verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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„O, ich wollt’ Euch schon einen schicken, der Euch nichts abnähme, der es aus lauter Freundschaft thäte für mich und Euch.“
„Ich dank’ Euch, mein vielgütiges Fräulein! Aber es fehlt mir halt das Vertrauen, und so mein’ ich, er quält mich nur.“
„Der nicht! Der hat größere Weisheit als die berühmtesten fürstlichen Leibärzte. Und manchem hat er schon aufgeholfen, den die Gescheitesten längst für verloren gaben. Es bleibt dabei, Ephraim, ich schick’ ihn Euch her. Ich hätt’ ihn schon früher geschickt, wenn Ihr Euch minder absprechend über die Heilkunst geäußert hättet.“
„Wie Ihr wollt,“ flüsterte Ephraim treuherzig. „Was Ihr thut, ist gewiß allemal wohlgethan. Und fast will mich bedünken, wenn er von Euch kommt, muß ihm schon irgendwie eine heilige Kraft und Mächtigkeit innewohnen …“
Das Mütterchen kochte die Suppe fertig, während sich Hildegard, auf einer gichtbrüchigen Bank sitzend, noch eine Weile mit dem Sohn unterhielt, der unterdes eifrig weiterflocht.
„Wie prächtig Ihr das versteht!“ rief Hildegard. „So schön und so ebenmäßig!“
„Ist ja leider das Einzige, was ich so spät noch hab’ lernen können! Wer von Kind an gepflügt und gesät hat, der ist übel dran, wenn ihn auf einmal das Unheil so auf den Stuhl nagelt.“
„Faßt Euch nur in Geduld, Ephraim, und hofft noch ein wenig auf Doktor Ambrosius! So heißt nämlich der ausgezeichnete Arzt, der Euch mit Gottes Hilfe noch heilen soll …“
Sie ward blutrot, als sie den Namen aussprach. „Aber ich muß jetzt fort,“ fügte sie rasch hinzu und erhob sich.
„Ach? Wollt Ihr schon gehn?“ fragte das Mütterchen. Auch der Sohn warf ihr einen flehenden Blick zu.
„Ich komme schon bald einmal wieder. Für jetzt hab’ ich noch mancherlei vor. Zunächst gleich da drüben beim Flickschuster, dem Gott ehvorgestern das vierte Kind geschenkt hat. Und niemand im Haus, der sich der armen Frau annimmt! Nun will ich halt sehn was sich da raten und thun läßt.“
„O, drüben beim Flickschuster ist wohl alles in guter Ordnung. Vorhin erst war für ein Augenblickchen die Lore hier, um sich ein Waschfaß zu leihen. Die war munter und froh und sagte, die Mutter stünde schon bald wieder auf. Der Lore ihr einziger Jammer war, daß sie jetzt nicht von Haus fort kann und so die Lernstunden bei Euch versäumt.
„Das kleine eifrige Ding!“ lächelte Hildegard. „Ja, sie ist auffallend geweckt, viel klüger als Rottmüllers Dorothea. Nun, sie solls nachholen, sobald sie daheim wieder entbehrlich ist.“ Sie griff in die Tasche und legte zwei Glaustädter Gulden aufs Fensterbrett. „Wenig, aber mit Liebe!“ sagte sie mild. „Die Zeiten sind teuer! Pflegt Euch, Ephraim, und, wie gesagt: nächstens –!“
Die alte Frau weinte vor Dankbarkeit. Der lahme Sohn ergriff Hildegards Hand und küßte sie mit leidenschaftlicher Inbrunst. „Ach, Ihr seid wie ein Engel des Herrn!“ sprach er gerührt. „Gott der Allmächtige schirme und segne Euch! Und lasse Euch jeden Wunsch in Erfüllung gehn!“
„Ein großes Wort, Ephraim! Euch und Eurem treusorgenden Mütterlein wünsch’ ich dasselbe.“
So schritt sie hinaus auf die Gasse.
Inzwischen hatte der kleine, geschmeidige Rostbraune mit seinem langbeinigen Spießgesellen rechts neben dem Ausgang Posto gefaßt. Als Hildegard die wacklige Tannenholzthüre hinter sich zugemacht hatte, traten sie beide vor. Der Große, Dürre verneigte sich und zog halb dreist, halb verschämt seine Tuchkappe.
„Verzeiht uns, vieledles Fräulein,“ sprach er mit breitmäuligem Grinsen, „wenn wir Euch lästig fallen. Wir sind Euch gefolgt bis in die enge Gasse hier, um Euch die Peinlichkeit unsrer Begegnung im hellsten Menschengewühl zu ersparen. Herr Doktor Xylander, Beisitzer des Glaustädter Malefikantengerichts, giebt Euch auf, wie Ihr da geht und steht, vor seinem Stuhl zu erscheinen. Hier ist der Haftbefehl.
Er wies ihr ein schmales, bedrucktes, mit ihrem Namen versehenes Papier vor.
Hildegard Leuthold war blaß geworden. „Ich bitt’ Euch – wer seid Ihr?“
„Diener der Stadt und des Tribunals.“
„Und Ihr wolltet …? Aber was liegt gegen mich vor?“
„Man beschuldigt Euch des Verbrechens der Zauberei und der Teufelsgenossenschaft. Ihr werdet schon wissen, mit welchem Rechte. Wenn ihr nun klug seid, so ergebt Ihr Euch stillschweigend. Am besten geht Ihr voraus. Der Pfad dort links führt hinter Gärten und etlichen Hütten her gradewegs nach dem Stockhaus. So fällt das nicht weiter auf. Sträubt Ihr Euch aber, dann müssen wir leider Gottes ohne Verzug Euch festnehmen. Seht hier die Handschellen!“
So sprechend, ließ er das Ende einer vielgliedrigen Kette aus der Brusttasche hervorlugen.
Hildegard war vor Entsetzen starr. Sie wußte nur zu genau, was eine Anschuldigung vor dem Glaustädter Malefikantengericht zu bedeuten hatte.
„Um Gott – das ist ja unmöglich!“ brachte sie mühsam hervor. „Ich … ich …? Thorheit! Ihr wollt mich erschrecken! Ihr treibt einen Scherz mit mir!“
„Könnt’ uns teuer zu stehn kommen,“ sagte der Rostbraune. „Bei so ernsthaften Dingen spaßt wohl in Glaustädt keiner, am wenigsten wir Geheimboten. Laßt nur alles Geschwätz! Da – schaut! Dort gaffen sie schon zu Dutzenden aus den Thüren und Fenstern heraus! Macht jetzt ein Ende! Oder wollt Ihr vielleicht, daß wir Euch fortschleppen wie ein störrisches Marktweib?“
Dem armen Geschöpf, das noch eben so ganz durchsonnt gewesen von seinen glücklichen Zukunftsträumen, ward es bei dieser fürchterlichen Verwandlung schwarz vor den Augen. So erfüllten sich also die treuen Segenswünsche, die ihr der Kranke da drinnen mit auf den Weg gegeben? Vorgeladen! Vom Blutgerichte des Balthasar Noß in Haft genommen! Der Zauberei und des höllischen Paktes beschuldigt! Lag sie im Fieber – oder war das gräßliche Wirklichkeit?
Hildegard rang die Hände. In ihrer bebenden Todesangst wäre sie fast in die Knie gesunken und hätte laut aufschluchzend um Gnade gefleht. Doch sie besann sich. Aus der Gewalt dieser Schergen war ja doch keine Rettung mehr. Die folgten als fühllose Werkzeuge dem Befehl ihrer Oberen.
Da gewahrte sie in der Thür des Flickschusterhäuschens die kleine flachsblonde Lore. Das kluge, raschbegreifende Kind, das erst scheu und verstört dagestanden, lief jetzt ungestüm auf sie zu und umklammerte angsterfüllt ihre Hüften.
„Hildegard! Herzliebe Hildegard!“
„Vorwärts!“ drängten die Späher.
„Eine Sekunde noch!“ bat sie mit ruhigem Stolz. „Ihr verliert nichts dabei. Laßt mich nur diesem Kind hier ein letztes Wort sagen! Lore, mein Liebling, ich bitte dich, lauf du, so schnell du kannst, zu meinem Vater! Sag’ ihm, was seiner unglücklichen Tochter geschehen ist! Sie führen mich weg! Der Blutrichter Adam Xylander hat’s so befohlen! Sie lügen, ich wär’ eine Hexe! Mein teurer, geliebter Vater soll mir zu Hilfe eilen! Er und alle, die mich als schuldlos und rein kennen! Und du, Lore, bete für mich und für ihn!“
„Genug jetzt!“ rief der Langbeinige Dürre voll Ungeduld. „Mach, daß du fortkommst, Kleine, und bestell’, was du willst! Ihr aber, Leutholdin, habt nun zu wählen: entweder gutwillig … oder …!“- Er wies auf die Handschellen. – „Ich will nicht, daß uns die halbe Weylgasse hier noch Abschiedsbesuche macht!“
Hildegard Leuthold warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Der schroffe, brutale Ton des Knechtes hatte den ganzen Stolz ihrer jungfräulich edlen Natur aufgerüttelt. Die Hände im Schoß gefaltet, schritt sie geruhig und fest um die Hütte herum, aus der sie vorhin so ahnungslos auf die Straße getreten … Da drinnen erscholl unterdrücktes Jammern und Klagen, das Weh des Gelähmten und seiner halbblinden Mutter über das kaum zu fassende Unglück der freundlichen Trösterin. Hildegard aber schien von alledem nichts zu hören. Es galt jetzt, standhaft und gleichmütig zu sein um jeden Preis. Als die Tochter eines so herrlichen Vaters, als die Braut eines so unvergleichlichen Bräutigams stellte sie doppelte Ansprüche an ihre Tapferkeit. Und Gott der Allmächtige würde die Kraft ihres Willens stärken, wenn sie voll kindlicher Gläubigkeit zu ihm aufsah.
„Ein köstlicher Bissen!“ sagte der Rostbraune, als er die wundervolle Mädchengestalt mit den zwei prächtigen Zöpfen so verführerisch vor sich her wandeln sah.
„Eigentlich schade,“ meinte der Langbeinige. „Nun, wer weiß, wie der Hase läuft! Unser Herr Zentgraf, Herr Balthasar Noß, ist ja doch auch nur ein Mensch – und sehr empfänglich
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_474.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)