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Seite:Die Gartenlaube (1897) 459.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Auf dem Weg nach dem Gornergrat.

Da kommen Fexen des Bergsports, die in einigen Wochen alle Spitzen der Umgegend von Zermatt mit Beil, Seil und Rucksack erklettern. Wie erbarmungswürdig sehen sie aus: geschwollene, mit Blasen bedeckte Gesichter, rotunterlaufene Augen, dicke aufgesprungene Lippen. Einer hat gar ein Antlitz wie Töpferglasur, tiefe Löcher und Narben, so daß man ihn auf den ersten Blick für einen bemalten Cirkusclown halten könnte. So wütet die Hochgebirgssonne in den Gesichtern. Und doch, wer versagt den Gezeichneten des Hochgebirges, die mit versengten Wangen und abgerissenen Kleidern ins Dorf einziehen, während sie neue Pläne für die folgenden Tage aushecken, einen achtungsvollen Gruß?

Am allerwenigsten die Damen, jede schwärmt für die Bergsteiger ihrer Nationalität, die deutsche für die deutschen, die Engländerin für die ihrigen. Und wie reizend entfaltet sich unter der südlichen Sonne, in der prickelnden Luft Zermatts, die auf alle Wangen Rosen zaubert, das Damenleben selbst, wenn ein Reiterinnenzug junger Mädchen mit Bergstöcken, wehenden Schleiern, kirschroten Shawls schäkernd und scherzend herniedersteigt, als kämen sieghafte Amazonen heim von kühnem Zug.

Ebenso merkwürdige Gestalten wie unter den Fremden findet man unter den Bergführern und Trägern von Zermatt. (Vgl. Abbildung S. 456.) Sie lehnen, Edelweiß oder Auerhahnfedern auf den Hüten, an einer niedrigen Gartenmauer und blinzeln gemütlich schlau nach den Touristen, die vorüberwandeln, doch verraten die rotbronzenen schlichten Gesichter mit keinem Zug, was das Herz dabei denkt, im Gegenteil; über dem Bild liegt die Stimmung der Seelenruhe, der Gleichgültigkeit ausgegossen, das Reden und Gebärdenmachen ist nicht die Sache dieses Volksschlages.

Das läßt sich verstehen. Der Erholungsreisende verlebt in Zermatt herrliche, auflachende Tage, denn er hat das tröstliche Bewußtsein, daß er mit dem nächsten besten Zug in die weite Welt hinausfahren kann, wenn ihm Zermatt verleidet ist. Die Eingeborenen aber sind unter der ewigen Drohung der Berge still und ergeben geworden. Gedämpft klingt ihr Lachen, ernst und farblos ihr Wort, es ist, als sei das Leben der Leute auf einer steten Flucht nach innen begriffen, als werde alles zu Religion.

Selten geht ein Zermatter oder eine Zermatterin ohne Aufenthalt an der alten Kirche vorbei, die mit schlankem Turm mitten im Dorfe steht. Ehe der Führer zu Berge steigt, will er ein Ave beten und auf der Heimkehr ist’s nicht anders. Immer liegen vor dem Dorfaltar Andächtige auf den Knieen.

Wo läge aber auch ein Kirchhof, der mit seinen Kränzen und Steinen so schwermütig redete wie der von Zermatt? Da ruhen unter flatternden Rosen und wuchernden Nelken die Opfer des Matterhorns und seiner Nachbarn. Einheimische und Fremde, die mit dem Ruhm des Unglücks in den Jahrbüchern fortleben. Kein Dorf hat eine größere Chronik von Katastrophen als Zermatt. Die Zermatter tragen daran keine Schuld, sie haben vielmehr in einem halben Jahrhundert und in einer Menge von Unglücksfällen den Ruf blank bewahrt, die ersten, treuesten Bergführer der Welt zu sein.

Die Besteigung der Berge von Zermatt ist übrigens unter tüchtiger Führung keineswegs so überaus gefährlich, wie man nach den Unglücksfällen, die den Namen des Thales Jahr um Jahr in die europäische Presse bringen, schließen kann, sondern die meisten jener erschütternden Katastrophen ereignen sich entweder bei führerlosen Unternehmungen oder an jenen tollkühnen Abenteurern, die immer noch neue Wege auf längsterstiegene Gipfel suchen. Und endlich fällt ein nicht kleiner Teil der Opfer von Zermatt auf piemontesische Auswanderer, die ohne Führung den nächsten Weg über die Gletscher nach der Schweiz suchen.

Gewiß ist, daß man in Zermatt, wo getriebene, zum Teil von den Gasthöfen gut unterhaltene Wege bis in die Region ewigen Schnees, bis in Höhen von dreitausend Metern führen, einen ganzen Sommer lang genußvolle Ausflüge unternehmen kann, ohne sich in Gefahr zu begeben.

Der klassische Spaziergang des Dorfes ist der Besuch der Gornerschlucht, der klassische Ausflug eine Fußtour oder ein Ritt auf den Gornergrat.

In der Gornerschlucht.

Die Gornerschlucht liegt ein halbes Stündchen hinter Zermatt bei den Hütten von Aroleid, die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_459.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)
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