roman „Roderich Löhr“ (Berlin, Grote), dessen handelnde Personen gleichfalls echte Kinder unserer Zeit sind. Desselben Autors farbenprächtiges Gemälde aus der römischen Kaiserzeit „Nero“ durfte soeben die 5. Auflage (Stuttgart, Cotta) erleben. Als ein hocherfreuliches Zeichen, daß das große poetische Talent von Marie v. Ebner-Eschenbach, nachdem es sich längst der wärmsten Anerkennung in engeren Kreisen erfreut hat, nun auch zu den breiteren Wirkungen gelangt, für die ihre Werke berufen sind, begrüßen wir schließlich das schnelle Erscheinen neuer Auflagen ihrer größeren Erzählung „Božena“ und der Sammlung ihrer kleineren „Erzählungen“. Diese warmherzige Seelenforscherin und Seelenkünderin, die in den Hütten ihrer mährischen Heimat ebenso vertraut ist wie auf den Höhen des Lebens, das Wiener Volksleben ebenso treu zu schildern weiß wie das Leben in den Herrensitzen des österreichischen Adels, vermag, wo sie volkstümlich erzählt, mit so einfachen Mitteln zu rühren und zu ergreifen, daß sich niemand dem Zauber ihrer machtvollen Gestaltungskraft entziehen kann. Und mit gleicher Sympathie verzeichnen wir das Anwachsen der Wertschätzung, deren sich die Novellen und anderen Werke W. H. Riehls zu erfreuen haben; neben einer 4. Auflage der „Religiösen Studien eines Weltkinds“ erinnert die 3. Auflage der Novellen „Am Feierabend“ daran, welchen Schatz die deutsche Familie dem kerngesunden Geiste dieses gemütstiefen Denkers und Dichters zu danken hat.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 820a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0820_a.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)