verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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„Der hätte auch in seinem Zimmer bleiben können!“ meinte Milo. „Nun ist es lange nicht so gemütlich in den Stachelbeeren, wenn er dicht dabei in der Laube sitzt und liest!“
„Der liest nicht, der schläft!“ versicherte Jürgen. „Er hat ganz gewiß viel Bier heute morgen getrunken, denn er hat bei Tisch wenigstens zwanzigmal gegähnt! Und das Buch nimmt er nur mit, um dabei einzuschlafen. Es ist etwas über die Landeskunde und er fängt immer wieder bei der ersten Seite an!“
Das klang tröstlich und war auch so. Denn als wir uns nach einer Weile der Laube von hinten näherten und leise hineinblickten, saß Herr Nottebohm auf dem alten dort abseits gestellten Korblehnstuhl und schlief den Schlaf des Friedens. Seine Pfeife hatte er gar nicht angezündet und das Buch nicht aufgeschlagen. Beides lag auf dem Tisch neben ihm und er schnarchte mit offenem Munde. Einen Augenblick kämpfte Jürgen mit der sündhaften Lust, ihm einen kleinen grünen Käfer, den er gerade gefangen hatte, in den Mund zu stecken, dann aber siegte doch die in ihm wohnende Tugend. Wir hockten uns zwischen die Büsche und wollten gerade anfangen, uns an den Stachelbeeren zu stärken, als eine starke Stimme uns in die Höhe fahren ließ.
„Nottebohmen!“ rief sie. „Sitzen Sie da man nich wie ein’ Zeltgardine, ich wollt’ Ihnen sprechen!“
Es war Krischane, die plötzlich vor dem alten Kandidaten stand, der halb im Traum die Augen öffnete.
„Fräulein Christiane“ – murmelte er, sie aber unterbrach ihn.
„Ach was, Fräulein! Ich bin kein Fräulein und Sie sind kein Herr! Ich hab’ Ihnen bloß Herr genannt, weil ich dacht’, so’n Kanderdat, der so forchbar gelehrt wär’, der könnt’ auch ein Herr sein! Abers nu glaub’ ich das nich mehr!“
Herr Nottebohm saß noch immer ganz still und rieb sich die Stirn. Ob er Krischanens Worte verstanden und begriffen hatte, war nicht zu bemerken. Wir standen nämlich hinter der Laube und konnten nicht allein alles hören, sondern auch alles sehen.
„Weshalb stören Sie mich eigentlich?“ fragte Nottebohm jetzt verdrießlich. „Eben war ich eingeschlafen, und dann habe ich auch noch Kopfschmerzen!“
„Als wenn unsereiner nich auch Koppsmerzen haben kann!“ rief Krischane zornig. „Meinen Sie, daß ich kein’ Koppsmerzen gekriegt hab’, wo ich heut’ an Ihren Ofen ging und allens fand? Allens, und denn auch noch achtern Ofen! Ich denk’, ich soll auf die Stelle beswiemeln, wie ich die Briefens da in die Hand krieg’, und meinen mitten mang! Gott in hogen Himmel, was haben Sie heut’ mittag for Kalbsbraten gegessen, und das mit ’n beswerten Gewissen! O was sind die Männer einmal slecht!“
„Briefe?“ Nottebohm war nun doch wach geworden. „Was haben Sie in meinen alten Briefen zu wühlen, die ich in den Ofen stecke? Was gehen Sie meine Angelegenheiten an?“
„Was mich das angeht?“ Krischane hatte einen zerknitterten Brief in der Hand, den sie vorm Gesicht des Kandidaten schwenkte. „Kennen Sie ihm? Kennen Sie ihm? Nee? Sie schüttkoppen? Sind Sie denn nich der gediegene Witmann in den ,Intzehoer Nachrichten’, der die Bekanntschaft von ’ne Dame machen will? A.T.35. Vermögen erwünscht, jedoch nicht Hauptsache! Wie, Nottebohmen?“
Der also Angeredete war aufgefahren.
„Ich verbitte mir, daß Sie sich in meine Angelegenheiten mischen!“ rief er laut. „Es geht Sie gar nichts an, was ich thue!“
„So? Das geht mir nix an, wo ich mich von das Gesuch bethören lasse und ein Brief schreibe und diesen Brief in Ihren Ofen wiederfinden muß? Swarz is er und voll von Sott, wo ich all die Zeit auf Antwort lauer, und er liegt in Ihren Ofen!“
Ihre Stimme war kläglich geworden und Herrn Nottebohms Gesicht, das merkwürdig trotzig ausgesehen hatte, verzog sich zu einem flüchtigen Lächeln.
„Wenn ich gewußt hätte, liebe Christiane, daß Sie mit unter den vielen Bewerberinnen um meine Hand gewesen wären, dann würde ich den Brief natürlich gelesen haben. So aber –“
„Sie haben ihm nich gelesen?“ unterbrach Krischane den Kandidaten, und er schüttelte den Kopf.
„Ich konnte nicht alles lesen, es waren zu viele Briefe!“ Er war schon wieder ganz ruhig geworden, setzte sich und wollte nach seiner Pfeife greifen, Krischane aber trat ganz nahe auf ihn zu.
„Sagen Sie mal, Nottebohmen, sind Sie denn eigentlich ein Witmann, und wo auf wollen Sie denn mit ohne Vermögen und bloß mit ’n gutes Herz heiraten?“ fragte sie mit einer unheimlich ruhigen Stimme.
Nottebohm zuckte etwas ungeduldig die Achseln.
„Liebe Christiane, diese Sache geht Sie gar nichts an. Ich bin kein Witwer, aber ich könnte es sein, weil meine liebe Braut vor bald sechzehn Jahren gestorben ist. Und wenn ich eine passende Frau finde, dann möchte ich mich jetzt wohl verheiraten, weil es nicht gut ist, wenn der Mensch im Alter allein bleibt. So, nun gehen Sie nur. Es thut mir leid, daß ich Ihren Brief nicht gelesen habe, aber es waren zu viele Schreiben. Ueber hundert, da warf ich die schlechtesten gleich fort!“
„Die slechtesten!“ wiederholte Krischane.
„Nun ja, die, wo man an der Handschrift sehen konnte, daß nichts an ihnen war. Ich muß doch auf Vermögen sehen, da ich selbst nichts habe!“
„Abers stand da nich gedruckt, daß Sie bloß auf ein gutes Herz sehen wollten?“
„Aehnlich stand es dort vielleicht.“ Herr Nottebohm lächelte wieder ein wenig. „Das sagt man wohl, liebe Christiane, weil es besser klingt, aber –“ er räusperte sich. „Ich kann nicht ohne Vermögen heiraten!“ setzte er hinzu.
Er griff nach seinem Buch und schien mit dieser Bewegung der Unterhaltung ein Ende machen zu wollen.
Als Krischane aber stehen blieb und ihn mit drohendem Ausdruck betrachtete, begann er noch einmal zu sprechen.
„Diese Heiratsgesuche sind übrigens doch eine verfehlte Einrichtung. Kein einziges Anerbieten hat mich angezogen und ich werde es nicht wieder thun. Einem Freund von mir erging es so viel besser –“
Aber Krischane wandte ihm den Rücken und ging langsam davon. Da blickte er ihr achselzuckend nach und schlug sein Buch auf.“
„Das war eigentlich sehr hübsch!“ meinte Jürgen, nachdem wir eine Zeit lang schweigend uns an den Stachelbeeren gelabt hatten. Herr Nottebohm schlief schon wieder in der Laube. Die erste Seite seines Buches mußte sehr beruhigende Eigenschaften haben.
„Warum schreibt aber Herr Nottebohm etwas Verkehrtes in die Zeitung, wenn es doch nicht wahr ist?“ fragte ich, und Jürgen zuckte die Achseln.
„Das kann ich auch nicht begreifen. Wenn er mal sehr viel Bier getrunken hat, dann will ich ihn danach fragen. Uebrigens,“ setzte er nach einer Weile hinzu, „ich kann ihn doch nicht fragen, ich habe ja gelauscht und das ist eigentlich unanständig. Ihr dürft auch nicht erzählen, was ihr gehört habt!“
Nein, wir durften es nicht, das sahen wir deutlich ein, obgleich es uns sehr schwer vorkam, dieses Geheimnis zu bewahren. Aber da wir an diesem Nachmittage noch zu einem Vogelschießen, verbunden mit Topfschlagen, eingeladen wurden, so hatten wir Ablenkung für unsere Gedanken und so viel zu überlegen und zu besprechen, daß wir gar nicht einmal auf den Hof liefen, um ein entsetzliches Wortgefecht anzuhören, das Mutter Bierkraut und Krischane miteinander aufführten. Beide waren in übelster Laune, wie man schon aus der Ferne hören konnte, Fite aber kam zu uns in den Garten, um leise und verlegen nach seiner Liese zu fragen. Sie war indessen gerade ausgeschickt, und er schlich sich ebenso leise wieder davon.
In den nächsten Tagen also war das Vogelschießen. Ich bekam dazu ein neues Kleid, mußte in die Stadt fahren um anzupassen, und hatte eine Todesangst, daß die Schneiderin mich im Stich lassen würde. Ueber diesen Sorgen vergaß ich nicht allein meine nahende Abreise, sondern auch Krischane und Herrn Nottebohm. Dann, als das Fest vollständig befriedigend verlaufen war und das Gespenst der Abreise sich nicht mehr von der Thür jagen ließ, überkam mich von Zeit zu Zeit ein gewisses elendes Gefühl, das selbst durch den reichlichen Genuß von Stachelbeeren und Frühbirnen nicht zu unterdrücken war. Mir war manchmal ganz schlecht zu Mute und selbst die Mahlzeiten hatten für mich ihre Freuden verloren.
„Kind, iß doch!“ sagte Krischane eines Tages bei der Vespermahlzeit zu mir. Wir saßen um den Kaffeetisch, die Eltern waren ausgefahren und Herr Nottebohm saß auf dem Ehrenplatz.
„Mich deucht, das Essen smeckt dich nich mehr, und ich hab’
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_422.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)