verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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unendliche Fernsicht über das schimmernde Meer aus und oben ganz nahe winkte die Kirche, von welcher in hellem Klang die Glocken tönten. In wenigen Minuten war das Ziel erreicht, da gewahrte Beatrice zu ihrem Schrecken, daß ihr Dito sein Spiegelchen nicht mehr hatte! Sie schaute den Weg zurück – so weit sie konnte – vergeblich! Es war nichts zu sehen! Wie sollte dies auch möglich sein, mußte die Erschrockene nach einigem Besinnen sich sagen, hinter ihr folgte ja ein großer Teil des Zuges und der kleine Spiegel war, selbst wenn er erst wenige Augenblicke zuvor zur Erde gefallen war, sicherlich längst zertreten und in den Boden gestampft. Bei genauerer Betrachtung der Schnur, an welcher der Spiegel gehangen, bemerkte Beatrice auch, daß sie kürzer war und Schnittspuren aufwies, das Spiegelchen war ihr demnach wohl von einem der nichtsnutzigen Gassenbuben gestohlen worden. Dieser Verlust verursachte dem Mädchen einen heftigen Kummer und Aerger. Eine Weihe ihres Dito ohne Spiegel schien ihr so gut wie gar keine! Sie überlegte, ob sie nicht lieber umkehren und ihren Esel gar nicht weihen lassen sollte – aber das hätte Aufsehen unter ihren Neidern erregt, deren sie, wie sie das wohl wußte, viele hatte, und namentlich den abgewiesenen Freiern eine rechte Schadenfreude bereitet. Diesen Triumph wollte sie ihnen nicht gönnen; sie blieb also im Zuge und schaute zornig und verdrossen zur Erde. Da, was war das? – Geschah da ein Wunder –? Vor ihr lag plötzlich ein Spiegel, ein schöner Spiegel im Messingrahmen – den hatte wohl der Himmel ihr gesendet, der Heilige Antonius für sie auf den Weg gelegt! Beatrice bückte sich schnell, hob den Spiegel auf und befestigte ihn im Laufen gut und fest an dem Schnurstück, das leer zwischen den Ohren ihres Dito herunterhing. Es hatte wohl niemand diesen Vorgang gemerkt, denn jeder hatte genug mit seinen Tieren zu thun.
Jetzt war man oben aus dem freien Platz vor der Kirche – der Zug stand, man wartete aus den Schluß der Messe, nach welcher die Weihe stattfand. Oreste sprang von seinem Maultier, ging einige Schritte zur Seite und plauderte mit einem Bekannten. Dann kehrte er – da das Glöcklein der beendigten Messe ertönte, zu seinem Esel zurück und schaute diesen noch einmal prüfend an. Sah er wirklich recht oder trogen ihn seine Augen? – Sein Somaro hatte den schönen Messingspiegel nicht mehr vor der Stirn. Oreste blickte zu Boden blickte zurück – da blitzte etwas stark in der Sonne und zu seinem maßlosen Erstaunen entdeckte er, daß Beatricens Maulesel seinen Spiegel und sonst keinen andern vor dem Kopf hatte! Das versetzte Oreste, der ja seit langem sich in gereizter Stimmung gegen Beatrice befand und heute schon einige Gläser Wein getrunken hatte, in eine namenlose Wut. „Sie hat ihren Spiegel vergessen und, während ich da sprach, ohne weiteres den meinen genommen!“ zischte er, sprang auf Beatrice zu und schrie. „Nicht einmal fragen thust du mich, das bin ich dir nicht wert! Du nimmst mir einfach den Spiegel? Du stiehlst ihn mir! – Gieb mir sofort meinen Spiegel wieder!“ Da das Mädchen ihn nicht sogleich verstand, so antwortete sie nicht, sondern schaute den furchtbar Aufgeregten, der kirschrot im Gesicht aussah und welchen sie für betrunken hielt, mit verächtlichem Ausdruck groß an. Das brachte Oreste noch mehr auf. Er riß Beatricens Esel den Spiegel von der Stirn und begann, auf das arme Tier unbarmherzig mit dem Stiel seiner Peitsche loszuschlagen – dabei tobte er wie ein Unsinniger. Es entstand ein Auflauf – die Umstehenden schrieen und lärmten auch, und zwei fremde Zuschauer, welche die Mißhandlung des unschuldigen Tieres nicht mehr mit ansehen konnten, rissen den Wütenden von ihm fort und entwanden ihm die Peitsche. Oreste schien hierdurch den letzten Rest seiner Ueberlegung und Vernunft zu verlieren – er zog sein Messer und drang auf die Fremden ein. Nun stürzten sich die Umstehenden auf den Rasenden, entwaffneten ihn und hielten ihn fest. Währenddessen war der Priester mit den beiden Chorknaben auf die Stufe vor der Kirche getreten und hatte, die Gebetformel sprechend und den Weihwedel gegen die vorüberziehenden Tiere schwingend, die Segnung begonnen. Der Lärm unterbrach die heilige Handlung – der Geistliche schaute scharf hin und nahm den sich abspielenden Vorgang wahr.
So schnell Oreste in Wut geraten so schnell war er, unterstützt durch die derbe Püffe, welche er von den Umstehenden erhalten, wieder zu sich gekommen, schnaufend und höchst niedergeschlagen schlich er jetzt neben seinem Gula einher zur Kirchenpforte. Dort winkte ihm jedoch der Priester mit der Hand ab, trat einen Schritt zurück und ließ den Weihwedel sinken – er zeigte dadurch an, daß er dem Lärmmacher, der die heilige Handlung durch sein schmähliches Betragen gestört hatte, den Segen für sein Tier verweigerte.
Dagegen gab es keinen Widerspruch, der Priester war nicht umzustimmen, etwa nachträglich noch die Weihe zu erteilen. Oreste hatte dieses Jahr durch seinen unbändigen Jähzorn und seine Dummheit, wie er sich selbst sagte, die Segnung verscherzt! Sein Gula war schutzlos allen Fährlichkeiten ausgesetzt – das war schlimm, sehr schlimm, aber zu machen war dagegen nichts! Oreste kamen die Thränen in die Augen, ganz niedergeschmettert zog er seinen Maulesel an der Kirche vorbei und ritt nach Nervi hinunter. Unterwegs bemächtigte sich seiner wieder der Zorn gegen die Anstifterin dieses Unheils, gegen Beatrice. „Sie hat schuld daran, nur sie allein – während ich schwatzte, hat sie mir meinen Spiegel genommen, weil zwei an meinem Somaro waren. Segen für ihren Dito und ich nicht!“ Oreste wurde abwechselnd bleich und rot und biß die Zähne zusammen. Er ballte die Fäuste, rollte die Augen und ritt im Galopp nach Bogliasco zurück. Dort angekommen, siegte wieder der Schmerz und die Angst wegen der nicht erhaltenen Weihe über seinen Zorn, er sprang vom Esel und umschlang den Hals des Tieres mit den Arme. „Bleib gesund, Gula,“ flüsterte er „bleib heil und gesund, mein Tierchen!“ Und er küßte den Maulesel auf die geschmückte Stirn.
In sehr übler Laune war auch Beatrice mit ihrem Tiere in ihre Behausung zurückgekehrt. Sie hatte jetzt begriffen, warum Oreste in solch einen Zorn geraten war, und es war ihr im höchsten Grade peinlich, daß es gerade Orestes Spiegel gewesen, den sie gefunden gern hätte sie hundert Lire gegeben, wenn sie die Sache damit hätte rückgängig machen können! Erst dachte sie, sich bei Oreste zu entschuldigen und ihm zu erklären, wie sie zu denn Spiegel gekommen wäre – dann aber siegte der Stolz über diese Regung. So hätte er sich nicht zu benehmen brauchen, so wie ein Wahnsinniger – das war zu arg! Vor allen Leuten brauchte er sie nicht zu schimpfen – er verlor eben immer gleich den Kopf. Wenn sie ihn heiratete, bekäme sie bei dem geringsten Anlaß Prügel, da war es doch wahrlich ein Glück, daß sie ihn abgewiesen hatte! Mit solchen Gedanken suchte sich Beatrice zu beruhige. Der Vorfall war ihr jedoch sehr ärgerlich, sie empfand Kummer darüber, daß dem einstigen Spielkameraden dies geschehen, durch sie geschehen war – dieses Gefühl ließ sich nicht verscheuchen, und bedrückt und verdrossen verrichtete das Mädchen von da ab seine Arbeit.
(Schluß folgt.)
An der Gruft des Kriegsherrn. (Zu dem Bilde S. 168 und 169.) Der 22. März vereint das ganze deutsche Volk zu einer würdigen und erhebenden Feier. Allenthalben wird man die Stätten bekränzen, an welchen die dankbare Liebe des Volkes dem ersten Kaiser des geeinten Deutschen Reiches Denkmäler errichtet hat, und mit blühenden Zeichen der Liebe aus nah’ und fern wird man auch die fürstliche Gruft Kaiser Wilhelms I. im Mausoleum zu Charlottenburg schmücken Unter den Spendern werden die alten Veteranen aus den ruhmreichen Kriegen für Deutschlands Einheit nicht fehlen und die Gruft des siegreichen Kriegsherrn bekränzen, der die deutschen Heere von Sieg zu Siege geführt hat. Zu der geheiligten Stätte mögen die alten Soldaten auch ihre Enkel geleiten, um an ihr die Flamme der Begeisterung und Vaterlandsliebe, die in ihrer Brust in heißen Schlachten gelodert hat, auch in den Herzen der Jugend zu entfachen, auf daß sie sich würdig ihrer Vorfahren erweise und allezeit opferbereit eintrete für Kaiser und Reich! Der deutschen Jugend sei unser Bild gewidmet! Möge sie beim Anblick desselben im Geiste an der weihevollen Handlung teilnehmen! *
Landungsplatz in Skutari. (Zu dem Bilde S. 177) Unseren Bildern aus Konstantinopel, welche im Jahrgang 1895 den Aufsatz „Abseits vom Wege“ von Bernh. Schulze-Smidt begleiteten, lassen wir heute eine Ansicht folgen, welche uns an das asiatische Stambul gegenüber gelegene Ufer des Bosporus versetzt, nach Skutari. Es ist ein gar idyllisches Bild trotz des regen Lebens, das in den Booten und am Ufer herrscht, am Ufer desselben Bosporus, in dessen europäischen
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_179.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)