verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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bei uns zur Karnevalszeit, nur daß in Bangkok an Stelle des Maskenflitters wirkliche Pracht tritt. Der Glanz der Gewänder und Juwelen der Hofleute, die Fremdartigkeit der Bauten, welche für diese Feste eigens aufgeführt werden, spotten jeder Beschreibung. Phantastische goldene Berge, Pagoden, Pavillons erheben sich dann vor dem königlichen Palast, kühner in den Formen und Farben als unsere Operndekorationen, und niemals hat es in unseren Operntheatern glänzendere Aufzüge gegeben, als wenn der König mit seinem ganzen Hofe zur Verbrennung einer fürstlichen Leiche zum Vorschein kommt, oder wenn aus anderen Anlässen Rundgänge durch die Stadt oder Bootfahrten auf dem breiten Strome unternommen werden. Die Vermählung der Republik Venedig mit dem Meere ist durch die alten Dogen auf ihrem Bucentaur niemals glänzender gefeiert worden, denn Hunderte von goldbedeckten langen Schnabelbooten mit zahlreichen Ruderern nehmen an diesen Paraden teil, mit Flaggen und hohen Ceremonienschirmen und fremdartigen Symbolen der verschiedenen Art. Tagelang dauern diese Feste bis in die Nacht hinein, zum Jubel des Volkes, das in zahlreichen Buden frei bewirtet wird und das zu den Theatern und Schaustellungen, Festspielen und Gelagen freien Zutritt erhält. Als Schluß dient gewöhnlich ein glänzendes Feuerwerk.
Am prächtigsten werden wohl neben der Verbrennung von Königsleichen die Haarschneidefeste gefeiert. Erreichen die Knaben in Siam das Alter von acht bis zehn Jahren, so dürfen sie ihre Haare auf dem ganzen bis dahin mit Ausnahme eines Scheitelzöpfchens kahl rasierten Schädel wachsen lassen. Dazu wird vorher dieses Scheitelzöpfchen abgeschnitten, und dies geschieht in den vornehmen Familien mit großem Ceremoniell, das natürlich in der Königsfamilie selbst am glänzendsten ist. Es wird dazu auf dem Platze vor dem Königspalast ein künstlicher Aufbau in der Form von Felsen gebaut, vielfach vergoldet und mit Ceremonienschirmen geschmückt und in der auf seiner Spitze stehenden Pagode erfolgt von seiten der Paten das Abschneiden des Haarzöpfchens. Die Abbildung S. 421 zeigt diesen goldenen Berg mit dem König und Kronprinzen unter einem vergoldeten Baldachin.
Dem Europäer der in diese seltsame Großstadt der hinterindischen Tropenländer kommt, ist reichlich Gelegenheit geboten, all diese Feste und Tempel, das ganze Leben und Treiben kennenzulernen, denn in keinem Lande Asiens wird er mehr geachtet und werden ihm vom Könige abwärts größere Sympathien entgegengebracht als hier. Mehrere Hunderte von Kaufleuten der verschiedensten Nationen sind hier angesiedelt oder stehen im königlichen Dienste, ja der Deutsche wird in dieser orientalischen Märchenstadt nicht nur ein gutes Hotel, sondern sogar einen deutschen Klub finden. Und doch wird Bangkok von Reisenden nur selten besucht. Indien reizt sie mehr, obschon keine Stadt Indiens so viel des Interessanten und Ursprünglichen bietet. Oder ist Bangkok schwer zu erreichen? Mitnichten. Fahren doch die schönen Riesendampfer des Norddeutschen Lloyd alle vier Wochen in einundzwanzig Tagen von Neapel nach Singapore, und von dort ist Bangkok nach viertägiger Dampferfahrt zu erreichen.
Unsere Krischane.
(Fortsetzung.)
Vergeblich suchte Krischane in ihrem Zorn weiter nach Herrn Nottebohm. Er war wirklich nicht im Garten. Sie kam noch einmal an uns vorüber, ohne uns eines Blickes zu würdigen, und mit einem so bösen Gesicht, daß wir es für geratener hielten, sie nicht anzureden. Wir vergaßen sie auch gleich, denn uns fiel ein, daß hinter Nottebohms Laube, wie wir die Pfeifenblattlaube nannten, zwei sehr volltragende Stachelbeerbüsche und ein Busch mit weißen Johannisbeeren sich befanden, die wir lange nicht auf ihre Reife untersucht hatten. Wir wollten eigentlich gleich hin und das Versäumte nachholen; da aber erschien Jürgen und berichtete, daß er bei Friederikenruhe gewesen sei und den Hund Perle in anscheinend guter Stimmung angetroffen habe. So vergaßen wir die Stachelbeeren und dachten erst wieder daran, als das Mittagsessen vorüber war.
Herr Nottebohm war bei Tisch natürlich wieder erschienen und hatte mit gutem Appetit gegessen. Ich hatte ihm eigentlich zurufen wollen, daß Krischane ihn nach dem Reinmachen gesucht habe, vergaß es aber über irgend einem anderen Vorkommnis. Da außerdem Sonnabend war und die Brüder den Nachmittag frei hatten, so mußte man doch auch darüber nachdenken, was man mit der herrlichen Zeit anfangen sollte. Zuerst also an die Stachelbeerbüsche hinter der Pfeifenblattlaube!
Es war ein sehr warmer Tag. Der Garten war voller Sonnenschein und Blumenduft, man wurde einen Augenblick etwas müde, als man hinauskam. Langsam schlenderten wir, Jürgen, Milo und ich, durch die schmalen Wege, die nach der Laube führten, pflückten hier eine Beere und dort eine Blume und sprachen fast gar nicht zusammen.
Dann stieß Jürgen uns plötzlich an und deutete auf ein Spargelfeld, durch dessen grün aufschießende Büsche Herr Nottebohm geschritten kam. Er trug einen sehr bunt geblümten Schlafrock, eine lange Pfeife und ein dickes Buch hatte er in der Hand. Mit eiligen Schritten ging er auf die in kühlem Schatten liegende Laube zu und verschwand in ihr.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_420.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2018)