verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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die erlegte Beute aus und schuf im Lauf der Jahre eine der interessantesten und wissenschaftlich bedeutendsten Vogelsammlungen, die es giebt. Im regen Verkehr Gätkes mit den bedeutendsten Ornithologen der Gegenwart, die oft auch seine Sammlung besichtigten, wurde zugleich die unbedingte Zuverlässigkeit seiner Beobachtungen wissenschaftlich festgestellt. Außer den erwähnten 5 Brutvögeln konnte Gätke nicht weniger als 391 Arten als Gäste seiner Heimat beobachten. Aber nicht nur ihr Vorkommen wies der eifrige Forscher nach, sondern in unermüdlichem systematischen Studium des Vogelzugs machte er die wichtigsten Beobachtungen über die Richtung und Höhe, über die Schnelligkeit und über die meteorologischen Beeinflussungen desselben.
So brachte er vielfach Licht in die Erkenntnis dieser merkwürdigen Wanderungen, die jährlich unzählige Vögel Hunderte und Tausende von Meilen über Land und Meer in sicherem Flug in die Ferne führen.
Es war Gätke vergönnt, seine in einem langen Leben gewonnenen Erfahrungen auch von der wissenschaftlichen Welt nach Gebühr anerkannt zu sehen. In den von Professor R. Blasius unter dem Titel „Die Vogelwarte Helgoland“ im Verlage von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig herausgegebenen Aufzeichnungen Gätkes ist der ornithologischen Litteratur ein ganz hervorragendes Werk beschert worden.
Mit dem Uebergang Helgolands an Deutschland erkannte es das Reich als Ehrenpflicht, auch die Sammlung Gätkes sich zu sichern, für deren Ueberführung nach England demselben bereits die Mittel zur Verfügung gestellt waren. Wohl ließen sich anfangs nicht die richtigen Räume zu einer würdigen Ausstellung der Sammlung finden, und den alten Herrn, der mit der Hergabe seiner Sammlung sich von einem Stück seines Lebensinhalts loslöste, beschlich manchmal ein pessimistisches Gefühl über die Zukunft derselben, allein die letzten Wochen haben die Gewißheit gebracht, daß der vom Deutschen Reich geschaffenen, ständig an Bedeutung wachsenden Biologischen Station auf Helgoland sich nunmehr auch dank einer hochherzigen Stiftung und dem Entgegenkommen der Helgoländer, ein Nordsee-Museum angliedern wird.
In ihm wird dann auch die Vogelsammlung Gätkes Aufstellung finden, ein würdiges Denkmal für den Mann, den ein glücklicher Zufall nach Helgoland führte und den dann Liebe zur Natur und scharfe Beobachtungsgabe zu einem einzigartigen Kenner der Vogelwelt seiner Adoptivheimat machte, aber auch ein Zeichen zugleich, daß die dreifarbige Insel nicht nur ein Bollwerk deutscher Kriegsmacht sein soll, sondern auch eine Pflegestätte deutscher Wissenschaft in deutschem Meere!
Caligula und Tito.
(Schluß.)
Es giebt im Leben oft höchst seltsame Verkettungen der Dinge – drei Jahre lang hatte jetzt der Somaro Gula regelmäßig wie ein Uhrwerk und gesund wie ein Stein seine Arbeit gethan. Acht Tage etwa nach dem Antoniusfest ließ Gula sein Futter unberührt; betrübt, mit nach vorn herabhängenden Ohren und halb geschlossenen Augen stand er vor der Krippe; die Beine schienen ihm schwach, er legte sich. Oreste geriet in gewaltige Angst; sein Caligula war krank, darüber gab es keinen Zweifel. Er schüttete dem Tier ein halbes Liter Oel ein – das half nichts; er rannte zum Tierarzt – der kam und schüttelte den Kopf und verordnete noch mehr Oel. Als zwei Tage später Oreste frühmorgens in den Stall kam, hatte Gula die vier Beine von sich gestreckt und war tot. Orestes Verzweiflung kannte keine Grenzen. Er schloß sich in sein Stübchen ein und aß und trank nicht. Die unterlassene Segnung war an dem Tode seines Mulos schuld – das stand bei ihm außer Zweifel. Sein unsinniges Betragen hatte allerdings das Unglück herbeigeführt, aber ohne Beatricens Hinzuthun hätte er den Zorn des Priesters nicht auf sich gezogen. Freilich hatte sie ihren Spiegel verloren und den seinen gefunden, wie er nachher erfahren hatte. So war sie eigentlich doch nicht schuldig und er hatte sie grundlos beschimpft und an ihrem Tier seinen Zorn ausgelassen. Oreste weinte und schlug sich mit den Fäusten an die Stirn. Das half jedoch alles nichts, davon wurde der Esel nicht wieder lebendig. Oreste hatte seinen Beruf, sein Gewerbe, seinen Ernährer verloren! Was sollte er jetzt anfangen? Seine Tischlerei hatte er fast verlernt – wer würde auch einen so gänzlich ungeübten Gesellen annehmen. Er konnte jetzt als Tagelöhner arbeiten gehen, Steine tragen, Erde karren – Oreste rang die Hände und verließ sein Zimmer nicht. Endlich schritt die Behörde ein; sie schaffte den toten Maulesel fort, erbrach Orestes Zimmerthür, zog den jungen Mann heraus und nötigte ihn gewaltsam, Brot und Wein zu sich zu nehmen. Denn man wollte es schon der Fremden wegen in Nervi nicht haben, daß es heißen könnte, eines der Gemeindemitglieder wäre Hungers gestorben!
Um diese Zeit sandte eine Bewohnerin des Hotels d’Inglese, eine Amerikanerin, nach Bogliasco in Orestes Wohnung, um ihn und sein Maultier zu einem Ausflug zu bestellen. Diese Fremde war die beste Kundin Orestes. Fast jeden zweiten Tag bediente sie sich seines Tieres zum Ausreiten und er selbst mußte sie stets begleiten. Sie zahlte für den Ausflug jedesmal die doppelte Taxe. Die Leute hatten darüber schon zu reden begonnen – daraus machte sich jedoch die Amerikanerin nichts; sie genierte sich gar nicht, zu zeigen, daß ihr der schöne Italiener gefiel. Es schien fast, als ob nicht nur ihr Schönheitssinn durch Orestes specifisch italienische Erscheinung angezogen würde, sondern als ob ihr Herz dabei im Spiele wäre und sie eine wirkliche Leidenschaft für den schönen jungen Mann empfände. Oreste schmeichelten die Beweise von Freundlichkeit seitens der reichen Fremden, sie gab ihm guten Verdienst, persönlich fand er jedoch die nicht mehr junge Dame mit dem fahlbleichen Gesicht, den hellgrünen Augen und den aschblonden krausen Haaren abscheulich. Das hinderte ihn jedoch nicht, die freundlichen Blicke der Signora Grantly mit feurigem Aufschauen seiner schwarzen Augen zu erwidern.
Miß Grantly erhielt hinsichtlich ihres Antrages die Antwort, daß Orestes Maulesel tot sei, der junge Mann zu arm wäre, ein anderes Maultier sich anzuschaffen, und die Dame einen anderen Eselbesitzer bestellen möge. Die Amerikanerin zog es unter diesen Umständen vor, heute auf den Ausflug zu verzichten. Sie ging auf ihr Zimmer zurück und blieb dort wohl eine Stunde lang mit ihren Gedanken allein, dann kam sie wieder die Treppe herunter und hatte mit dem Gärtner des Hotels eine kurze Besprechung.
„Ich habe erfahren,“ begann Miß Grantly, welche gut italienisch sprach, die Unterredung, „daß dem armen Fremdenführer Oreste Lavigni in Bogliasco sein Maultier eingegangen ist und daß der junge Mann zu arm, ein neues zu kaufen. Der Mann thut mir leid, er ist ein intelligenter guter Führer, der dazu beigetragen hat, daß ich die Umgegend hier vortrefflich kennenlernte. Ich wünsche dem Manne ein neues Maultier zu schenken, jedoch auf solche Weise, daß er nicht erfährt, von wem er das Tier erhalten hat. Können Sie schnell ein Maultier beschaffen und es dem Manne womöglich heute nacht noch in seinen Stall führen, ohne daß er und andere es merken?“
Miß Grantly zog nach diesen Worten ein kleines wohlgefülltes Portefeuille aus ihrem rotsammetnen Ridicül.
Der Gärtner sann einen Augenblick nach und kraulte sich hinter dem Ohr.
„Sie erhalten fünfzig Lire Provision,“ fügte aufmunternd die Amerikanerin hinzu.
„Ja, das kann ich, Eccellenza,“ beeilte sich der Gärtner jetzt zu versichern.
„Gut, thun Sie es und machen Sie kein Aufhebens von der Sache,“ entschied Miß Grantly. „Hier sind fünfzig Lire für Sie und zwölfhundert für den Somaro, so viel kostet ja wohl ein gutes Tier – und entledigen Sie sich geschickt des Auftrags.“
Darauf nickte die amerikanische Dame dem Gärtner wohlwollend zu, spannte ihren Sonnenschirm auf und ging hinaus auf die Straße.
Der Gärtner lächelte verständnisvoll und steckte vorsichtig
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_192.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)