verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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„Du“ an und suchte sie fast täglich durch kleine Gaben der Liebe und Verehrung zu erfreuen; seine Pflichten als Thronfolger führten ihn oft nach Potsdam, wo der König residierte, und mit stets erneuter Sehnsucht kehrte er nach Berlin zurück, sein höchstes Glück bei seiner Gemahlin und seinen Kindern findend. Unvermutet betrat er oft das Zimmer der Kronprinzessin, die mit zarten Weisen den jüngstgeborenen Prinzen in den Schlaf sang, der lag in einer schlichten, von grünem Seidenstoff überzogenen Wiege aus Mahagoniholz, über welche sich dann der Vater voll tiefer Bewegung beugte, um die junge Menschenknospe zärtlich zu betrachten. Ungern nur verließ das kronprinzliche Paar sein einfaches Heim und froh war es, wenn es dasselbe nach größeren Festlichkeiten wieder betreten konnte. „Gott sei Dank, daß du nun wieder meine Frau bist,“ sagte nach der Rückkehr von einem Balle einst zärtlich der Kronprinz zu seiner schönen jungen Gemahlin. „Wie,“ frug jene lächelnd, „bin ich denn das nicht immer?“ „Ach, nein, Liebste, lautete in scherzhaft kläglichem Tone die Antwort, „du mußt ja zu oft Kronprinzeß sein!“
Aus der Kronprinzeß wurde aber noch im selben Jahre, in welchem Prinz Wilhelm geboren ward, eine Königin. Am 16. November war im Marmorpalais bei Potsdam Friedrich Wilhelm II. verschieden, und neue und ernste Pflichten traten an das junge Paar heran, auf das voll Vertrauen ein ganzes Volk sah. Ihre Schlichtheit aber behielten der König und die Königin bei, in ihrem Palais zu Berlin wurde nichts geändert, und als ein Diener vor dem König beide Flügelthüren aufriß, während er vordem nur eine derselben geöffnet, fragte der König verwundert. „Bin ich denn plötzlich um soviel stärker geworden?“
Groß war die Schuldenlast, die der Herrscher vorgefunden, und alle Ausgaben schränkte er aufs möglichste ein, aber trotzdem legte er seiner Gemahlin monatlich tausend Thaler in die Privatschatulle, hierdurch ihr die größte Freude, Wohlthaten zu üben, gewährend. „Ich bin Königin, und was mich am meisten freut, ist die Hoffnung, daß ich nun meine Wohlthaten nicht mehr werde so ängstlich zu zählen brauchen, hatte die Königin nach dem Huldigungsfeste an ihre Großmutter geschrieben. Auch die Etikette durfte nicht die Schwelle der Privatzimmer des Königspaares überschreiten; häufig kann der König von seinem Arbeitsgemach zu den Familienräumen herüber, um mit der Gattin zu plaudern und mit den Kindern zu scherzen, und kein Abend verging, an welchem nicht die Eltern behutsam das Schlafgemach der Kleinen betraten und den blondgelockten Lieblingen den Gutenachtkuß auf die weißen Stirnen drückten.
Sonnig und heiter, von zärtlicher Elternliebe bewacht, verliefen die Kinderjahre der beiden ältesten Prinzen, die mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts in dem einunddreißigjährigen Rektor der Klosterschule in Magdeburg, Friedrich Delbrück, einen Lehrer erhielten, der sich mit liebevollster Hingebung und Sorgfalt seiner verantwortlichen Aufgabe widmete und schnell das Zutrauen seiner jungen Zöglinge gewann. „Königskinder sollen wenigstens nicht schlechter erzogen werden, als es mit Bürgerskindern geschieht“, so hatte der treffliche Pädagoge Niemeyer, Direktor der Franckeschen Anstalten in Halle, auf die Anfrage der Königin nach der geeignetsten Erziehung ihrer Söhne geantwortet, und der königlichen Mutter eifrigstes Bemühen war es, ihre Kinder zu edlen und wohlwollenden Menschen zu erziehen; schon früh nahm sie ihre ältesten Söhne mit in die Wohnungen der Armen und Bedrängten, und am Weihnachtsabend des Jahres 1800 besuchte sie mit ihnen das Friedrichs-Waisenhaus in Berlin und ließ sie die Gaben an die verwaisten Kinder verteilen. Nach der Rückkehr in das Palais fand dann erst die eigene Bescherung statt, und wie groß war der Jubel, als die kleinen Prinzen unter den Gaben auch die ersten Säbel, zierlichen Musketen und Helme erblickten. Drei Jahre später folgten zum Weihnachtsfeste die ersten Uniformen, der Kronprinz erhielt diejenige eines Garde du Corps, Prinz Wilhelm jene eines Husaren vom früher Zietenschen Husarenregiment, und als jüngste Rekruten seiner Armee stellte der König sie seiner Gattin vor; wie stramm stand der kleine Husar da, seine Meldung abstattend, und wie hochfliegende kindliche Pläne von Soldatenruhm und Kriegserfolgen mochten sich mit dieser bunten militärische Tracht verknüpfen! Aber es blieb nicht bei der Soldatenspielerei; im Laufe des Jahres wählte der König zwei Unteroffiziere von der Garde als Exerziermeister seiner Söhne aus und überzeugte sich gelegentlich selbst, ob die Uebungen mit der nötigen „Strammheit“ ausgeführt würde, in Paretz leitete er den Unterricht auch persönlich.
O, die schönen, frohsinnigen Tage auf dem Paretzer Herrensitze, zwei Stunden von Potsdam gelegen! Hier in der tiefen ländlichen Einsamkeit weilte die königliche Familie doch am liebsten, hierher drang nichts von Unfrieden und Haß, Unruhe und Lärm, hier konnten sich Eltern und Kinder ganz angehören, in den kleinen anheimelnden Räumen des einstöckigen, weißgetünchte Wohngebäudes und in dem lauschigen Teile des schönen Parkes, der sich dicht hinter dem Hause erstreckte. „Ich bin glücklich als gnädige Frau von Paretz, so hatte Königin Luise einer fremden Fürstin geantwortet, die verwundert gefragt, wie die Herrscherin sich in dieser bäuerlich einfachen Umgebung wohl fühlen könnte. Selbst der etwas zurückhaltende König betrachtete sich gern als „Dorfschulze von Paretz, und wenn Erntefest war, dann kamen die Schnitter und Schnitterinnen mit Musik und Gesang vor das Herrenhaus gezogen, die Großmagd hielt eine Ansprache und der Großknecht lud die gekrönten Gutsbesitzer zur Teilnahme am Tanze ein, der unter freiem Himmel stattfand, der König und die Königin beteiligten sich daran, auch wohl auf deren schalkhaftes Ersuchen; der bejahrte General von Köckeritz und die noch bejahrtere Gräfin Voß. Die königlichen Kinder tollte indessen mit der Dorfjugend umher, welche sie mit Hilfe ihrer kleinen Ersparnisse mit Zuckerzeug und Spielsachen beschenkt hatten, die in den neben dem Tanzplatze aufgeschlagenen Buden zu kaufen waren. Diese Dorfjugend stellte sich auch ungezwungen nach der Mittagstafel ein und erhielt dann vom Königspaare Obst und Kuchen; abends unternahm der König gern am Arm seiner Gemahlin in Begleitung der Kinder einen Spaziergang durch das Dorf, er in der schlichten blauen Interimsuniform, die Königin im leichten Musselingewande, einen einfachen Strohhut auf dem blondgelockten Haupte, die blauen Augen schimmernd von dem Wiederschein reinsten Glückes.
Aber bald sollte es mit diesem ungetrübten Glück für immer vorüber sein! Bis tief in den Herbst des Jahres 1805 verweilte die königliche Familie in Paretz, denn immer wieder wußte durch ihre Bitten die Königin den König zu bewegen, die Abreise nach Berlin aufzuschieben, als ahnte sie, daß sie den ländlichen Frieden nie mehr so rein genießen würde. Aber nun mußte die Uebersiedlung
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_174.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)