Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1897) 167.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

auf die Fußspuren starrend, endlich schritt er die Stufen hinan, dabei unwillkürlich die kleinen Stapfen schonend. Wie immer ging er, nachdem er Büchse und Jagdtasche abgelegt, nach der Kinderstube. Unwillkürlich sah er, bevor er öffnete, nach der Uhr – es war Neun vorüber. Sollten die Kinder schon schlafen? Es war so merkwürdig still dort innen. Er öffnete und trat ein. – Auf dem Tische unter der alten Hängelampe mit der zersprungenen Glocke die geleerten Suppenteller der Kleinen, ein großes Brot, ein Restchen Butter. Alles still! Er wollte sich zurückziehen, da scholl ein Kinderlachen aus der halbgeöffneten Schlafstube, so ein recht jauchzendes, übermütiges Kichern, wie Finkenschlag im Frühlingswalde. Und gleich darauf vernahm er eine unendlich milde Frauenstimme.

„Bösewicht du, wirst du wohl still sein? Ich gehe gleich wieder fort, wenn du nicht artig bist!“

„Nein! Nein! Nein!“ riefen drei kleine Stimmen im Chor. „Sei still, Mariechen, sonst verhau’ ich dich!“ fügte die Aelteste hinzu. „Nun faltet die Hände und betet,“ ermahnte die Frauenstimme, und sie sprach das alte Kinderverschen.

„Müde bin ich, geh’ zur Ruh’ –.“

Er war leise eingetreten, wie gewaltsam hingezogen. Da, im schwachen Schein des Nachtlichtes, kniete am Gitterbette der Jüngsten eine weiße Gestalt, sie sah nicht den Späher, sie hatte die Hände über dem Bettchen verschlungen und den dunklen Kopf zu dem Kinde gesenkt.

Dem Manne an der Thür ward wunderlich zu Mute, er begriff noch nicht recht – die kleinen Fußstapfen draußen, das Mädchen im weißen Gewand, als ob der Weihnachtsengel eingetreten sei? Nur die Flügel fehlten, und die grobe blaue Schürze über dem lichte Kleid zeigte, daß sie nicht aus den engelhaften Sphäre stammte.

„Amen!“ sagte sie jetzt laut, „nun schlaft brav, morgen lernen und spielen wir miteinander, gelt, das wird schön?“

Er trat jetzt mit ein paar Schritten näher, sie wandte sich und sah ihn an. „Fräulein von Kerkow?“ fragte er lächelnd.

„Verzeihen Sie, Herr Oberförster, daß ich schon heute gekommen bin, es – es ging nicht anders.“ Sie wurde erst jetzt verlegen unter den fragenden Blicken. „Ich bin so fortgeeilt, wie ich stand und ging,“ stotterte sie, an ihrem Kleide niederblickend.

„Seien Sie herzlich willkommen, Fräulein von Kerkow, ich fürchte nur, Ihr Zimmer wird noch nicht ganz in Ordnung sein.“

„Sorgen Sie darum nicht, ich sprach schon mit dem Mädchen.“

Er trat jetzt an die Bettchen der Kinder. „Gute Nacht“, sagte er und gab dem Bube einen Kuß, „ich hoffe, ihr seid immer brav und folgsam bei der neuen Tante.“

Ein einstimmiges „Ja, Papa!“ scholl ihm entgegen, und die Aelteste sagte altklug. „Fräulein, nun mußt du mit Papa essen gehen, er ist immer sehr hungrig, wenn er von der Jagd kommt – gelt, Papa?“

Er nickte lächelnd. „Das wollen wir der Tante heute noch nicht zumuten – Sie werden abgespannt sein von dem Festtrubel und dem Schrecken zuletzt?“

Hedwig Kerkow sah ihn erstaunt an, sie standen jetzt draußen in der Wohnstube.

„Wann geschah denn das Unglück?“ fragte er. „War denn Ihre Durchlaucht noch bei der Tafel zugegen?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr Oberförster,“ antwortete sie gepreßt.

„Ach, und ich glaubte – aber das konnte ja auch gar nicht mit Ihrem Früherkommen zusammenhängen – ja wissen Sie denn nicht, daß die Frau Herzogin einen Schlaganfall hatte?“

„Nein!“ sagte sie erschreckt. „Wann? Ich bin seit einer Stunde vielleicht hier –“

„Vor kurzem wohl – das Nähere weiß ich nicht. Es wurde Seiner Hoheit gemeldet, als wir vom Anstand zurückkamen.“

Das Dienstmädchen erschien jetzt mit einer Schüssel kalten Fleisches und Bratkartoffeln. Es zog ein verächtliches Gesicht, als sie die Dame im Gesellschaftskleid dastehen sah, mit der blauen Schürze darüber, die von ihr ausgeborgt war. Man mußte sie dort droben wohl Knall und Fall an die Luft gesetzt habe, anders die Sache sich zu erklären war Karoline nicht im stande. Dem Herrn schien die Geschichte auch nicht geheuer, das sah man ja an seinem Gesicht; sie hatte wahrscheinlich ein paar Redensarten zu hören bekommen, denn sie sah mit gar so verängstigten Augen zu ihr herüber.

„Wollen Sie mir Gesellschaft leisten, Fräulein von Kerkow?“ fragte er und wies auf den Stuhl neben sich. „Karoline, eine frische Serviette!“

Hedwig Kerkow setzte sich.

„Hier ist das Brotmesser,“ sagte Karoline, „das vorige Fräulein hat immer das Brot geschnitten.“

Das Fräulein griff mit zitternder Hand nach dem Brote, sie wußte kaum, was sie that. Die Herzogin einen Schlaganfall! Weiter konnte sie nicht denken.

„Wenn man das hohe Alter erwägt,“ sprach der Oberförster, nachdem er ihr angeboten, und begann zu essen mit einer Gründlichkeit und Behaglichkeit wie seit langer Zeit nicht, „dann ist’s ja leider nichts Unerwartetes –“

Das Mädchen hatte das Zimmer verlassen, Hede Kerkow saß und starrte auf ihren leeren Teller, es war ihr unmöglich, etwas zu genießen. Ja, was sollte dann werden, wenn die Herzogin starb? Die Existenz ihres Bruders, ihrer Schwägerin, Tante – alles stand auf diesen zwei alten Augen.

Draußen tönte die Schelle, hastige Männertritte kamen über den Flur, ein lautes Pochen und der Rentmeister trat ein. „Steht schlecht droben, Günther,“ sagte er, nach einer ungeschickten Verbeugung, „May giebt keine Hoffnung, der Anfall hat sich wiederholt. Der Herzog telegraphiert eben nach Nizza an seine Gemahlin und den Erbprinzen, die Herrschaften sollen sofort abreisen. Den Hofmarschall haben sie auch schon wieder am Schlafittchen,“ fuhr er lächelnd fort. „Wenn er in Berlin eintrifft, liegt die Depesche schon im Hotel. ‚Sofort zurück!’ lautet sie.“

„Es würde für den schlimmsten Fall seine Anwesenheit sehr nötig sein,“ meinte der Oberförster.

„Ihre Durchlaucht ist heute mittag noch ganz wohl gewesen,“ fuhr der Rentmeister fort. „Als das Brautpaar aus der Kirche kam, ist es in dem Roten Zimmer von Ihrer Durchlaucht empfangen worden, sie hat gesagt, es thue ihr leid, daß sie bei der Trauung nicht habe zugegen sein können, fühle sich jedoch nicht ganz frisch. Um sechs Uhr hat sie von ihrer Kammerfrau Thee verlangt, gegen ihre Gewohnheit, hat über Frost geklagt, um Sieben hat sie nach dem Herzog gefragt, auch gegen ihre Gewohnheit, und um halb acht Uhr ist sie bewußtlos zusammengebrochen. Sie ist rechtsseitig getroffen, hat die Sprache verloren – ja, ja, Günther, da können wir wohl bestimmt für schwarzen Flor sorgen –“

Hedwig stand auf. „Herr Oberförster, ich – ich möchte wohl – nein,“ unterbrach sie sich, „es wäre unnütz.“

„Wenn Sie glauben Ihrer Frau Tante nützen zu können, ist es doch selbstverständlich, daß Sie hinaufgehen ins Schloß.“

Sie schüttelte den Kopf, gewaltsam zwang sie ihre Erregung nieder. „Ich danke, Herr Oberförster!“

„Fräulein!“ rief Karoline herein. „Ihr Reisekorb ist da!“

„Bitte, Fräulein von Kerkow, gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer, Sie werden Ihre Sachen zu ordnen haben – auf morgen früh denn,“ redete der Oberförster ihr zu, der ihr verstörtes Wesen wohl bemerkte.

Sie grüßte stumm und verschwand. Der Rentmeister sah der Hinausschreitenden nach. „Das ist ja wohl dem Kerkow seine Schwester?“ fragte er, ein spöttisches Zucken um die Mundwinkel. „Die Herrlichkeit hätte denn auch bald ein Ende gehabt, ein Hofmarschall ist nächstens überflüssig hier, wenn er die Beisetzung angeordnet hat, kann er gehen.“

„Es ist hart für ihn; pensionsberechtigt wird er nicht sein?“

„Gott bewahre! Hat ja kaum die Nase hineingesteckt.“

„Aber er hat seine Carriere drangegeben,“ bemerkte der Oberförster.

„Weshalb hat er das gethan! Das Risiko mußte er auf sich nehmen. – Da wird’s hier übriges recht ruhig werden in Breitenfels,“ fuhr er fort, ein Glas Bier leerend, das ihm der Oberförster eingegossen hatte. „Das Nest wird einschlafen und wir mit! Ja, ja, einmal kommt das Ende!“ Mit diesem Gemeinplatz erhob er sich, schüttelte dem Oberförster die Hand und ging, um droben nachzuschauen. Olbers, der Kammerlakai, würde genau wissen, wie es stand.

– – – – – – – – – – – – – – –

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_167.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2016)
OSZAR »