verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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wissen rein gar nix, Kind, und da kann ich mir denn auch nich wundern, wenn Sie mir noch Christiane Timmermann nennen, was ja ein Namen is, den ich mit Ehren getragen hab’!“
Wir säßen zusammen in dem dumpfigen Damenzimmer des Bahnhofes, Krischane hatte ihren Capotehut, den einige Federn und Blumen schmückten, abgenommen und wischte sich das Gesicht.
„Was freu’ ich mir!“ sagte sie noch einmal und strich über meine Hände. „Abersten ich freu’ mir noch mehr, wenn Sie mal nach Krempe kommen wollen, denn ich hab’ ein Fremdenzimmer und Krempe is wirklich ein’ schöne Stadt. Da is nix von ,mit Verlaubnis’ zu sagen bei das sagen die Leute bloß aus Neid, wenn sie nich in Krempe wohnen, und nirgends anderswo möcht’ ich begraben sein. Leonhard sagt das auch. Wo er doch was von die Welt gesehen hat und zweimal in Hamburg gewesen is und beinahe bei die Dänens!“
„Herr Nottebohm?“ fragte ich zweifelnd, und sie lachte über das ganze Gesicht.
„Nu ja, das is so all lang’ mein Mann. Abersten ich nenn’ ihm Leonhard, weil ihn diesen Namen in die heilige Taufe beigelegt is und ich doch auch sein’ Ehefrau bin. Is ein guten Mann, klein Deern, und wenn ich auch damalen ein büschen doll auf ihm war, weil daß er meinen Brief zu slecht fand, so hatt’ er ihm ja doch nich gelesen, weil er zu viel Briefens auf sein Heiratsgesuch kriegte. Es war kein’ Slechtigkeit von ihn, daß er in die Zeitung eine Frau suchte und ein büschen dabei log. Männers sind anders als wir und dann sehnte er sich nach ’n Ehestand und nach ein’, die ein büschen for ihm sorgte. Liebe Zeit, ich hatt’ ihm ja all lang’ lieb, bloß daß ich ihn das nich merken lassen wollte, und als die Erbschaft kam, hätt’ ich ihm gern gefragt, ob er mir nu wollte. Abers ich konnt’ das doch nich, weil es gegen die christliche Bescheidenheit is, und so nahm ich denn Fite, weil er doch auch ein nüdlichen Jung’ war. Daß er Liese gern leiden mocht’, kümmerte mir nich weiter; im Grund von meinen Herzen mocht’ ich ja auch Nottebohmen lieber als ihm, abersten ich hätte Fite mein Wort gehalten, wohingegen er – sie schöpfte Atem und schüttelte den Kopf. „O, was for alte Geschichtens – abers ich denk’ gern daran! Wie ich in Krempe saß mit all mein Smerz und Aerger und denn ümmerlas an Nottebohmen denken mußt’, und wie mich dann der liebe Gott die Feder in die Hand drückt’, daß ich an Ihnen schreiben muß, und wie Leonhard den Brief in die Posttasche findet und ihm liest. Und wie sein Herz slägt und er zu mich reist und mit einmal vor mich steht und sagt: „Krischane, ich habe Sie immer geliebt! Wollen Sie die Meine werden? O Kind, was ’n schönen Augenblick! Allens war vergessen, alle Smerzen, aller Verdruß, und auch das Geld, was mich Bierkrautsch gekostet hat. Gott – überhaupt, was is mein Leonhard gut! Und so eigen! Wenn er nich so eigen gewesen wär’, denn hätt’ er ja auch damalen ein’ von die Frauenzimmers genommen, die sich auf sein Heiratsgesuch meldeten. Abers er hatte kein’ ein Brief leiden mögen. Und meinen Antrag hatt’ er nich gelesen!“
Frau Nottebohm, geborene Timmermann, hatte ihre Erzählung vollendet, wischte sich die Augen und lehnte sich in dem unbequemen roten Plüschsofa zurück, das sie eigentlich ganz ausfüllte. Ich hatte gespannt zugehört und sagte jetzt einige herzliche Worte, die sie mit Befriedigung erfüllten. Dann vertieften wir uns in gemeinsame Erinnerungen, und die ganze schöne Ferienzeit der zwei Sommer wurde wieder in mir lebendig.
„Ja, es war doch eine schöne Zeit!“ wiederholte Krischane immer aufs neue.
„Also, Fite Bierkraut ist in Amerika?“ fragte ich endlich und Krischane nickte.
„Mit Liese und mit sechs Kinders. Als ich Mutter Bierkraut sagte, daß ich ihm nich wollte, weil daß er treulos gewesen war, is er gleich fortgelaufen und is auch nich wiedergekommen. Ich glaub’, er hat ein Stelle in Kiel gekriegt, da ist denn Liese auch hingekommen und von da sind sie bald nach Amerika gegangen. Abers slecht haben sie es, hellschen slecht und sechs Kinders!“
Sie hielt im Sprechen inne und seufzte. „Ich hab’ kein ein Kind und bei uns is das oft still,“ fuhr sie langsam und zögernd fort. „Leonhard sitzt bei sein Toppographie und bei die Pfeife und bei ’n Glas Punsch, und manchmal geht er auch zu Wirtshaus, abers still is das! Und wenn ich mich bedenke, daß ich gar nich weiß, wer unser Kram erben soll – ich halt allens gut zusammen, und es is ein büschen mehr geworden – und wenn ich bedenk’, daß Fite Bierkraut sechs Kinders hat und vielleicht hungert“ – sie stockte und schob sich ihren Hut wieder grade. „Ja, nu sag’ ich Ihnen das allens und nu kommt der Mann und sagt meinen Zug an. Könnt’ er nu nich ein büschen warten? Abers so is das – allens zur Unzeit! Freuen aber thu ich mir, daß ich Ihnen gesehen hab’, ganz gräsig. und wenn ich nach Haus komm’, denn darf ich Leonhard grüßen, nich? Er kommt nich mehr viel auf der Eisenbahn, weil daß er lieber in Lehnstuhl sitzt und ein büschen liest und ein büschen nachdenkt, abers freuen wird er sich. Ganzen gewiß!“
Ich hatte Frau Nottebohm an den Zug gebracht und sie sprach fortwährend, bis die Lokomotive pfiff und die Wagen sich in Bewegung setzten. Auch wehte sie mir so lange wie möglich mildem Taschentuch zu und rief noch einmal etwas über ihr Fremdenzimmer.
Das habe ich nun doch nicht benutzt, als ich aber nach einigen Jahren in der Zeitung die Anzeige las, daß der Kandidat der Theologie, Herr Leonhard Nottebohm, plötzlich am Schlagfluß gestorben sei und von seiner Witwe Christiane tief betrauert werde, da habe ich ihr meine Teilnahme in einigen herzlichen Worten brieflich ausgedrückt und auch nach mehreren Monaten eine Antwort erhalten, die noch heute in meinem Besitz ist. Sie ist allerdings außerordentlich schlecht geschrieben, bedeutend schlechter als der erste Brief, den ich von Krischane erhielt aber ich habe sie doch ganz allein lesen können, und ein Satz in dem Briefe wird auch denen gefallen, die meine Erzählung bis hierher begleitet haben. Er lautet nämlich:
„Weil ich nu doch, bei allen Smerz dankbar sein muß, daß unser Herrgott mich mein Leonhard so lang gelassen hat so ist es mich auch ein Trost, daß Fite Bierkraut wieder zurück is aus Amerika und nu hier in meine Straße wohnt. Er hat ein klein Hökerei gepachtet und ich hab’ ihn Geld geliehen, weil daß er all die Kinders hat. An Liese is nich viel, das muß ich in Aufrichtigkeit sagen, abersten sie hat ein klein Jung, der is ganzen süß. Der wohnt bei mich und ich laß ihn was lernen und ich hab’ ein Testament gemacht. Die andern kriegen ja natürlich auch was, er aber das meiste. Denn er sieht mein seligen Leonhard ähnlich und neulich wollt er auch patuh Schröder sein Toppographie haben, was mein seligen Mann nie ausgekriegt hat. Nu kann er es ja zu Ende lesen!“
Nervöse Angstzustände.
Man hat das menschliche Gehirn als Träger der geistigen Verrichtungen mit einer photographischen Platte verglichen; wie hier die Lichtstrahlen, prägen sich dort die Wahrnehmungen aller Sinnesorgane ein, mehr oder weniger deutliche Spuren hinterlassend.
Aber die Aufnahmeorgane des Gehirns sind kein abgelöster und auswechselbarer Teil, sondern sie bleiben in enger Verbindung miteinander, wie groß auch die Zahl der aufgenommenen Bilder im Laufe des Lebens werden mag, und zugleich werden sie durch zahllose Fäden mit dem ganzen Körper in Beziehung gehalten. Jeder Sinneseindruck und ebenso jeder Gedanke erregt im Körper einen Widerhall. Für zahlreiche Fälle lassen sich diese Rückwirkungen, wie Professor Mossy gelehrt hat, nur durch seine Instrumente nachweisen und messen, sehr viele Wahrnehmungen und Vorstellungen dagegen verraten auch der einfachen Beobachtung ihre Fernwirkung durch Erröten oder Erblassen verstärkte oder beschleunigte Herzthätigkeit, durch Zittern, Blinzeln, mimische oder allgemeine Unruhe und andere Zeichen einer Erregung der Arterien- oder der Muskelnerven. Die mit so deutlicher körperlicher Veränderungen verbundenen Vorgänge in unserem Geiste nennt man Gemütsbewegungen oder
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_444.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)