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Seite:Die Gartenlaube (1897) 183.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Streit, da ritten edle Kavaliere und schmucke Hofdamen zur lustigen Falkenjagd. Die lebhafte Phantasie des künstlerisch veranlagten Mannes ließ Gestalten, deren Leib längst vermodert war, wieder aufleben. Am lebendigsten aber traten diejenigen vor seine Seele, die in der Welt nicht das gewinnende Los gezogen hatten, sondern einst in den Thälern des Herzogtums, wie er heute, in unerfüllter Sehnsucht dahingewelkt waren mit wundem Herzen und müden Gliedern, an der Kette des Lebens sich dahingeschleppt hatten. In Breitenfels und den umliegenden Schlössern hatte sich so im Laufe der Zeiten so mancher Roman abgespielt, und nicht bei jedem war der Ausgang ein erfreulicher gewesen. Nicht bloß von gebrochenen Lanzen, auch von gebrochenen Herzen wußten die alten Geschichtschreiber des Herzogtums zu berichten. Freilich, jene kalten Schreiber gingen über das große Liebesleid mit kurzen dürren Worten hinweg, Heinz blieb sinnend an solchen Sätzen hängen. Es war, als ob eine unsichtbare Hand die tiefsten Saiten seiner Seele berührte, er las zwischen den Zeilen, was der Chronist verschwiegen aus der Vergangenheit tönte ihm entgegen das alte Lied von der Liebe, Leid und Klage.

Einmal schritt Heinz von Kerkow, die Büchse über die Schulter gehängt, wieder durch den stillen Wald. Rehe und Hirsche brauchten ihn nicht zu fürchten, denn der Jäger jagte den Bildern nach, die seine Phantasie ihm vorwob. Er setzte sich nieder im Schatten eines Baumes und schrieb in sein Notizbuch ein Gedicht, in dem er sein Innerstes enthüllte.

Es blieb nicht bei dem einen Gedicht. Heinz gefiel sich in diesen poetischen Klagen, bald war ihm der Rahmen eines Gedichts zu eng, er begann, Erzählungen zu schreiben, ergreifende Begebenheiten zu gestalten auf den Schlössern und Burgen, auf den Bergen und Thälern, die er so genau kannte, halb Wahrheit, halb Dichtung war darin enthalten. Rascher als er dachte, wuchsen diese Skizzen zu einem Bändchen an, in dem er gern las und an dem er gern feilte, „Verklungenes Leid“ nannte er das Buch, das ihm lieb und teuer geworden.

Hede erfuhr nichts davon, sie war mit ihren hauswirtschaftlichen Pflichten so beschäftigt, er wollte auch dem fleißigen Mädchen mit solchen Enthüllungen nicht kommen, die praktische Hede arbeitete und er trieb brotlose Künste. Das sagte er sich selbst. Und Toni? Toni hatte keinen Sinn für derartige Sachen. Hin und wieder hatte sie einen leichtgeschürzten französischen Roman aus der Bibliothek verlangt, und als der knappe Vorrat an solchen Büchern bald erschöpft war, kümmerte sie sich nicht mehr um die Bibliothek und nannte ihren Mann spöttisch einen Bücherwurm.

Inzwischen war der kleine Heini zur Welt gekommen. Die Geburt des Kindes machte Heinz glückselig. An der Wiege bei dem schlafenden Kleinen sitzend, schmiedete er Pläne, wie er den Buben erziehen wollte, viel besser als er erzogen worden, ohne Vorurteile – ein Mann sollte er werden, der überall, wo er einst zu stehen berufen sei, den Platz ausfüllte. Sein ganzes Leben und Streben wollte er ausnutzen für das Kind!

Aber vorläufig war das noch nicht soweit, um erzogen zu werden, es schlief gar so viel. Und nun kaufte sich Heinz auf Teilzahlung einen photographischen Apparat. Das war damals, als der kleine Bursche eben anfing, aufrecht zu sitzen und unverständliche Laute von sich zu geben. Heinz richtete sich in irgend einem leeren Winkel eine Dunkelkammer ein und machte oft an einem Tage so und so viel Aufnahmen des Kindes, und immer des Kindes – mit nacktem Hals und bloßen Aermchen im weißen pelzverbrämten Mäntelchen, auf dem vorzeitig angeschafften Schaukelpferdchen, von der Wärterin festgehalten neben dem Leonberger, auf dem Schoß der Mutter und allein in einem Riesenfauteuil. Dann war es so köstlich, wie das Bürschchen wuchs, wie es die ersten Schrittchen that, wie es ,Papa!’ sagte zum erstenmal. – In dieser Zeit war Heinz beinahe glücklich.

Und dann kam das Schreckliche! Der Apparat wurde in die Ecke gestellt, der kleine Krüppel konnte ja nicht photographiert werden. Dieser Tag war der entsetzlichste in Heinz Kerkows Leben gewesen. Der Tag, an dem das Kind verunglückte! Es konnte kein schlimmerer mehr kommen. –

Im vorigen Sommer, an einem furchtbar heißen Augustnachmittage war es gewesen, als Toni, trotz seines Abratens, nach Schloß Arnstein zur Gräfin Arnstein fuhr. Kutscher und Diener hatten mißmutige Gesichter gemacht, ersterer sogar gewagt, von einem schweren Gewitter zu sprechen, das offenbar drohe. Aber Toni hatte gewollt. Diesmal redete sogar Tante Gruber ab – vergeblich. Toni, die sonst so leicht unter Temperaturextremen litt, schien heute, wo alle anderen Menschen unfähig waren, sich zu rühren, völlig normal und kam im hellen Sommerkleid, das trippelnde Kind an der Hand, die Treppe herab, just als Heinz sich vergewissert hatte, daß des heranziehenden Unwetters wegen die Fenster allenthalben durch Läden geschützt seien.

„Du willst doch fahren, Toni?“

„Wie du siehst. Das Gewitter kommt erst heute abend, ich fühle es genau.“

„Aber der Junge bleibt hier,“ hatte er gefordert.

„Nein, er kommt mit, er freut sich schon so – nicht wahr, Heini, Hotto fahren?“

„Du bleibst bei Papa Heini!“ Ein furchtbares Gebrüll antwortete ihm, wie er es von dem Kinde noch nie gehört. Die Jungfer bemerkte: „Das macht die Gewitterluft, er weinte schon immerzu heute, weiß selbst nicht, was er will. Na, sei doch nur gut, sollst ja mit!“ Und sie war, das Kind auf dem Arm, der Mutter gefolgt.

Heinz trat allein in sein Zimmer. Er hätte ja können seine Gewalt geltend machen, aber ihm graute vor den Scenen, bei denen sich Frau Toni wie wahnsinnig zu gebärden pflegte, ihn immer wieder anklagte als den schrecklichsten Pedanten, der allein schuld sei, daß ihre Jugend so verkümmerte. Hätte er sie geliebt, so würde er wohl irgend welche Erziehungsversuche gemacht haben – so war es ihm einfach ekelhaft, er vermied lieber in einer Art Feigheit, die Scenen hervorzurufen. Jeder Todesgefahr, jeder Unannehmlichkeit großen Stils, jeder schweren Sorge hätte er mutig ins Auge gesehen, dem Gekreische der halb unzurechnungsfähigen Frau wich er aus. Jeden Tag fast machte er sich Vorwürfe über diese Feigheit, und würde sie sich machen bis an sein Lebensende, das wußte er.

Ach, so deutlich erinnerte er sich noch an jede Kleinigkeit dieses Tages, der Unruhe, die ihn folterte, daß er von einem Fenster zum andern schritt, um nach dem heraufziehenden Wetter zu spähen. Dann, wie er hinunterging in der bleiernen Hitze, die von keinem Lufthauch belebt war, um die Schwester aufzusuchen! Er traf sie mit heftigem Kopfweh in ihrem eignen Zimmer, das sie sich mit den Sachen aus der Heimat so reizend geschmückt hatte. Sie lag auf dem Sofa, die Aelteste erhielt im Wohnzimmer Klavierunterricht und einzelne schrille Töne drangen bis hier herüber; der Junge machte Schreibversuche auf der Schiefertafel in einer Ecke des Zimmers, die Jüngste spielte mit ihren Puppen.

„Welch ein Wetter, Heinz!“ sagte Hede, „und dabei kommst du herunter?“ Du mußt den steilen Weg wieder hinauf, hast du’s bedacht?“

„Ja, Hede! Laß mich nur ein Weilchen hier; ich habe eine furchtbare Unruhe, Toni ist mit dem Kleinen ausgefahren, und ich fürchte, sie kommt in das Wetter hinein bei der Rückfahrt.“

Hede antwortete nicht, sie kannte ihre Schwägerin, sie kannte ihren Bruder und die ganze Trübsal dieser Ehe.

„Tante,“ rief die Kleine, von ihrem Spielzeug aufblickend, „hörst du, wie’s im Himmel knurrt?“

Es war ein beständiges dumpfes Grollen in den Lüften, manchmal so, daß die Scheiben leise klirrten, und zugleich brach eine wunderliche gelbe Beleuchtung durch die Fenster.

„Aengstige dich nur nicht, Heinz, die alte Gräfin ist viel zu vernünftig, sie läßt Toni nicht fort, bevor das Unwetter vorüber ist.“

„Ja, ja“, war seine zerstreute Antwort gewesen, während er ans Fenster trat und den Platz übersah, der in wunderlich gelber Beleuchtung dagelegen hatte. „Ich will übrigens doch lieber hinaufgehen, man weiß ja nicht, was passiert.“ –

Er hatte ihr die Hand gedrückt und war gegangen. Draußen kam ihm alles verändert vor, die Mauern des Schlosses grell weiß gegen den schwarzen Himmel, wie in phosphorescierendes helles Licht getaucht, die Bäume dunkel und regungslos, nur ein leises Zittern in den Wipfeln als horchten sie angstvoll des kommenden Sturmes.

Heinz war anstatt direkt zum Schloß empor, die große Allee des Parkes entlang gegangen, durch die der Wagen zurückkehren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_183.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)
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