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Seite:Die Gartenlaube (1897) 486.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Antlitz. „Ich danke dir! Das will ich dir nicht vergessen, so lang’ ich lebe! Nun aber laß mich und geh’ in die Küche! Erhol’ dich ein wenig! Du bist so abgejagt wie ein verfolgtes Wild. Ich schreibe jetzt gleich ein paar Zeilen an Doktor Adam Xylander. In das Gerichtsgebäude. Willst du mir die besorgen? Hast du noch Kräfte genug?“

„O ja! Für meine herzliebe Hildegard wollt ich mich auch zu Tod rennen. Aber mir thut’s nichts.“ So ging sie hinaus.

Der Magister nahm seinen dumpf brennenden Kopf zwischen die Hände. Aus tiefster Brust stöhnte er auf. Dann setzte er sich vor den Arbeitstisch, nahm einen großen gelbgrauen Conceptbogen und schrieb ohne zu stocken was folgt:

„Hochwürdiger und gestrenger Herr Stadtrichter!
Hochgelahrtester Herr!

Verzeiht einem geängstigten Vater, wenn er Euch mitten in Eurer Amtstätigkeit schier überfällt. Aber Not kennt, wie Ihr wißt, kein Gebot.

Ist es wahr, daß mein geliebtes, unbescholtenes, ehrbares und gottesfürchtiges Kind Hildegard bei Eurem Gericht als Hexe denunziert worden ist, und daß Ihr, Herr Doktor Adam Xylander, Befehl erteilt habt, die sittsame und arglose Jungfrau in Haft zu nehmen? Man hat sie vor einem Haus in der Weylgasse, wo sie Almosen austeilte und einem Kranken Trost brachte, mit Gewalt fortgeführt. Möglicherweise liegt hier ja eine bloße Verwechslung, ein Mißverständnis oder ein Willkürakt untergeordneter Knechte vor. Ich beschwöre Euch, hochgelahrter Herr Stadtrichter, klärt mich hierüber ohne Verzug auf! Die Ueberbringerin dieser Zeilen könnte mir Eure gütige Antwort gleich mitnehmen. Es bedarf ja keiner langen Erörterung, sondern nur etlicher Silben, zu denen Ihr wohl bei freundlichem Willen die Zeit findet. Ich sage Euch schon im voraus meinen gehorsamsten Dank.

Im Fall, daß Ihr die furchtbare Thatsache einer vorhandenen Denunziation bestätigt, unterbreite ich Euch hier gleich das Ersuchen, mir doch eine sofortige Unterredung mit meinem unglücklichen Kinde wohlgeneigtest gestatten zu wollen. Ich hoffe, daß Ihr mir tiefbekümmertem Manne dies billige und gesetzlich unanfechtbare Verlangen nicht abschlagen werdet.

Die eidliche Aussage eines Vaters gilt im peinlichen Prozeß Euch Männern von der Justiz ja wenig. Aber ich leiste hier dennoch bei dem allwissenden Gott einen heiligen Schwur, daß, wer immer meine geliebte Tochter bei Euch denunziert hat, ein elender, ruchloser, feiger Verleumder und Lügner ist. So wahr mir Gott helfe!

Ich nenne mich
Eurer Hochgelahrten freundwilligen und gehorsamsten Diener
Franz Engelbert Leuthold,
weiland Magister zu Wittenberg.“

Nachdem er dies Schreiben gesiegelt und mit der Aufschrift versehen hatte, trug er es selbst in die Küche und übergab es der Flickschusters-Lore. Das Kind sauste wie ein flatternder Vogel zum Thor hinaus.

Der Brief traf den Malefikantenrichter kurz vor elf Uhr in seinem dumpfigen Eigenraum neben der Haupthalle. Er saß hier vor dem tintenbeklecksten Pult und blätterte in den Akten der Wedekind. Da die Flickschusters-Lore nach Leutholds Weisung dem Gerichtsdiener erklärte, es handle sich um eine höchst persönliche Angelegenheit des Herrn Stadtrichters, so ward sie ohne Verzug vorgelassen.

Adam Xylander empfing das Kind mit staunendem Mißtrauen. Wer unterstand sich, ihn hier unmittelbar vor Ausübung seiner Amtspflicht – Punkt Elf sollte die Sitzung beginnen – mit persönlichen Zuschriften zu belästigen? Suchte man etwa sein von Natur so bewegliches Herz heimlich zu gunsten der Wedekind zu beeinflussen? Ihm etwas recht Erschütterndes vorzujammern? Aber die Welt sollte doch nachgerade davon überzeugt sein, daß ihn die Pflicht und das Rechtsgefühl zum unüberwindlichen Brutus machte! Es war an der Zeit, solche Bestrebungen, die sich während der letzten Monate mehrfach zu ihm herangedrängt hatten, energisch festzunageln und als Begünstigung kriminell zu verfolgen.

Mißmutig und ohne ein Wort zu sprechen, nahm er der kleinen Lore den Brief ab. Er drehte ihn etlichemal zwischen den Fingern, beschaute das Siegel, das er nicht kannte und brach ihn dann mit zögernder Selbstüberwindung auf. Er las – die Lippen fest aufeinandergepreßt. Die schmale, zurückfliegende Stirn über der unruhig schnobernden Geiernase umwölkte sich ihm.

Nach kurzem Bedenken ergriff er die Feder und schrieb.

„Hochwürdiger und hochgelahrtester Herr Magister!

Aus besonderer Gefälligkeit und aus ehrlicher Hochachtung für den schuldlosen Vater, der unter dem Frevel der Tochter nicht über Gebühr leiden soll, gebe ich Euch die gewünschte Auskunft, obschon ja der Ton Eurer schätzbaren Epistel mit der Hoheit und Dignität des Richterkollegii kaum noch verträglich scheint.

Ja, Eure Tochter Hildegard Leuthold ist auf meinen Befehl hier zur Haft gebracht worden. Es liegen schwerwiegende Indicia gegen sie vor, deren Berechtigung sich wohl in kurzem herausstellen wird. Heute noch will ich zum ersten Verhör schreiten. Aus Nachgiebigkeit gegen die Fürbitte dessen, der sie bezichtigt hat, soll dies erste Verhör – selbst für den Fall, daß die Beschuldigte hartnäckig leugnet – ohne Tortur stattfinden. Man wird der Beschuldigten einige Tage Zeit lassen in der Zelle des Stockhauses zur Besinnung zu kommen, auf daß sie demnächst ein reumütiges Geständnis ablegen und sich so nicht nur die sonst unabwendbare Folter erspare, sondern auch eine mildere Form der Urteilsvollstreckung auswirke.

Euer Zeugnis und Euer Eid sind hier allerdings vollständig wertlos. Denn das ist ja die Art und die boshafte List solcher Hexen, daß sie ihre Umgebung durch scheinheiliges Wesen geflissentlich täuschen. – Was Euren Wunsch betrifft, die Verhaftete zu besuchen, so stünde der Sache meinerseits nichts im Wege. Doch möchte ich kein entscheidendes Wort sprechen, ohne zuvor Herrn Balthasar Noß gehört zu haben, der wohl morgen, spätestens übermorgen von seiner Reise zurückkehrt. Bis dahin also geduldet Euch! Und tröstet Euch mit dem Gedanken, daß, wenn auch der irdische Richter mitleidslos gegen die Frevlerin einschreiten muß, hiermit doch eine Sühne geschaffen wird vor Gott dem Allmächtigen, der die Bußfertige und Gezüchtigte im Jenseits begnadigt und sie trotz ihres abscheulichen Paktes eingehen läßt in das Reich seiner ewigen Herrlichkeit.

Tiefschmerzlich bedauernd, daß gerade Euch dies furchtbare Verhängnis beschieden war, nenne ich mich

Euren gehorsamsten Diener
Doktor Adam Xylander,
Beisitzer des Glaustädter Malefikantengerichts.“

Und abermals rannte die kleine Flickschusters-Lore durch die schwer sengende Juliglut nach der Grossachstraße.

Als der Magister das unversiegelte Blatt in Empfang genommen und das erschöpfte Kind wieder hinaus zu Gertrud geschickt hatte, warf er sich, am ganzen Leibe zitternd und bebend, in seinen Lehnstuhl und las. Er starrte auf die unruhig verschnörkelten Schriftzüge des Malefikantenrichters wie auf gräßliche Nachtgespenster. Da hatte er’s schwarz auf weiß – dieser hirnkranke Fanatiker war gleich von vornherein von der Schuld Hildegards fest überzeugt, er ließ die Möglichkeit eines Irrtums gar nicht gelten! Die Missethaten, die man den Unholden und Hexen vorwarf, diese haltlosen, öden Gespinste des Aberglaubens, waren für Adam Xylander so höchst wirklich und thatsächlich, daß er sie auf den leisesten Schimmer einer Verdächtigung hin augenblicklich mit Händen griff! Es war zum Tollwerden!

Und mit zermalmender Wucht überkam den unglücklichen Magister das Peingefühl seiner vollständigen Ohnmacht und Hilflosigkeit. Nein, aus dem Todesnetze der Blutrichter gab es auf Gottes Welt kein Entrinnen. Mit diesen schauerlichen Phantasmen der Bosheit und Finsternis kämpfte die Willenskraft ebenso fruchtlos wie der Geist und die Einsicht.

Fruchtlos! Ohne die mindeste Aussicht! Und gleichwohl mußte irgend etwas geschehen! Er konnte als Vater nicht in müßiger Feigheit die Hände in den Schoß legen, wenn man sein Liebstes zerquälte, zertrümmerte und dem schmachvollen Tod überlieferte! Selbst das Unmögliche mußte gewagt, selbst das Hoffnungsloseste mußte versucht werden.

Zunächst galt es wohl, einen Rechtskundigen ausfindig zu machen, der so viel Mut besaß, für Hildegard als Verteidiger aufzutreten. Die Gewinnung eines Verteidigers hielt schwer unter der Herrschaft der Blutrichter. Gleich von Anfang an hatte sich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_486.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
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