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Seite:Die Gartenlaube (1897) 447.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Häufig ist allerdings gar kein Grund für die besondere Angst aufzufinden.

Lange nicht alle Nervösen leiden an solchen Furchtzuständen, und das ist in der That ein Glück, denn es giebt wenige Leiden, die so das Leben verbittern. Gewöhnlich schwankt auch der Grad der Empfindlichkeit sehr erheblich, ebenso wie das Befinden der Nervösen überhaupt. Viele Kranke wissen genau, daß sie die peinigenden Befürchtungen nur bekommen, wenn sie gerade überarbeitet sind oder Aufregungen gehabt haben, oder auch nach einer Unmäßigkeit im Alkoholgenuß. Viele verlieren jede Andeutung davon, sobald sie eine Erholungsreise machen oder ihren Wohnort wechseln, und schon mancher hat daraufhin an die zauberhafte Wirksamkeit einer an fremdem Orte unternommenen Wasserkur u.dgl. geglaubt, aber nach seiner Rückkehr in die gewohnten Verhältnisse auch die Rückkehr des alten Leidens erlebt.

Mit den geschilderten Zuständen ist jedoch das Gebiet der neurasthenischen Angst noch lange nicht erschöpft. Wir haben jene wesentlich deshalb in den Vordergrund gestellt, weil sie auf den ersten Blick faßlich und einigermaßen verständlich erscheinen. Es giebt aber außerdem noch eine inhaltlose, an keine besonderen Vorstellungen gebundene Angst. Der davon Befallene bekommt plötzlich, oft ohne bekannten Anlaß, manchmal nach einer Ueberanstrengung oder Ueberreizung, ein Angstgefühl, für das er keinen Grund angeben kann. Meistens empfindet man so, als säße die Angst in der Magengrube, mit dem Gefühl eines Druckes und einer Beklemmung, die den Atem versetzt, übrigens aber dem Grade nach zwischen starker Unbehaglichkeit oder treibender Unruhe und dem Gefühl augenblicklich drohender Vernichtung wechselt. Andere glauben zu fühlen, wie die Angst ihnen das Herz wie mit eisernen Klammern anpackt und hinundherbewegt, bald unter heftigem, oft sehr beschleunigtem Herzklopfen, bald unter starker Verlangsamung des Pulsschlages. Wieder anderen schnürt die Angst die Kehle zusammen, so daß sie sich räuspern und krampfhaft atmen, um das Hindernis zu beseitigen. Seltener wird das Angstgefühl in den Kopf verlegt, dann verknüpft es sich leicht mit der Befürchtung, daß die Sinne schwänden oder daß man den Verstand verliere. Es kommt auch vor, daß die Angst den ganzen Körper einzunehmen scheint. Immer aber steht in diesen Fällen ein körperliches Angstgefühl im Vordergrunde, für das die Kranken keine nähere Erklärung geben und das sie auch nicht näher beschreiben können. Die Befürchtung des unheilvollen Ausganges, des qualvollen Zustandes ist nur die logische Folge seiner vernichtenden Gewalt. Auch Kranke, welche zahlreiche solche Angstanfälle gehabt haben – die Angst ist selten dauernd, gewöhnlich kommt sie in einzelnen Anfällen und in der Zwischenzeit vollkommen von der Ungefährlichkeit des Zustandes überzeugt sind, unterliegen regelmäßig das nächste Mal wieder seiner überwältigenden Macht.

Mit dem Angstgefühl verbinden sich häufig Schweißausbruch am ganzen Körper oder an der Stirn oder an den Handflächen, ferner Gänsehaut, Schaudern, Zittern, manchmal eine Art Schüttelfrost, Sodbrennen, Uebelkeit, Heißhunger und andere Reizungen der Verdauungsorgane, endlich Schwindel, das Gefühl der Ohnmacht oder des Versagens der Beine usw. Auch eigentümliche Gefühlstäuschungen kommen als Begleiterscheinungen des Angstanfalls vor, z. B. das Gefühl, als ob plötzlich die Finger oder der ganze Körper sehr groß oder sehr klein würden, als ob eine Kugel vom Magen aufwärts steige. Bemerkenswert ist, daß manchmal die als Ausdruck der Angst beschriebenen Empfindungen so überwiegen, daß der Kranke in seinem Bericht die Angst gar nicht erwähnt und nur von einem Anfall von Zittern, Schwäche, Atemnot, Herzklopfen, Heißhunger u. dergl. spricht. Oft sind z. B. die Zufälle von abnorm leichtem Erröten oder Erblassen nichts als ein mäßiger Angstanfall. Jedenfalls sind sie, ebenso wie manche hohen Grade von Verlegenheit und Befangenheit, den nervösen Angstzuständen nahe verwandt.

Im allgemeinen kann man sagen, daß die vorstellungslose Angst auch bei leichteren Graden und bei vorübergehender Neurasthenie vorkommt, während die Platzangst und die ihr verwandten Zustände mehr der chronischen, in der ganzen Anlage des Kranken wurzelnden Neurasthenie eigen sind. Gemeinsam ist allen Arten, ganz im Gegensatz zu den eigenen Empfindungen des Leidenden, ihre völlige Ungefährlichkeit. Weder das Leben noch der Verstand werden wirklich davon bedroht. Gemeinsam ist ihnen auch die Heilbarkeit, man sieht nicht selten Angstanfälle, die jahrzehntelang häufig wiedergekehrt waren, schließlich von selbst sich abstumpfen und verschwinden. Und was noch wertvoller ist: eine vernünftige ärztliche Behandlung kann leichtere und frischere Angstzustände sehr schnell, und sehr oft auch eingewurzelte Angst durch planmäßiges und geduldiges Vorgehen völlig beseitigen. Freilich darf man sich nicht einbilden, durch Zuspruch, Aufrütteln, Verhöhnen oder durch Ablenkung auf Zerstreuungen oder körperliche und geistige Arbeit eine solche Krankheit beseitigen zu können. Ich habe, um von wissenschaftlichen Schriften hier abzusehen, schon in meinem populären Büchlein „Gesunde Nerven“ (Rostock, W. Werthers Verlag, 1. und 2. Auflage 1896) auf das Verkehrte und Schädliche dieser Ansichten hingewiesen, die leider noch in vielen Köpfen spuken. Ruhe und vernünftige Ernährung und Körperpflege, unterstützt durch eine dem Einzelfall angepaßte milde Wasserbehandlung, gegebenen Falls auch durch Elektrotherapie und Massage, dazu die Leitung eines erfahrenen Arztes, der auch die geistigen Hilfen für jede Eigenart herauszufinden und machtvoll zu benutzen weiß, können zahlreiche Angstkranke von ihrem Leiden befreien, für alle schwereren und eingewurzelten Fälle sind außerdem zur gründlichen Heilung gewisse Arzneimittel, in kurmäßiger Darreichung, nicht als planlos angewandte Linderungsmittel, heranzuziehen. Zum Glück ist Deutschland, so schwer auch gemeinhin die Pflege der Nervengesundheit und die Behandlung der nervösen Krankheiten vernachlässigt wird, nicht arm an Sanatorien und an Aerzten für diese entsetzlichen Leiden!


Blätter und Blüten.

Die Tiger des Berliner Zoologischen Gartens. (Zu dem Bilde S. 445.) Es ist seit langer Zeit bekannt, daß die Tigerfelle nicht nur individuell, sondern auch je nach ihrer Heimat sehr verschieden aussehen. Einer wissenschaftlichen Untersuchung dieser einzelnen Abänderungen wird der hohe Wert des Pelzwerkes sehr hinderlich, und selbst in den größten zoologischen Museen ist darum das Vergleichsmaterial nur spärlich vorhanden. Beim Besuch von zoologischen Gärten konnte man bisher nur zwei gut unterschiedene Tigerformen beobachten, den Bengalen-Tiger und den kleineren, stärker gestreiften Insel-Tiger. Eine langhaarige Abart wird in der Litteratur öfter erwähnt und ist auch hier und da in Gefangenschaft gehalten worden. Einen ganz erheblichen Fortschritt in der Lösung dieser ebenso schwierigen als interessanten Frage verdanken wir dem thatkräftigen Eintreten des Herrn Dr. L. Heck, Direktors des Berliner Zoologische Gartens, mit dessen Hilfe schon über eine ganze Reihe sehr wichtiger zoologischer Probleme Licht verbreitet worden ist. Es gelang ihm, allerdings unter Aufwendung erheblicher Kosten, zwei sehr eigentümliche und noch niemals importierte Abarten des Tigers für den Berliner Garten zu sichern. so ist es nun möglich geworden, Tiger aus vier verschiedenen Gebieten Asiens unmittelbar miteinander zu vergleichen. Diese seltene Gelegenheit hat sich die „Gartenlaube“ nicht entgehen lassen, um ein Bild der merkwürdigen Riesenkatzen den Lesern vorzuführen. Das Blatt auf welchem meine Frau die sechs Exemplare des Berliner Zoologischen Gartens vereinigt hat, liefert getreue und lebenswahre Porträts der vier Tigerformen. Der merkwürdigste unter den Berliner Tigern ist jedenfalls derjenige, von welchem Männchen und Weibchen oben auf dem Bilde sich befinden. Die lange Halsmähne, wie der kurze, hochbeinige Körper geben ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Löwen. Ganz auffallend ist die scharf eingeschnittene, fast eingedrückte Nase bei dem Männchen, bei dem Weibchen ist dieses Merkmal nicht so stark ausgeprägt. Dieser Tiger ist in der Färbung der dunkelste von allen vieren und auch am stärksten gestreift. Sein Farbenton ist gelbbraun mit einem Stich ins Rötliche. Die beiden Exemplare (das am Boden liegende Tier ist das Weibchen) haben sich, trotzdem sie zunächst nach ihrer Ankunft von der Reise recht mitgenommen waren, unter verständiger Pflege als sehr zutraulich erwiesen. Sie nehmen es sehr gern an, wenn ihr Wärter, der bekannte Penz, die in Zonen sich ablösenden Winterhaare ihnen aus dem Fell krault. Sie haben einen sehr lebhaften Charakter und sind manchmal gegeneinander so ungemütlich, daß man sie bisweilen hat trennen müssen. Die Heimat dieser Tiere, welche über Tiflis in Transkaukasien importiert worden sind, liegt wahrscheinlich in der Nähe des Südufers des Kaspischen Sees, in den nördlichsten Gebieten von Persien. Ich habe nachgewiesen, daß Tiger, welche

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_447.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)
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