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Seite:Die Gartenlaube (1897) 462.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Das „Seeschießen“.

Eine rätselhafte Naturerscheinung. Von Dr. H. J. Klein.

Seit alten Zeiten wissen die Anwohner einzelner Küsten von geheimnisvollen, dumpfen, kanonenschußähnlichen Schallerscheinungen zu erzählen, die sich bei gewissen Witterungszuständen vom Meere her vernehmen lassen, ohne daß es möglich wäre, den Ort, wo sie entstehen, aufzufinden. Diese Schallerscheinungen werden an der belgischen und holländischen Küste mit dem Namen „Mistpuffers“ (Nebelpuffer) bezeichnet. Die vlämischen Fischer nennen sie Zeepuff oder Zeedoffers und die Fischer und Küstenfahrer betrachten sie als Anzeichen guten Wetters. Aehnliche Schallphänomene kennt man am Bodensee unter dem Namen des Seeschießens, und zwar hat man dasselbe nicht nur am ganzen Nordufer wahrgenommen, sondern ebenso an der südlichen, schweizerischen Seite, wo die dumpfen Schüsse aus der Richtung von dem gegenüberliegenden Friedrichshafen herzukommen scheinen. Vielleicht gehört hierher auch die von der Ostsee unter dem Namen „Seebär“ bekannte Erscheinung, welche ziemlich selten bei windstiller Luft eintritt, und zwar als Woge oder Anschwellen der See, während gleichzeitig ein dumpfes, donnerartiges Geräusch vernommen wird.

Seit 1867 ist bekannt geworden, daß im Delta des Ganges in der Nähe der Stadt Barisal, aber auch mehr als hundert englische Meilen von dort entfernt, von Zeit zu Zeit dumpfe Detonationen wie von entfernten Geschützen wahrgenommen werden. Man bemerkt dieselben dort oft nach Gewittern, wenn das Wetter ruhig und der Himmel wieder klar geworden ist. Diese Geräusche sind seitdem unter dem Namen der Barisalschüsse berühmt, und es wurde von seiten der Asiatischen Gesellschaft zu Kalkutta eine Kommission ernannt, welche sich mit Erforschung des Ursprungs dieser rätselhaften Erscheinung beschäftigen sollte. Diese Kommission verschickte Fragebogen, auf welche von verschiedenen Seiten Antworten eintrafen, aber über die wahrscheinliche Ursache der Erscheinung konnte aus denselben nichts geschlossen werden. Vermutet wurde, daß die donnernde Brandung an der Küste oder auch der Herabsturz großer Erdmassen an unterspülten Flußufern oder unterirdische vulkanische Kräfte, endlich Gasexplosionen im Meere die Detonationen verursache könnte, aber bei genauer Prüfung hielten diese Vermutungen nicht stand. An gewissen Punkten der englischen Küste nahe der Bai von Morecambe hat Prof. Hughes die dumpfen atmosphärischen Schüsse ebenfalls gehört. Er hielt sie anfangs für den Wiederhall entfernter Kanonenschüsse oder Minenexplosionen, fand aber bei genauer Prüfung, daß hierin die Ursache nicht liege könne, dagegen meinte er, daß unter Umständen der Anprall der Meereswogen gegen die Küste Detonationen verursachen könne, welche den wahrgenommenen sehr ähnlich seien, auch das leichte Nachsinken oder kleine Senkungen der oberen Erdschichten könnte möglicherweise dumpfe Schallerscheinungen verursachen.

Im Jahre 1883 hat man auf der kleinen Insel Cayman-Brac südlich von Cuba und nordwestlich von Jamaika sonderbare Detonationen vernommen. Dieselben waren fernem Donnerrollen ähnlich, doch war der Himmel klar, und nirgendwo am Horizont sah man Rauch oder ein Schiff, welches auf die Möglichkeit einer Kanonade hätte schließen lassen. Die Detonationen dauerten längere Zeit an und schließlich kamen die Bewohner der Insel zu der Meinung, daß die Geräusche unterirdisch seien. Nach und nach hörten die Schüsse auf.

Wie bereits bemerkt, sind die dumpfen Schüsse, von denen hier die Rede ist, am Bodensee und an der niederländischen Küste der Bevölkerung wohl bekannt, aber erst durch Graf Zeppelin und besonders durch den belgischen Naturforscher E. van den Broeck ist die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf diese merkwürdige und rätselhafte Erscheinung gelenkt worden. Van den Broeck lernte diese Detonationen zuerst im Jahre 1880 bei Gelegenheit geologischer Untersuchungen in Belgien kennen. „Sie würden,“ sagte er, „meine Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht erregt haben, wenn ich mich in dem industriellen Teile Belgiens aufgehalten hätte, wo an den Wochentagen das Geräusch der Fabriken und der Eisenbahnzüge niemals aufhört und Sonntags aus allen möglichen Veranlassungen geschossen wird. Glücklicherweise führten mich meine Arbeiten in die ruhigen vorzugsweise Ackerbau treibenden Teile des mittleren und unteren Belgiens, wo inmitten allgemeiner Stille jeder Schall sich bemerkbar macht. Dort vernimmt man in einiger Entfernung von den Dörfern nur die Stimme der Natur, selten unterbrochen vom Pfeifen der Lokomotive und von dem charakteristischen dumpfen Rollen eines schweren Eisenbahnzuges, außerdem ab und zu den langsamen Gang eines beladenen Karrens. Namentlich im Sommer kamen mir dort dumpfe Detonationen zu Gehör, ohne Rollen, dumpf von fernher tönend, die in mir den Eindruck des noch nicht Gehörten hervorriefen. Sie konnten ebensowohl unterirdischer Herkunft sein, als aus der Luft stammen. Anfänglich meinte ich, sie seien das Echo ferner Gewitter, und wenn die Luft nicht gewitterhaft aussah, so hielt ich sie für den Wiederhall entfernten Geschützfeuers. Allein die öftere Wiederkehr des Phänomens und der Umstand, daß diese Detonationen zwar nicht immer, aber doch sehr häufig an heißen, schönen Tagen ertönten und durchaus nicht dem Rollen des Donners ähnlich waren, brachte mich davon ab, in ihnen ein Echo entfernter Gewitter zu sehen. Auch erschien bei der großen Entfernung unseres Aufenthaltsortes von den Artillerieschießplätzen sowohl mir als meinem Begleiter die Annahme, es könnte sich um Kanonenschüsse handeln, bald völlig ausgeschlossen. Außerdem giebt es in der ganzen Gegend weder Bergwerke noch Steinbrüche, sondern nur Ebenen und Sandhügel. Endlich traten die Detonationen nicht vereinzelt, sondern in verschiedenen Gruppen auf, meist in den Stunden von 10½ zwei oder drei, bisweilen auch drei bis fünf Schüsse hintereinander vernommen. Am häufigsten und deutlichsten vernahm van den Broeck die Detonationen auf der Hochfläche zwischen Brüssel und Louvain und in der Gegend von dort bis Tirlemont, aber auch in Limburg, im östlichen Brabant und in der Campine. Um das Geheimnis dieser Detonationen zu enthüllen, hat sich van de Broeck nach verschiedenen Richtungen hin an Personen gewandt, welche die Erscheinung ebenfalls kennen, und auf diesem Wege eine Reihe höchst interessanter Berichte erhalten. Zur Beurteilung des Phänomens mögen einige derselben hier mitgeteilt werden.

Der Meteorologe Dr. Lancaster hat in Ostende während der Jahre 1892 bis 1894 Aufzeichnungen über die Nebelschüsse machen lassen und findet, daß dieselben hauptsächlich in den Monaten Mai bis September gehört werden. Sie ertönen bei bewölktem wie bei heiterem Himmel, meist bei schwachem Winde. Der Barometerstand war im einzelnen sehr verschieden, doch traten die Detonationen etwas häufiger bei hohem Luftdruck auf, wie solcher ja auch im Sommer bei warmem, stillem Wetter zu herrschen pflegt. Stets kamen die Schüsse aus westlicher Richtung, also von der See her, und anscheinend aus weiter Ferne. Nach der Angabe des Konservators am belgischen Naturhistorischen Museum, A. Rutot, kann man sich den Ton der Detonationen vorstellen, wenn man das Wort Bum! sehr tief ausspricht. Derselbe Beobachter bemerkt, daß die Schüsse fast nur an schönen Tagen von ihm vernommen wurden, daß er aber eine bestimmte Richtung, aus der sie kommen, niemals festzustellen vermochte. Nach seiner Meinung stammen sie aus dem Innern der Erde und stehen mit sehr schwachen Erderschütterungen in Verbindung. G. Vincent vernahm die Detonationen einst an einem schönen und warmen Tage westlich von Louvain. Sie schienen ihm aus der Richtung dieser Stadt zu kommen, aus weiter Entfernung, und dauerten bis zum Abend fort. Er meint auch, daß sie aus den Tiefen der Erde stammen. Später hat er die Detonationen in verschiedenen Jahren gehört, stets zur Sommerszeit und an schönen warmen Tagen. Sie kamen anscheinend aus den verschiedensten Richtungen, auch meinte der Beobachter, daß gleichzeitig bisweilen ein leichtes Erzittern der Erde stattfand.

Sehr merkwürdig ist ein Bericht, den Professor E. Lagrange an van den Broeck sandte und in welchem er schreibt: „Seit länger als zehn Jahren bin ich auf diese seltsamen Detonationen aufmerksam geworden, die in sehr unregelmäßigen Zwischenzeiten und an den verschiedenen Tagen stattfinden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_462.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)
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