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Seite:Die Gartenlaube (1897) 171.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Herzogin die Vorhänge vor den Fenstern heruntergelassen sein und ein paar Diener sowie der alte Kastellan da droben gleich Gespenstern umherschleichen, höchstens im Herbst, zur Jagdzeit, würden auf ein paar Wochen wieder helle Fenster in die Dunkelheit hinausgrüßen.

Hedwig seufzte tief, als der letzte Wagen ihren Augen entschwand; wenn sie doch erst wüßte, was nun aus Heinz wird! –

Es war am Abend, sie saß allein in der Wohnstube, die Kinder schliefen bereits, der Hausherr befand sich in seinem Zimmer, da klingelte es draußen und gleich darauf kam Karoline und brachte ihr ein Briefchen – von Heinz. „Wenn es Dir möglich ist, komme auf eine halbe Stunde zu mir. Der Diener wartet, er kann Dich gleich heraufbegleiten.“

Sie holte den Mantel, band einen Spitzenshawl um den Kopf, trug Karoline auf, falls der Herr Oberförster nach ihr fragen sollte, zu sagen, sie sei zu ihrem Bruder gegangen, und schritt, begleitet von dem Diener, aus dem Hause.

„Der Herr Hofmarschall wohnt noch in seinen alten Zimmern,“ sagte der Mann. Im Schlosse angelangt, dankte ihm Hedwig und stieg die Treppe empor in das erste Stockwerk, dort blieb sie stehen und sah sich unwillkürlich um. Der breite Gang, der zu den Gemächern der Verstorbenen führte, war nur durch eine einzige Lampe erleuchtet. Cypressenzweige und weiße Blüten lagen auf dem schwarzen Teppich und die Tuberosen dufteten fast betäubend. Unheimlich still war es. Die Dienerschaft mochte in ihren Speiseräumen sitzen oder daheim sein, sofern sie nicht im Schlosse wohnte, sie war ja außer Thätigkeit. Die auswärtigen Fürstlichkeiten und sonstigen hohen Gäste sowie die herzögliche Familie hatten sich in dem von dem regierenden Herzog bewohnten Teil des Schlosses versammelt – hier herrschte Schweigen und Verlassenheit.

Hedwig Kerkow stieg weiter empor. Im zweiten Stock begegnete ihr die Jungfer der Frau von Gruber, sie trug ein Theeservice in das von der alten Hofdame bewohnte Zimmer. Tante wird angegriffen sein und nimmt den Thee im Bette, dachte Hede. Im dritten Stock angelangt, fand sie ohne weiteres die bekannte Thür und klopfte an; eine Frauenstimme rief: „Herein!“

Mit enttäuschter Miene trat Hedwig ein, sie hatte gehofft, den Bruder allein zu finden. Die Lampe auf dem großen Schreibtisch brannte zwar, aber sie genügte doch nicht, das große Zimmer völlig zu erhellen. Heinz schritt der Schwester entgegen. „Guten Tag, Hede, es ist lieb, daß du kommst,“ sagte er. „Toni, hier ist Hedwig.“

Aus einem der riesigen Fauteuils kam ein Laut, der wohl soviel wie „Guten Tag!“ bedeuten sollte, und das Gesicht der jungen Frau, doppelt blaß unter der schneppigen Krepphaube über dem tiefschwarzen Kleide, wandte sich ihr zu.

Hedwig ging zu ihr hinüber. „Es thut mir leid, Toni, daß eure schöne Reise so traurig unterbrochen wurde.“

Toni zuckte unmerklich die Schultern, senkte den Kopf und schwieg. „Ich bin schrecklich abgespannt,“ klagte sie nach einem Weilchen.

„Das ist doch kein Wunder, diese ewig lange Fahrt heute, dort das Stehen in der kalten Kapelle, die Rückfahrt – du solltest dich ruhig in deinem Zimmer auf die Chaiselongue legen, Toni,“ sagte er freundlich.

Sie erhob sich. „Ich störe euch wohl?“ fragte sie statt der Antwort. Ihr Gesicht war noch um eine Schattierung bleicher.

„Durchaus nicht,“ antwortete er ruhig und ohne auf die Unart einzugehen. „Ich meinte es einfach gut mit dir. Was ich mit Hede zu sprechen habe, kannst du wahrhaftig hören. Also“ , begann er, nachdem Hedwig sich gesetzt und er eine Cigarre angebrannt hatte, deren Rauch er, gegen seinen Schreibtisch gelehnt, mit absichtlich zur Schau getragener Gemütsruhe vor sich hinblies, daß die Schwester, der sein Wesen so genau vertraut war, schon daraus seine große innere Erregung erkannte; „also, Hede, wie geht’s dir denn nun dort unten?“

„Gut!“ antwortete sie, „ich habe viel zu thun, und ich bin so glücklich, wenn ich zum Schloß hinauf sehe und denke, da oben ist Heinz. Wenn ich mit einem Tuche winke, würdest du es sehen können?“ „Wie rührend!“ sagte Toni spöttisch.

„Na, Hede, ich will dir ganz offen bekennen,“ sprach er weiter, „ich würde ganz froh sein, wenn ich dieses Winken nicht sehen könnte, falls du ’mal in einer romantischen Stimmung ein Tüchlein zu schwenken beliebtest, aber es wird wohl so kommen, wir bleiben Nachbarn. Ich wollte nämlich lebensgern wieder den bunten Rock anziehen – – begreifst du, Kind?“

„Vollkommen, Heinz! Ich habe sogar bestimmt geglaubt, daß du das thun wirst, und habe mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, hier allein zu bleiben, ich kann doch nicht so mir nichts dir nichts meine Verpflichtung lösen.

„Natürlich nicht“, schaltete Toni ein, „ich denke mir, du rechnest auf ein recht dauerndes Engagement.“

Hedwig sah befremdet zu der Schwägerin hinüber; das hatte so wunderbar geklungen, aber sie verstand nicht, was jene meinte.

„Toni ist manchmal prophetisch angeregt,“ scherzte er, „hoffen wir, daß sie recht behält, Kind, denn, siehst du, auch wir werden recht lange hier bleiben, vermutlich bis an unser Ende, das bei meinem Leben in dieser herrlichen Luft und dem bescheidentlichen gegen alle Aufregungen gefeiten Dasein erst in nebelgrauen Zeiten eintreten dürfte. Wie du mich hier siehst, bin ich der herzogliche Schloßhauptmann, und die dort die Frau Schloßhauptmann von Breitenfels, mit freier Wohnung und einem Gehalt, das uns vor allem Uebermut und Luxus trefflich schützt, und einer Pension, mit Hilfe deren meine Frau standesgemäße Toilette tragen wird. Was sagst du nun, Hede?“

Das Mädchen starrte den Redenden entsetzt an. „Heinz, das kannst du nicht! Das darfst du nicht!“ stieß sie hervor. „Werde doch wieder Soldat, du darfst dich hier nicht lebendig begraben lassen!“

„Ich verbitte mir, daß du Heinz so aufhetzt“, rief jetzt Toni, „ich begreife nicht, was du willst! Wir haben nette Wohnung, haben den alten angenehmen Verkehr und stehen hier immer an der Spitze. Das Verzweifeltthun von Heinz finde ich einfach unpassend.

„Ich bin ja kreuzfidel,“ lachte er, „finde es ja wundervoll! Ich denke, bei mir bildet sich in dieser Stille, in diesem absoluten Nichtsthun noch ein ’Talent’ aus – zum Naturforscher oder zum Nimrod oder Maler, oder aber ich erfinde einen neuen Liqueur, werde weltberühmt wie Gilka und nebenbei ein eifriger Liebhaber dieses Erzeugnisses. Ach Gott, ich sage euch, wer weiß, wie weit ich’s noch ’mal bringe! Uebrigens ist’s doch nett, daß ich den Titel Schloßhauptmann bekam, von Rechts wegen müßte ich doch Oberkastellan heißen – was?“

Er warf mit einer heftigen Bewegung die halb ausgerauchte Cigarre in den Kamin und suchte nach einer andern im Etui.

„Warum kannst du nicht wieder eintreten, Heinz?“ brachte Hedwig mit zitternden Lippen hervor.

„Na, Schatz, du hast doch gewiß ’mal was gehört vom ‚Kommißvermögen‘, nicht wahr? Siehst du, das fehlt uns eben. Ein paar Tage lang schwebten wir sozusagen in der Luft, es war ungemütlich – Toni, was? Ich sage dir, Kind, ich bin umhergelaufen wie ein Löwe im Käfig – was nun werden? Nichts haben, nichts sein! Und dann so eine arme, kleine Frau dazu, deren Vorhandensein unsereinem das Experimentieren verbietet, so etwa nach Transvaal zu gehen, nach Indien oder Melbourne, um Diamanten, Goldklumpen und Gott weiß was zu finden! Gelt, Toni, es fing schlecht an mit uns?“

Er war vor ihr stehen geblieben und sah wirklich mitleidig auf das kleine, blasse Geschöpf herab, das mit verdrießlichem Gesichtsausdruck den Kopf zur Seite wandte.

„Und der Herzog? Um Gottes willen, Heinz, bitte doch den Herzog!“ flehte Hedwig.

„Der Herzog hat mir ja die Stellung hier geschaffen, Kind, extra für mich geschaffen, denn bis dato gab’s noch keinen Schloßhauptmann von Breitenfels in der Weltgeschichte!“

„Aber du gehst hier ja zu Grunde,“ jammerte die Schwester, „es ist ja ein Posten für einen Invaliden, aber nicht für dich – für dich!“

Toni erhob sich. „Es wird am besten sein, daß ich gehe,“ sagte sie, „denn schön ist’s nicht, mit anhören zu müssen, daß du zu Grunde gehen wirst, weil – na ja, weil du mich geheiratet hast, denn sonst – sag’s doch ehrlich – sonst wandertet ihr beide aus, um das Glück zu suchen, um unerhörte Thaten zu vollbringen! Vorläufig bin ich nun aber leider noch auf der Welt – Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_171.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)
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