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Seite:Die Gartenlaube (1897) 443.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ich that es aber doch, obgleich auch an meinem Ferienhimmel eine dunkle Wolke aufstieg und mir die letzte Zeit meines Aufenthaltes im Elternhause überschattete. Das waren die Ferienarbeiten, die Herr Nottebohm mir hatte machen wollen und an die ich ihn jetzt nicht zu erinnern wagte. Seufzend begab ich mich also selbst an die Arbeit, was sehr langweilig und auch sehr schwer war, weil ich viel vergessen hatte.

Es war an einem regnerischen Nachmittage, als ich über einem Aufsatz brütete, der das Thema behandelte, wie ich meine Ferien verlebt hätte. Ich wußte es nicht mehr, und nachdem ich eine Stunde lang nur Anfangssätze in die Kladde geschrieben hatte, die immer mit den Worten begannen. „Es war an einem schönen Sommertage, daß ich meine Ferienreise anzutreten beschloß,“ da empfand ich es als eine Erleichterung, daß Herr Nottebohm zu mir eintrat und mir einen etwas sonderbar aussehenden Brief auf das Schreibheft legte.

„Der war in der Posttasche für dich!“ sagte er dabei und lehnte sich gegen den Tisch, an dem ich saß. Ich war überrascht, denn ich bekam nicht oft Briefe.

„Der sieht aber komisch aus!“ meinte ich, das lange, etwas angeschmutzte Couvert und die sonderbare Handschrift betrachtend.

„Soll ich ihn dir auch lieber vorlesen?“ fragte der Kandidat sanft und etwas zögernd. Ich stutzte. Wenn ich Briefe erhielt, dann las ich sie doch meistens selbst, und ich wollte gerade diese Bemerkung machen, als mir denn doch ein anderer Gedanke kam. „Mein Aufsatz ist so furchtbar schwer! wimmerte ich. „Und meine französischen Uebersetzungen! Ich weiß gar nicht, wie ich fertig werden soll!“

„Ich helfe dir!“ sagte Herr Nottebohm hastig. „Gieb mir nur alles, du brauchst es dann nachher nur abzuschreiben. Nicht wahr, den Brief kann ich dir vorlesen?“

„Ist es ganz gewiß wahr, daß Sie mir helfen wollen?“ fragte ich; er nickte aber nur und riß mit zittrigen Händen den Umschlag ab. Er enthielt einen eng beschriebenen aber mit sehr undeutlichen Hieroglyphen bedeckten Bogen und Herr Nottebohm las ihn schweigend durch.

„Sie wollten ihn ja vorlesen!“ rief ich erstaunt, als er noch immer nicht anfing; der alte Kandidat antwortete indessen gar nicht, sondern las mit großer Unbefangenheit weiter. Dann atmete er plötzlich tief auf, fuhr mit der Hand über sein Gesicht und legte das Schreiben vorsichtig vor mich hin.

„Du wirst schon alles allein lesen können, liebes Kind. Die Handschrift ist zwar etwas undeutlich, aber ich denke doch, du wirst dich durcharbeiten – das Herz ist gut!“ setzte er leiser hinzu, und dann war er plötzlich verschwunden, ehe ich ihn an die Ferienarbeiten erinnern konnte. Es war überhaupt häßlich von ihm, so davonzulaufen, denn allein konnte ich wirklich nicht viel mit dem Briefe anfangen und kaum die Unterschrift herausbringen. Erst den vereinten Anstrengungen der Familie gelang es, ihn allmählich zu entziffern. Er war natürlich von Christiane Timmermann und sprach zuerst den Wunsch aus, einmal etwas von uns allen zu erfahren.

„Schreib’ mich man mal, klein’ Deern,“ hieß es dann weiter. „Wo ich doch gern bei Euch war und allens gut war, bis daß Bierkrautsch mit das Betrügen anfing. Abers der liebe Gott hat mir bewahrt, daß ich nich in mein Unglück ging und nu hier in Krempe in das kleine Haus lebe, das Onkel Detlev sein eigen gewesen is. Und das Geld krieg’ ich all in Septembermonat und allens, was ins Haus is, das gehört mich. Ein ganzen Schrank voll feines Herrenzeug, was würklich wunderschön is, bloß daß ich es nich brauchen kann. Wenn Herr Nottebohm hier wär’, denn wollt’ ich ihn schon was abgeben, wo er doch Löchers an die Ellenbogen hat und in mein Garten, wo ein Laube is, könnt er auch gut sitzen und in das gelehrte Buch studieren. Denn ein büschen einsam is es hier, und wenn ich auch mein Herrgott danke, daß ich nich in die Händens von die Sünders und Zöllners gefallen bin, womit ich Bierkrautsch und Fite verstehe, weil daß Bierkrautsch das Geld, was ich ihr geliehen hab’, nich wiedergeben will und der Rechtsanwalt sagt, ich soll man nix dagegen machen, so is es hier doch ein büschen einsam, was woll eine Strafe von den Herrgott is, weil es mich fasten zu gut gehen würde. Denn die Leute kennen mir alle noch nich und ich kenne ihnen nich und ich denke denn an allens, was ich gethan und nich gethan hab’. Und es is mich von Herzen leid, daß ich Herr Nottebohm so oft Nottebohmen genannt hab’, wo er doch ein Herr is und ein Kanderdat. Und wenn ich ihn manchmal was gesagt hab’ über seinen Appetit, was ja bloß ein Zeichen von Gesundheit is, so is mich das jetzt auch sehr swer, und wenn Du Herr Nottebohm bestellen willst, daß mich allens grämt, denn thust mich ein großen Gefallen. Mußt mich auch schreiben, was er gesagt hat, ob er noch an mir denkt, was ich natürlicheweise nicht verlangen kann, weil ich doch immer zu slecht for ihm war. Abersten wenn er mir mal besuchen will, so will ich ihn zeigen, daß mich allens leid is. Und vergiß nich das Schreiben, wonach ich mir grämen und sehnen thue!

Deine treue Christiane Timmermann!“     

Es war wirklich ein hübscher Brief, und als wir ihn alle in uns aufgenommen hatten, lief ich nach oben, um ihn Herrn Nottebohm zu geben, damit er ihn noch einmal lesen sollte. Aber er war nicht zu Hause und auf seinem Tische lag ein an unsern Vater adressierter Zettel, auf dem er kurz mitteilte, daß er plötzlich habe verreisen müssen und um Entschuldigung bäte, wenn er nicht morgen oder übermorgen wiederkäme. Und wirklich – er kam nicht wieder. Die Brüder jubelten über die unerwarteten Ferien, ich aber konnte mich gar nicht in die Schlechtigkeit Herrn Nottebohms finden, der davongegangen war, ohne meine Arbeiten zu machen und damit das mir gemachte Versprechen einzulösen.

Es war wirklich häßlich von ihm; ich hatte indessen wenig Gelegenheit, meinem Groll Worte zu geben, weil mein Vater plötzlich in die Stadt versetzt wurde und die ganze Familie jetzt nur noch vom Umzug und der bevorstehenden Veränderung sprach.

Inzwischen war denn auch meine freie Zeit abgelaufen und über dem Abschiedsschmerz und allen möglichen anderen Sorgen kam ich erst zur Besinnung, als ich wieder auf meiner stillen Insel saß und Betrachtungen über die Vergänglichkeit aller irdischen Freuden anstellen konnte.

Ob ich diese Gelegenheit benutzte, weiß ich nicht mehr, jedenfalls aber dachte ich immer seltener an Krischane und den schlechten Herrn Nottebohm, und als ich eines Tages unsere ehemalige Haushälterin wiedersah, da waren doch schon etliche Jahre vergangen.

Ich war bereits konfirmiert, fand es sehr angenehm, von jedermann Fräulein und Sie angeredet zu werden und fühlte mich peinlich berührt, als jemand mir die Hand auf die Schulter legte und mich mit den Worten. „Lieber Gott, klein Deern, bist du es denn wirklich?“ begrüßte.

Dies geschah auf dem Bahnhof zu Neumünster der sich bekanntlich durch seine Gemütlichkeit auszeichnet und mein Zug aus Ostholstein hatte sich gerade so verspätet, daß ich den Zug nach Norden, mit dem ich weiter reisen wollte, noch eben abfahren sah. Nun konnte ich vier Stunden warten, bis ein anderer Zug fuhr, und ich bedachte mich gerade, ob es nicht für eine erwachsene junge Dame zu schimpflich sei, in Thränen auszubrechen, als die eben erwähnte Anrede mich zum hastigen Umblicken veranlaßte.

Da stand eine dicke, sehr wohlwollend aussehende Frau vor mir, die mich jetzt bei der Hand faßte und sie so derb schüttelte, daß ich mich noch mehr verwunderte.

„O ja, klein Deern, du bist es ja! Na, da freu’ ich mir aber, daß ich zu spät zu den vertrackten Zug gekommen bin, der gar nich ein büschen warten thut, was doch unrecht is. O was freu’ ich mir, daß ich Ihnen treffen thu, wo ich immer gedacht hab’, Sie würden mich mal schreiben, abers Leonhard sagte schon, das thäten Sie woll nich, weil daß Sie noch ein büschen klein waren!“

„Christiane Timmermann?“ fragte ich jetzt, als die dicke Frau Atem schöpfte, die denn doch allmählich in das Sie gekommen war, was mir wohlthat. Und sie nickte eifrig.

„Nu, natürlicheweise, wenn unser Herrgott es auch anders beslossen hat, daß ich nich mit mein Vatersnamen zu Grabe gehen soll! Und haben Sie denn gar nix von allen was mich passiert is, gehört? Nein? Na, da hört doch allens auf, wo es doch in die ,Intzehoer Nachrichten’ und auch in die Kieler Zeitung gestanden hat und is all lang her. Und Mutter Bierkraut hat mich doch noch ein Brief geschrieben, ich wär ihr tausend Mark schuldig, weil daß ich ihren Sohn böslich verlassen hätt’! Haben Sie das auch nich gehört? Und daß Fite Bierkraut mit Liese nach Amerika gegangen is und daß es sie hellschen slecht da gehen soll – haben Sie davon auch nix gewußt? Nein doch – Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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