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Seite:Die Gartenlaube (1897) 194.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und bedächtig die Scheine ein. Er wußte, wo er für tausend Lire ein Prachtexemplar von Mulo sogleich erhalten konnte, nämlich bei Beatrice Foscetta. Das Mädchen hatte seit gestern bekannt werden lassen, daß sie ihr Anwesen in Nervi verkaufen und nach Genua zur Schwester ihrer Mutter ziehen wolle. Zu diesem plötzlichen Entschluß hatte sie das Gerede der Leute hinsichtlich des Vorfalls mit Oreste veranlaßt. Man hatte ihr direkt gesagt, daß eigentlich sie an der verweigerten Segnung Caligulas und dem darauf erfolgten Unglück Orestes schuld sei, weil sie den jungen Menschen durch ihren Stolz und ihr Benehmen halb verrückt gemacht habe. Und sie begegnete überall unfreundlichen Mienen. Die Leute nahmen ihr nicht die Milch ihrer Kühe, kein Gemüse, keine Citronen mehr ab. Das hatte sie gegen das ganze Städtchen aufgebracht; sie brauchte die Menschen hier nicht – das wollte sie zeigen! Schnell, wie das ihre Art war, hatte sie sich entschlossen, den Staub dieses Ortes, in welchem sie nichts als Unannehmlichkeiten und Trübsal erfuhr, von den Füßen zu schütteln. In Genua konnte sie auch arbeiten, ihre Tante polierte Silberwaren und verdiente damit zwei Lire jeden Tag – das war nicht schwer, das würde sie bald lernen. Sie hatte an die Verwandte geschrieben und die Antwort erhalten, daß diese sie aufnehmen wollte und ihr Arbeit verschaffen könnte. Oreste that ihr leid, aber weshalb hatte er seinen schönen Beruf vernachlässigt? Er war zu bequem dazu gewesen, ihn zu betreiben und jetzt hatte er die Folgen seiner Trägheit zu tragen! Sie fühlte sich völlig ohne Schuld bei diesen Vorfällen. „Oreste und immer Oreste!“ murmelte sie verdrossen. „O, wenn er ein anderer Mensch wäre! Er ist so schön und gescheiter und klüger als alle andern. Aber so – fort von hier, fort muß ich!“

Dem Gärtner war das Gerücht von Beatricens Absicht zu Ohren gekommen. Er ging jetzt zu dem Anwesen des Mädchens, und es gelang ihm nach einer Stunde Handelns, von der in Geschäften sehr kühlen und sehr zähen Beatrice ihren Dito für elfhundert Lire zu erwerben. Er machte mit ihr aus, das Tier am Abend abzuholen.

Während dieser Tage befand sich Oreste in einer sehr traurigen Lage. Essen mußte er wieder, das sah er ein, erspart hatte er in der guten Zeit nichts, da er die Neigung besaß, behaglich zu leben. Um nicht zu verhungern, übernahm der junge Mann Taglöhnerarbeit, jedoch nach einigen Tagen gab er das auf. Er mußte wie ein Pferd schaffen und verdiente kaum so viel, um satt zu werden! Oreste kam jetzt auf eine recht bittere Weise zu der Einsicht, daß es sehr thöricht von ihm gewesen war, seine ganze Existenz auf den Besitz des Maulesels zu gründen, und sehr unklug, seinen Beruf aufzugeben. Er faßte den Entschluß, sein Gewerbe wieder zu ergreifen und vorerst bescheiden in demselben wieder anzufangen, um sich allmählich darin hinaufzuarbeiten. Er wandte sich an einen kleinen Meister in dem Nachbarstädtchen Quinto, bei dem er früher, als er eben ausgelernt, schon einmal gearbeitet hatte, jedoch wollte dieser ihn nicht haben. Dann lief er drei Tage in Genua herum, ohne auch nur unter den bescheidensten Bedingungen Aufnahme bei irgend einem Meister zu finden. So kehrte er denn enttäuscht nach Nervi zurück, um dort, von der Not gedrängt, in den Schluchten von neuem Steine zu karren und Kies auf die Bergwege zu werfen, eine schwere Arbeit, die ihn gerade vor dem Verhungern schützte. Voll Reue und in bitterem Leid verbrachte Oreste diese beiden Wochen nach dem Tode seines Caligula. Eines Morgens jedoch – Oreste hatte sehr lange geschlafen, da er heute ohne Arbeit war – weckte den jungen Mann ein seltsames Scharren und Stampfen, das aus dem leeren Stalle kam, für den er zu seinem Unglück noch die Miete zu bezahlen hatte. Erregt sprang er von seinem dürftigen Lager auf und stürzte aus dem Zimmer zum Stalle. Jetzt vernahm er von dorther auch das Klirren einer Kette. Was konnte das zu bedeuten haben – wer mochte in dem Stalle sein? Geister lärmten doch nicht am hellen Tage! Der junge Mann riß die Stallthür auf und erblickte die wohlgenährte Rückseite eines schwarzgrauen Maulesels. Oreste trat an das Tier heran – sonderbar – es kam ihm bekannt vor. „Tito!“ rief er und der Maulesel wandte auf den Ruf ihm freundlich den Kopf zu.

„Tito, Tito, du bist es ja!“ stieß Oreste schluchzend hervor. „Ja, du bist es,“ und Oreste sank auf die Knie. „Sie hat dich hier hereingeführt, Beatrice, o Beatrice!“ rief der junge Mann unter Thränen der Rührung und der Glückseligkeit. „Sie will mich nicht im Unglück lassen! Sie hat mir den Maulesel geschenkt, sie liebt mich, trotz meiner Faulheit und Dummheit, trotzdem ich sie beleidigt habe und damals so grob war. O, geliebter Tito, sie liebt mich! Ja, sie ist lieb. Das beste Mädchen auf der Welt! Nun wird alles gut werden!“

Oreste sprang auf, kleidete sich in Hast an und eilte auf die Straße nach Nervi, Beatricens kleinem Gütchen zu. Als er, nur noch einige Häuser von dem Anlegeplatz am Municipio entfernt, die Hauptstraße entlang lief, fiel sein Blick in ein hohes halbdunkles Gewölbe, dessen Wände von zwei Reihen großer schwärzlicher Fässer eingesäumt waren; die Mitte des Raumes nahmen Tische ein, an denen Leute saßen und tranken. Es war dies die größte Weinhandlung und der besuchteste Weinschank für die Einwohner Nervis, und hier stand in ruhiger Unterhaltung mit dem Besitzer Beatrice. Oreste war wie in einem Rausche von Glückseligkeit. Er stürzte auf Beatrice zu, schloß sie in die Arme und rief. „O Dank, Geliebte, Dank! Du hast mich gerettet, du richtest mich wieder auf! Du hast ein großes Herz! Mein Zorn gegen dich war ja nur Liebe, nichts als Liebe!“

Beatrice war bei diesem plötzlichen Vorfall sprachlos vor Schreck und Ueberraschung, sie glaubte, der junge Mann sei wahnsinnig geworden. Schon öffnete sie den Mund zum Schreien und wollte Oreste zurückstoßen und sich flüchten, da sah sie seine Augen, die vor Glück und Seligkeit strahlten – das waren nicht die Augen eines Verrückten! Sie bemerkte weiter, daß Orestes Gesicht bleich und mager war und der Kummer in den wenigen Tagen eine tiefe Furche in die vor kurzem noch so blühenden Wangen gegraben hatte, und es ergriff sie ein schmerzliches Mitleid mit dem Manne, den sie nie aufgehört hatte zu lieben, und der sie so sichtlich so aus vollem Herzen wiederliebte. Es mußte etwas Außerordentliches sich ereignet haben! Vor allem kam es jetzt darauf an, diese absonderliche Scene zu beenden und die Sache vor den Leuten ins Heitere zu ziehen. „Geh,“ flüsterte sie dem jungen Manne hastig zu, „geh voraus zu meiner Wohnung, wir wollen dort sprechen!“ Und während Oreste diesem Wunsche folgte und fast taumelnd wie ein Traumwandler das Gewölbe verließ, sprach Beatrice lachend zu dem Besitzer: „Er ist, glaube ich, närrisch geworden, ich muß ihm den Kopf zurecht setzen.“ Sie lachte wieder auf eigene Weise und der Besitzer lachte auch und die anwesenden Gäste gleichfalls. Unter dieser allgemeinen Fröhlichkeit schied Beatrice aus der Cantina.

Eilig legte sie die kurze Strecke bis zu ihrer Behausung zurück. Dort stand schon Oreste an dem kleinen Ziehbrunnen unter dem großen Feigenbaum. Als er sie kommen sah, eilte er ihr mit einem Ausruf des Entzückens entgegen. Sie wehrte seine Umarmung ab, reichte dem jungen Mann die Hand, behielt sie in der ihren und begann schweratmend: „Jetzt sag’ mir aber, Oreste, was das nun wieder zu bedeuten hat und wofür du dich bei mir so unsinnig bedankst!“

„Was das zu bedeuten hat?“ wiederholte Oreste. „Und du fragst noch? Willst du leugnen, daß du mich wiederliebst, Beatrice? Hast du es mir denn nicht eben in großmütigster Weise gezeigt, Beatrice?“

„Daß ich dich gern habe, Oreste, ja, das ist ja kein Geheimnis, aber wodurch soll ich dies dir denn jetzt gezeigt haben?“ erkundigte sich das Mädchen, entschieden sehr wißbegierig.

„Hast du mir denn nicht deinen Tito in den Stall gestellt?“

„Ich?“ staunte Beatrice.

„Du nicht? Du nicht? Ach, leugne nicht! Wer hätte es denn sonst gethan?“

„Wie kann ich das wissen!“ erwiderte Beatrice stirnrunzelnd.

„Er kommt nicht von dir, Beatrice? Aber es ist ja doch dein Tito, und ich fand ihn heut’ morgen in meinem Stalle! Wer außer dir könnte ihn mir gesandt haben?“

„Ich habe ihn verkauft.“

„Du hast ihn verkauft?“ staunte Oreste – „an wen denn?“

„An den Gärtner vom Albergo Inglese.“

„An den Gärtner – vom Albergo Inglese – Ah, maledetto! So hat die alte gelbe Amerikanerin mir das Tier geschenkt!“ Und Oreste ward bleich und sein Gesicht verlängerte sich bedenklich.

„Ja, nun weißt du’s. Es ist die vornehme, häßliche Signora, die du immer so galant geführt hast – du wirst dich jetzt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_194.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2018)
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