verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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schlafen. Sie haben Erholung nötig, wenn der Tag anbricht, wecke ich Sie.“
Das Mädchen fragte: „Wo willst du denn schlafen, Vater?“
„Ich lege mich auf die Bank.“
Sie fiel ein. „Nein, das thue ich, die ist für dich zu kurz.“ Kindliche Fürsorge sprach aus ihrem Gesicht, sie setzte hinzu: „Ich kann mich gut drauf strecken und unser Gast soll sich in meiner Stube ausruhen.
Ueber die Augen des Türmers flog ein Schimmer von väterlichem Stolz, doch sein Mund gab nichts davon kund, er äußerte nun gegen Alban gewendet. „Sie hat recht, junge Gliedmaßen legen sich überall gut zum Schlaf. So richt’s zurecht, Linde!“
Die Abkürzung von „Gerlinde“ war’s, mit der er seine Tochter benannte. Sie stand auf und zündete eine Unschlittkerze an. Alban widersetzte sich jetzt, er erklärte bestimmt, daß er die Nacht auf der Bank zubringen werde. Doch Toralt versetzte: „Damit thäten Sie dem Kinde weh, sie ist glückselig über das, was sie an Ihnen hat thun können, und hätte sonst eine traurige Nacht; ich kenne sie. Sie müssen ihr schon zu Willen sein, ich muß es auch.“
Er fuhr fort, auch sein Wunsch und Wille sei’s, so gab Alban nach. Sie traten in das Nebengelaß, mehr eine Kammer als eine Stube war es, zum großen Teil von einer Bettstatt mit schneeweißem Linnentuch eingenommen. Toralt reichte dem Gast mit einem Gute-Nachtwunsch die Hand, dann Gerlind, in deren Zügen sich ein Ausdruck von Beglücktheit und von kindlichem Stolzgefühl paarte. Sie sagte dazu: „Erschrecken Sie nicht über die Glocke, wer nicht dran gewöhnt ist, kann’s leicht.“
Er hielt einen Augenblick ihre Hand und erwiderte. „Warum ‚Sie’ – drunten redetest du mich anders an –“
Sie lachte, ihrem Gesicht stand’s, als fiele Sonnenschein drauf: „Ich hielt Sie im Dunkel für unsereins, wußte nicht, daß Sie ein gelehrter Herr sind.“
„Das heißt, nachdem ich dich bei Licht gesehen, hätte ich dich auch so anreden müssen.“
Aus seinen Worten klang, ihm thu’ es leid, gehe ihm gegen das Gefühl, sie nicht weiter ‚du’ nennen zu dürfen. Das Mädchen schüttelte den Kopf, der Türmer fiel ein. „Bleiben Sie dabei, ich bin gewiß, sie hört’s lieber. Bei uns hier oben klingt’s auch viel natürlicher, dünkt mich, und paßt das andere eigentlich nicht her.“
Alban überkam’s, daß er, nochmals die Hand des Alten fassend, rasch erwiderte „Ja, menschlicher klingt es – habe Dank, habet beide Dank für das, was ihr an mir thut!“
Nun war der Flüchtling allein, kleidete sich halb aus, streckte sich hin und löschte das Licht. Zum erstenmal wieder lag er statt auf dem Waldboden in einem Bett, er empfand es als köstliche Wohlthat. Er rechnete nach, seit wie viel Nächten nicht mehr: fünf oder sechs – genau vermochte er’s nicht festzustellen. Vor dem letzten Gefecht war’s gewesen. Schwere Müdigkeit drückte ihm auf die Lider. Er schlief ein.
Plötzlich fuhr er von einem Donnerschlag auf. Er hatte im Traum unter einer blühenden Linde gelegen, deren Duft ihn umgab, und ein Gewitter zog über ihn hin. –
Halb erwacht, tastete er im Dunkel mit der Hand um sich, fühlte das Deckbett. Dazu wiederholte sich der dröhnende Schlag, und ihm kam zum Bewußtsein, kein Donner, ein Glockenschlag sei’s, und er liege in dem Gemach des Türmers oder vielmehr seiner Tochter und habe geträumt. Von einer Linde – das erklärte sich auch, „Linde“ hatte der Vater das Mädchen genannt und der Traum es nach seiner Weise verändert. Nur seltsam war’s, daß er den Blütenduft noch einzuatmen glaubte, als käme dieser neben seiner Schläfe aus dem weichen Kissen heraus. Langsam hallten die machtvollen Glockentöne noch fort; während der letzte – wohl Mitternacht schlug’s – in langen, allmählich schwächer werdenden Ausschwingungen verstummte, schlief er wieder ein.
Dann wußte er noch einmal nicht, wo er sei. Er wachte wiederum auf, doch nicht von einem Getöse, diesmal von einem Gefühl, als ob der Morgenwind mit leise singender Stimme über ihn hingehe. Die Lider öffnend, sah er Tagesschimmer um sich und gegenüber auf der Schwelle der offenen Kammerthür eine nur halb erkennbare Gestalt. Die sprach mit der Stimme des Windes weiter: „Es ist Zeit, Ihr müßt aufstehen, der Vater ist schon hinauf, den Platz für Euch zu richten.“
Da besann er sich abermals, daß er auf dem Turm sei, und ihm wurde klar, Gerlind Toralt stehe unter der Thür und spreche zu ihm. Ihr Gesicht ließ sich nicht unterscheiden, doch erkannte er sie an ihrer hellen freundlichen Stimme. Nur um dies zu bestätigen, gab er zurück. „Bist du’s, Gerlind? Es ist noch zu dunkel, etwas zu erkennen.“
Gegen ihn hintretend, erwiderte sie: „Ich hätt’ Euch gern noch länger schlafen lassen, doch es geht nicht.“
So eigen war’s, so wie in einem Traum noch, daß sie vor ihm stand, unwillkürlich seine Hand ausstreckend, sagte er: „Guten Morgen, Gerlind.“
Sie wiederholte, die Hand fassend „Guten Morgen“, und sich einen Augenblick leicht auf den Rand des Bettes setzend, fügte sie hinzu. „Habt Ihr gut geschlafen?“
„Ja, vortrefflich. Aber du?“
„Ich, herrlich; ich habe von Euch geträumt. Doch ich schwatze und laß’ Euch nicht aufstehen. Macht schnell, ich richte das Frühstück!“
Wie ein aufgehuschter Vogel war sie wieder davon. Rasch kleidete er sich jetzt vollständig an, trat ins Nebengemach, aß und trank, was Gerlind ihm vorsetzte. Sie drängte ihn zur Eile, hieß ihn noch mit dem letzten Bissen im Mund aufstehen und ihr nachkommen. Es ging von der Wächterbehausung durch eine Wendelstiege noch weiter aufwärts, doch nur noch einige Dutzende von Stufen, dann weitete freier Raum sich aus, in dem vom mächtigen Gebälk die großen Kirchenglocken herabhingen. Hier stand der Türmer, die Ankömmlinge schon mit Ungeduld erwartend, stieg eine steile Leiter hinan und forderte Alban auf, ihm zu folgen. So kamen sie zum Oberrand der Glocken, die über einer nicht absehbaren gähnenden dunklen Leere schwebten, und Toralt trat auf einen der großen Querbalken hinaus. „Sie müssen den Weg hinüber machen,“ sagte er, „sehen Sie nicht hinunter dabei, daß Ihnen kein Schwindel kommt!“
Alban ging hinter dem ruhig Voranschreitenden drein, doch sein Fuß tastete zaudernd vor, stockte ungewiß; ein Gefühl faßte ihn an, als schwankte das Holz unter ihm. Da klang seitwärts her die Stimme Gerlinds, und rechts von sich gewahrte er sie auf einem anderen Querbalken, über den sie mit sorgloser Sicherheit wie auf einer breiten Straße hinging. Sie ermutigte ihn: „Ihr müßt gar nicht dran denken, daß Euer Fuß ausgleiten könnte, sondern wie auf ebner Erde gehen, wie auf einem Gassenstein, bei dem Euch nicht einfällt, er sei zu schmal – so –.
Ihr Mund lachte dazu, doch ein wenig erkünstelt, sichtlich nur, um die eigene Unruhe zu verdecken. Unter Alban aber hörte plötzlich die Täuschung des Schwankens auf, seine Augen hefteten sich fest auf Gerlind, und das nahm ihm die Anwandlung von Schwindel.
Er sah ihren kleinen Fuß unter dem kurzen Kleid, unbeirrt gleichmäßig, nicht in Hast und nicht zögernd vortreten, daraus gewann auch der seinige die Fähigkeit, ruhig, sicher nun das Gleiche zu thun. So kam er über die bedrohliche, wohl ein Dutzend Schritte lange Strecke hinüber auf ein kleines verbreitertes, Halt bietendes Eckplätzchen, das die Turmmauer abschloß. Doch eine von Toralt hierher gebrachte lose Leiter stand senkrecht angerichtet und verlor sich mit den obersten Sprossen in völliger Dunkelheit.
„Dort hinauf müssen Sie,“ sagte der Turmwart, „wenn Sie droben sind, werden Sie so viel unterscheiden, daß Sie sich zurechtfinden.“
Der Alte hielt die Leiter, und Alban klomm zehn Sprossen hinan, zuerst erschien ihm alles noch völlig lichtlos, doch dann gewöhnte sich sein Auge an die Dämmerung, er erkannte ein Quergebälk, auf das er sich niederlassen konnte, und das ihm, Anlehnung an die Wand verstattend, einen einigermaßen ausreichenden Aufenthalt bot.
Von unten klang die Frage Toralts. „Sind Sie in Ordnung?“ und auf die bejahende Antwort die Mahnung: „Machen Sie keinerlei Geräusch, bequem ist’s nicht, aber, wenn es ums Leben geht, hält man’s schon einen Tag aus.“
Gerlindens Stimme tönte nach: „Wenn’s geschehen kann, besuch’ ich Euch einmal, denkt immer an etwas, damit Ihr nicht einschlaft und stürzt!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_467.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)