Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1897) 382.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Bilde. Den Nahmen geeignetster Art hierzu gewährt der aus der Festungszeit Hamburgs stammende Stadtgraben zwischen Holsten- und Millernthor. Seine höhen Abhänge sind von mächtigen alten Bäumen, namentlich Ulmen und Akazien, umkränzt, von deren Grün die vielen Baulichkeiten mit ihrem Rot und Weiß sich hell abheben. Der prächtige Park bildet den würdigen Schrein für so viele auserlesene Juwelen der Gartenbaukunst.

Eine Perle eigener Art darf hier nicht unerwähnt bleiben, und das ist – darin stimmen alle Besucher überein ––die „Vegetationsgalerie“. Innerhalb fast dunkler Räume genießt man den Ausblick auf zehn hellerleuchtete Landschaftsbilder. In ihrem Vordergrunde stehen kunstvolle Nachbildungen der dem einzelnen Lande eigenen Gewächse in geeigneter Umgebung, die sich unmerklich an den gemalten Hintergrund anschließt: Japan, Mexiko, Urwald von Brasilien, Schweizer Alpenhalde, herbstlicher Park, Landschaft auf Ceylon, norwegischer Fjord – alles das und noch mehreres andere wird gebührend bestaunt und bewundert, und doch drängen sich die Besucher stets Kopf an Kopf gerade vor dem einfachsten Bilde, das „Norddeutsche Heide bei aufziehendem Gewitter“ darstellt und in seiner stimmungsvollen Naturtreue wirklich bezaubernd schön ist! Eins dieser Bilder, die Landschaft auf Ceylon, führt unsern Lesern die Abbildung auf S. 373 vor.

Doch genug der Versuche, zu beschreiben, was sich eben nicht beschreiben läßt! – Wenige Worte noch mögen unserem Bilde gewidmet sein, das den Thorbau am Eingang beim Holstenthor darstellt; er ist im altdeutschen Stil ausgeführt, der auch bei mancher anderen der vielen Bauten der Ausstellung mit Vorteil zur Anwendung gelangt ist. Mögen durch die weit geöffneten Thorbogen recht viele Besucher zur Ausstellung wandern, denn wahrlich, sie verdient es!


Aus Mitleid.

Novelle von Emma Merk.

     (Schluß.)

Mit rührender Sorgfalt bemühte sich Hedwig, für ihren Kranken Speisen auszusinnen und zuzubereiten, die ihm schmecken sollten. Der Arzt betonte ja immer wieder: kräftig nähren! Aber es half alles nichts. Wenn sich Forstner, Hedwig zu Liebe, auch zu einigen Bissen zwang, dann packte ihn plötzlich das Todesgrauen und schnürte ihm förmlich den Hals zu. Er hatte nicht mehr die gleichgültige Ergebenheit in sein Geschick wie in den Wintermonaten. Eigensinnig wehrte er sich dagegen, auszufahren in die schöne Frühjahrsluft, in die Sonne. Er fürchtete sich vor dem Wiedersehen mit der Welt draußen. Hier in diesen vier Wänden schien ihm der Abschied leichter. Er hustete jetzt allerdings weniger und atmete freier, aber er fühlte sich sehr schwach und elend und verstimmt und mußte bei seiner andauernden Appetitlosigkeit ja immer noch mehr abmagern.

„Verfall der Kräfte,“ nannte sein medizinisches Lehrbuch dieses zweite Stadium seiner Krankheit.

„Geben Sie sich doch nicht solche Mühe, ein verlorenes Leben zu fristen,“ sagte er eines Tages zu seinem Arzte.

„Aber, lieber Regierungsrat, Sie haben doch keine Schmerzen mehr, der böse Husten ist vorüber.“

„Allerdings. Aber Sie täuschen mich nicht, Doktor! Ich kenne meinen Zustand ganz genau.“

„So! Dann wissen Sie mehr als ich. Aufrichtig gestanden, ich bin mir gerade jetzt sehr unklar, denn meiner Ansicht nach müßte die Besserung rascher fortschreiten.“

„Verstellen Sie sich doch nicht so! Ich habe das Kapitel ‚Schwindsucht‘ ja eingehend studiert!“

„Aha! Konversationslexikon! Ja, da liest der Patient allerdings immer mehr heraus, als sein armer Arzt ihm sagen kann. Sogar den Namen wissen Sie! Nein, lieber Regierungsrat, so darf das nicht fortgehen! Sie sind zu wenig folgsam. Morgen bringe ich meinen Kollegen mit, wir wollen eine genaue Untersuchung vornehmen. Vielleicht glauben Sie uns beiden mehr als mir allein!“

Es war ein herrlicher erster Mai, an dem die Aerzte vorfuhren. Sie klopften den Kranken ab, behorchten die Atemzüge und sprachen dann leise und eingehend miteinander.

Dann setzten sie sich an das Bett, in dem der Regierungsrat noch lag – harrend auf sein Todesurteil. „Nun will ich Ihnen reinen Wein einschenken,“ sagte sein Hausarzt. „Es stand im Winter sehr bedenklich mit Ihnen; ich hätte nicht viel Hoffnung zu geben gewagt. Lungeninfarkt – wenn Sie den Namen wissen wollen. Aber es ist eine überraschende Heilung eingetreten. Mein Herr Kollege ist ganz meiner Ansicht: die Lunge ist wieder gesund.“

„Vollkommen gesund. Die Atemzüge sind frei und kräftig!“ bestätigte der fremde Arzt.

„Wissen Sie, was Ihnen noch fehlt: der Lebensmut. Ihre Nerven sind herunter. Sie haben sich Schrullen in den Kopf gesetzt, die Sie niederdrücken. Die seelische Stimmung thut in solchen Fällen viel. Sie müssen nur wollen, und Sie können ganz gesund werden! Mein Wort darauf! So und nun stehen Sie auf, setzen Sie sich an das offene Fenster und entschließen Sie sich endlich, auszufahren. In ein paar Tagen können Sie einen kleinen Spaziergang versuchen. Ich freue mich wirklich von Herzen, daß ich so beruhigt über Sie sein kann!“

Zu dem offenen Fenster flutete ein breiter Strahl Maiensonne herein. Ein Veilchensträußchen, das Hedwig in eine Vase gestellt hatte, duftete süß in dem leise fächelnden Lufthauch. Schwalben flogen durch die blaue Luft und trotz Wagenrollen und Straßenlärms hörte man ein helles Vogelgezwitscher.

Schüchtern noch, halb ungläubig, ob alles dies ihm wirklich wiedergeschenkt sei, beugte sich Franz hinaus. Er konnte jetzt einen von Blüten überdeckten Kastanienbaum sehen, um den ein paar Kinder hüpften. Und wie er sich so von der Sonne bescheinen ließ, da überflutete ihn ein namenloses, unbändiges Glücksgefühl! Leben! Nur leben dürfen! Nur jeden Tag ins Bureau gehen, durch den Hofgarten, durch die Maximilianstraße bummeln; nur wieder zu all den andern gehören, die arbeiten und atmen! Das Einfachste, das Alltäglichste schien solche Wonne! All’ die Ergebenheit, die er sich einzureden gesucht, die Gleichgültigkeit, mit der er sich gewappnet hatte, waren wie weggeblasen. Wie ein Zauberwort klang’s ihm entgegen aus der schönen Maienwelt: Gesund! Wieder gesund! Es war ihm, als flögen auf den weißen Wölkchen holde Engel, die ihm die Jubelbotschaft verkündeten. Hedwig trat ein mit einem frohen, lächelnden Gesicht. Die Aerzte hatten auch ihr mitgeteilt, wie zufrieden sie mit ihrer Untersuchung gewesen.

Er wendete sich bei ihrem leisen Schritte um und starrte sie mit einer gewissen Verblüffung an. In seinem Glücksrausche hatte er ganz vergessen, daß sie nun in sein Leben hereingehörte, Er hatte sie sich bisher immer nur als Pflegerin vorgestellt und als seine Witwe. Als Frau, mit der er nun leben sollte, vielleicht noch manches Jahr lang – niemals! Der Gedanke war nicht gerade peinlich, aber doch wunderlich, befremdend, überraschend.

Er, ein verheirateter Mann! Sein stilles Junggesellendasein, in das er sich eben in Gedanken wieder einzureihen gesucht, auf immer dahin! Er mußte sich an diese neue Wendung seines Geschickes erst langsam gewöhnen.

Er sollte leben und er hatte nun eine Frau!

Hedwig war zu sehr beschäftigt mit der ersten Ausfahrt, auf der sie ihn begleiten sollte, und mit den besonderen Leckerbissen, die sie für ihn herrichten wollte, um ihn vorher und nachher zu stärken, so daß sie nicht bemerkte, mit welcher Verwunderung er sie betrachtete. Auch er hörte zu grübeln auf, als er im Wagen ganze Ströme frischer Luft einatmete und nach so langer Zeit wieder Bäume, Wiesen, Blumen, geputzte Menschen an sich vorübergleiten sah. Von einem wonnigen Daseinsgefühl ließ er sich einlullen – gedankenlos, verträumt. Als er heimkam, war er sehr müde, aber er aß zum erstenmal mit Appetit und Hedwig jubelte wie ein Kind, als er ein zweites Stück von dem Huhn verlangte.

Bei der zweiten Ausfahrt bemerkte er schon mit etwas wacheren Augen, daß die Leute ihn anschauten, und er stellte sich vor, daß er in den nächsten Tagen, wenn er zum erstenmal an dem Arme seiner Frau ausgehen sollte, gewiß Bekannten begegnen würde. „Liebes Kind,“ sagte er, „du mußt mir einen Gefallen thun: Geh’ in ein Modewarengeschäft und kaufe dir ein Kleid,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_382.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)
OSZAR »