verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
|
im Käfig hin und wider. Aber gesungen hat der Rötling jedes Jahr vom Januar bis in den Juni sein reizendes Liedchen, vollkommen wie es im Freien geschieht, von aller Morgenfrühe an; nur immer erst (bis zum April) mit vorausgehenden Präludien, um sodann den ganz regelrechten Gesang des Gartenrotschwanzes nachfolgen zu lassen. Weil nun aber dieser im Freien bei uns erst im April anzukommen pflegt, so bekam ich von meinem Pflegling den Februar und März hindurch Töne zu hören, die mich hoch überraschten. Denn zuerst sang er ein paar Wochen lang nach einleitendem unbestimmten Gezwitscher vollständig klar das höchst einfache „Dill dell“ des von den Laubvögeln zuerst bei uns ankommenden Weidenzeisigs (Sylvia rufa); nach diesen paar Wochen jedoch (immer wieder nach dem vorausgehenden unbestimmten Gezwitscher) begann er, wieder vollständig getreu, das „Duduiduididududie“ des Waldlaubvogels (Sylvia fitis), der von seinen Verwandten der zweite Frühlingsankömmling ist. Dieses Liedchen fällt während des Vortrages des Waldlaubvogels um eine Quart in den Tönen; und dieses Fallen trat auch bei meinem Pflegling ganz genau ein. Und dann, als der nächste Laubvogel (Sylvia sibilatrix) ankam, ereignete sich der ganz entsprechende Vorgang, nur mit der Mehrung, daß bei Nachahmung dieses neuen Ankömmlings erst sein einförmiger Lock- oder Angstton: „Diu, diu“ kam, um dann in den eigentlichen Flüstergesang (daher sibilatrix) überzugehen, der in einigen lauteren Schlußtönen ausklingt. – Nun aber sind die Gartenrotschwänze angekommen und im Freien da, und der meine singt nun auch bloß noch das gleiche Lied, das man von jenen gewohnt ist, mit gänzlicher Hinweglassung der früheren Einleitungen.
Woher diese Erscheinung? Mein Exemplar war aus einer auswärtigen Vogelhandlung erworben. Hatte es dort die ihm sonst nicht eigenen Weisen von anderen angenommen? Höchst unwahrscheinlich; denn jene anderen pflegen höchst selten in Handlungen vorzukommen. Und wenn auch, warum sang mein Rötling gerade in der bezeichneten chronologischen Aufeinanderfolge jene fremden Weisen? Oder singen die im Freien lebenden Rotschwänze, ehe sie zu uns kommen, jene anderen Weisen auch?
Mein Vögelchen starb an der Mauserung, und es wurde mir ein frisch gefangenes junges Männchen angeboten, welches noch das Nestgefieder hatte, das es ganz spät im Jahre erst gegen das älterer Männchen vertauschte. Seitdem zwitschert es nun, und ich war höchst begierig, ob es zu Eintritt der betreffenden Zeiten die musikalischen Aufführungen seines Vorgängers nachmachen werde. Gleich unzutraulich war es einstweilen. Nun aber ist es indessen Mitte März und Ende geworden, und der Vogel singt (auch nach unbestimmt zwitschernder Einleitung) untermischt mit Tönen des Grünlings und der Kohlmeise, sogleich das Duduidui der Sylvia fitis, hernach aber den entschieden deutlichen Schlag des Buchfinken, jedoch nicht den väterlichen Gesang, gewiß darum, weil er diesen nicht mehr zu hören bekam, da um die Zeit, wo die nur einmal nistenden Gartenrötlinge flugfertige und nachahmende Junge haben, mit ihrem Gesang aufhören, während der des Finken noch einen Monat andauert.
Vor einigen Jahren war es noch ein anderer, dem Rotschwänzchen nahe verwandter Vogel, dessen Wesen, wie ich’s im Freien sah, mich begierig gemacht hatte, es in der Gefangenschaft zu beobachten: das Braunkehlchen (Saxicola rubetra), in Schwaben „Wiesenschmätzer“ genannt. Dieses Vögelchen, wie es unsere Wiesen und hügeligen Wiesenabhänge mit niedrigen Bäumen bewohnt, ist ja beständig auf der Flucht vor dem Menschen; sowie man sich nähert, flieht es von dem Bäumchen, dem Pfahl, dem aufgesteckten Strohwisch, dem Kopf der Wiesendolde, worauf es sitzt, zum nächsten etc., bis man sich weit genug entfernt. Es interessierte mich, zu erfahren, wie diese Scheu in der Gefangenschaft sich modifizieren würde, und erlebte folgende: Im Anfang fuhr es ganz außer sich im Käfig hin und her, wenn man den Vorhang kaum lüftete, um Nahrung einzubringen, so daß innerhalb eine weiche Schutzdecke nötig war, damit es den Kopf sich nicht einstoße. – Aber auf einmal, nach acht bis zehn Tagen schon, war sein Benehmen fast gerade umgekehrt. Es saß ruhig, fing an, friedlich Laut zu geben, und nicht lange, so nahm es die sogenannten Mehlwürmer aus der Hand des Darreichenden, ob ich oder eines meiner Kinder das sein mochte. Es ging so weit, daß, wenn meine Tochter auf der flachen Hand durch das weitgeöffnete Käfigthürchen bot, das muntere Tierchen ihr auf der Hand den Bissen verzehrte. Selbst in einer ganz ungewohnten Situation blieb es ebenso zahm: Ich hatte einmal vergessen das Thürchen des Käfigs zu schließen, und der Insasse desselben war auf den Zimmerboden gehüpft. Aber auf einen dargebotenen Mehlwurm sprang er sogleich zu und ließ sich friedlich wieder in seine Behausung zurücksetzen. Diese anziehende Zutraulickkeit hat dem lieben Gaste gar manchen Kosenamen von meiner Tochter eingetragen. Sein Gesang war und blieb fast immer ein ziemlich buntes „Gewälsch“, manchmal zwar, aber vorübergehend, etwas bestimmter, so, wie man’s im Freien, aber auch nur kurz, vernimmt, sonst oft mit dem lauten Lockruf und selbst Schlag des Buchfinken untermischt. – Welch ein Unterschied zwischen diesem Wiesenschmätzer und seinem Vetter, dem Gartenrotschwanz!
Derzeit aber besitze ich noch ein Männchen der gemeinen Grasmücke (Sylvia cinerea). Es hatte mich die Wahrnehmung seit Jahrzehnten angezogen, daß dieses Tierchen, namentlich an recht warmen Tagen, nachdem es in seinem Busch lange ziemlich leise zwitschernd gesungen, auf einmal in lauten Jubeltönen sich in die Luft wirft, um mit denselben lauteren Tönen rasch wieder in sein Gebüsch zurückzukehren. Ich hatte den Vogel zuerst mit seinem Weibchen und ihrem Jungen zusammen, das die Alten im Käfig groß zogen. Während dieser Zeit sang das Männchen vielfach sein zwitscherndes Piano. Im Herbst entließ ich das Weibchen und das Junge. Aber im darauffolgenden Sommer (1896) sang nun das Männchen keinen Laut, und es ist abzuwarten, was in der Gesangzeit von 1897 geschehen wird.[1] Wenn ich noch anführe, daß das Weibchen noch lange, nachdem das Junge schon von selbst sein Futter nahm, sich äußerst zärtlich anstellte, um vom Männchen geätzt zu werden, so kann ich zu der interessanten Beobachtung übergehen, daß dieser Vogel sehr oft den Eindruck auffallender Sonderbarkeit und Ungeschicklichkeit macht. Schon bei Naumann war mir die Bemerkung überraschend, er sei ungeschickt in Ergreifung von Fliegen etc., und wie wahr habe ich das gefunden! Selbst dann, wenn man ihm eine Fliege vorhält, die er also nicht selbst zu erhaschen braucht, wie täppisch faßt er sie, und wie ungewandt drückt er sie, ehe er sie schluckt, im Schnabel herum! – Auch ist ja bei Tieren überhaupt, so auch bei den Vögeln beobachtet, daß sie zeitweilig den sogenannten „Gucker“ haben, d. h. auf einmal den Kopf heben, unverwandt schief emporsehen, als besännen sie sich auf wer weiß was. Dies thun sie selbst dann, wenn sie einen Bissen im Schnabel halten, nach dem sie zuvor hastig begehrt, der aber erst nach dem oft langen „Gucker“ rasch verschlungen wird. Diese Eigenheit besitzt meine Grasmücke in ganz besonderem Grade, so daß ich ihr schon oft den unschmeichlerischen Namen „Dackel“ zugerufen habe. Jetzt, da es warm wird, lasse ich sie fliegen.
Eine Ansicht aber hat sich nach allen Wahrnehmungen bei mir befestigt, die, daß junge Vögel nur durch die Eindrücke des Gesanges der Alten die herkömmliche alte Weise erlernen. Es giebt Junge, die den väterlichen Gesang nicht gehört haben, weil dieser zu früh verstummte, sie selbst aber der Freiheit entzogen waren, ehe die Alten im nächsten Frühjahr wieder ankamen. Diese Vögel verblieben stümpernd bei der Nachahmung derjenigen anderen Vögel, die sie noch hören konnten. Nur die einzige Nachtigall lernt nicht von anderen Vögeln; um aber den richtigen Nachtigallschlag zu lernen, muß auch sie ihn von älteren ihres Geschlechtes gehört haben.
Früher habe ich oft sagen hören, bei den mehr als einmal im Jahr nistenden Vögeln seien die Jungen von der ersten Brut „besser“ als von spätern, und habe mir das „besser“ als dauerhafter erklärt. Nun aber ist mir deutlich, daß das „besser“ auf den Gesang sich bezieht, naturgemäß! Die von der ersten Brut ausgeflogenen Jungen hören den väterlichen Gesang während der nächsten Brut und bewahren ihn in gutem Gedächtnis bis zum nächsten Jahr; die Jungen der späteren Brut aber entbehren dieses Vorteils, da mit der letzten Brut auch bei den mehrmals nistenden der Gesang der Alten aufhört, so daß Junge der letzten Bruten, die im Herbst gefangen und gefangen gehalten werden, jenen Gesang der Alten nie zu hören bekommen und – Stümper bleiben.
- ↑ Diese Beobachtungen J. G. Fischers wurden nun durch den Tod unterbrochen. D. Red.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_387.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)