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Seite:Die Gartenlaube (1897) 488.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

anberaumt haben, wäre nicht sein Kollege Holzheuer nebst zwei Schöffen durch eine wichtige Inspektionsfahrt behindert gewesen.

Fünf Minuten nach Elf war das Glaustädter Malefikantengericht bis auf Balthasar Noß vollzählich. Adam Xylander nahm den buckelbeschlagnen Präsidentenstuhl ein. Doktor Holzheuer, das gefügigste Werkzeug des abwesenden Zentgrafen, saß dem Präses zur Rechten, links folgten die beiden Schöffen und der Gerichtsschreiber.

Die Halle des Tribunals war ein nicht sehr umfangreicher, stilloser, schwarzgrau getünchter Raum. Zwei etwas verbogene Querbalken zerlegten die hier und da schon des Bewurfs ermangelnde Decke in drei ungleiche Teile. Im Hintergrund rechts, dem Langtisch des Tribunals schräg gegenüber, lief an der Mauer ein hölzerner Sitz entlang. Hier saßen, bis sie gebraucht wurden, die vornehmlichsten Helfer des damaligen Kriminalprozesses: die Folterknechte. Ihnen zur Seite befand sich ein mannshohes Gestell, das in verschiedenen Fächern die grausigen Apparate und Handwerkszeuge enthielt, mit denen das Malefikantengericht arbeiten ließ. Oben in einem der Querbalken war ein schmiedeeiserner Ring angebracht. In diesem Ring lief ein halbzölliger Strick – zur Bewerkstelligung der sogenannten Expansion oder Elevation, des Aufziehens.

Das Stockhaus, wo die Verhafteten untergebracht wurden, stand mit dem alten Gerichtsgebäude durch einen schmalen gewölbten Gang nach Art der venezianischen Seufzerbrücke unmittelbar in Verbindung. Diesen verrufenen Gang hatte Brigitta Wedekind zu durchschreiten, als sie am siebzehnten Juni auf den Befehl Adam Xylanders von zwei städtischen Hellebardieren in die Halle des Tribunals geführt wurde. Die arme Frau blickte stumpfsinnig vor sich hin. Die lange Haft in der engen, lichtlosen Zelle hatte sie vollständig gebrochen. Sie war kaum noch imstande, sich hier im Angesicht ihrer Peiniger auf den Füßen zu halten.

Nachdem Doktor Xylander ihre Persönlichkeit festgestellt hatte, verlas er die schon vor der Verhaftung protokollierten Zeugenaussagen. Es waren die üblichen hirnverbrannten und doch so vielfach geglaubten Anschuldigungen, deren sich auch der Tuchkramer Henrich Lotefend in seiner Denunziation bedient hatte: der Pakt mit dem Teufel, die ihm gezollte Anbetung und gotteslästerliche Verehrung, die schmachvolle Liebschaft mit ihm, die Schädigung argloser Mitmenschen durch zauberischen Unfug, die abscheulichen Orgien auf dem Herforder Steinhügel. Nur daß hier die Zeugenaussagen mehr ins Einzelne gingen und noch andre Punkte umfaßten, vor allem auch die Bereitung der Hexensalbe aus Wolfswurzel, Eppich und dem geronnenen Herzblut heimlich ermordeter ungetaufter Säuglinge. Als Doktor Adam Xylander zu Ende war, legte er das unglaubliche Aktenstück auf den Gerichtstisch, klappte es zu und stemmte die rechte Hand wie eine Kralle darauf. „Inkulpatin, habt Ihr gegen die Richtigkeit dieser Anschuldigungen irgend was Statthaftes einzuwenden?“

„Gott der Allmächtige steh’ mir in Gnaden bei!“ ächzte Brigitta. „Von alledem ist mir auch nicht das Geringste bewußt. Ich bin stets eine ehrbare Frau gewesen und habe in Treue Gott und meinem Erlöser gedient. Wie sollte mir doch je in den Sinn kommen … Ach, mein hochwürdigster, gnädigster Herr, Ihr müßt ja doch einsehen, daß diese Menschen mich grausam verleumdet haben! Oder die helle Furcht hat sie irre geleitet …“

„Also Ihr leugnet?“

„Wie kann ich bekennen? Da ich doch unschuldig bin …!“

„Das wird sich ausweisen. Noch einmal, Brigitta Wedekind, vermahne ich Euch hier ernst nachdrucksamst: erschwert nicht unsre betrübsame Aufgabe durch Halsstarrigkeit und Lüge!“

„Und wenn Ihr mich gleich auf den Stelle in Stücke reißt – ich kann nichts gestehn! Ich bin schuldlos! Ich weiß nichts von dieser Missethat!“

„Herr Gerichtsschreiber! Eh’ ich zur Folter schreite, habt die Gewogenheit, der hartnäckig leugnenden Inkulpatin die einzelnen Instrumente und ihre Wirkung anschaulich zu erläutern!“

Der Gerichtsschreiber stand auf. Mit großer Geläufigkeit, die eine vielfältige Uebung verriet, setzte er dem unglücklichen Weib auseinander, was die vier Hauptwerkzeuge der Glaustädter Folterkammer bedeuteten. Zunächst beschrieb er den Daumenstock. Dann die eiserne Hand. Hiernach die spanischen Stiefel. Und schließlich Elevation. „Dem Inkulpaten – so hieß es bei der Elevation – „werden die Hände hinter dem Rücken fest zusammengeschnürt. An diese kreuzweis verschnürten Hände knüpfen die Folterknechte ein Seil, mit welchem der Inkulpat durch den Ring an der Decke allmählich emporgezogen wird, bis ihm die Arme verkehrt und verdreht über dem Kopf stehen.“

Halb wahnsinnig vor Entsetzen hatte die Wedekind zugehört. Sie schlotterte, als wäre sie schon in den Händen der Folterknechte.

„Zum letztenmal, bekennt Ihr Euch schuldig?“ fragte die schrilltönige Stimme Adam Xylanders.

Verzweiflungsvoll hob sie die kettenklirrenden Hände.

„Ich kann doch nicht! Gott der Herr hat geboten: Du sollst kein falsch Zeugnis ablegen …“

„Man gebe der Inkulpatin den ersten Grad!“

Zwei von den Folterknechten erhoben sich. Der eine trug zwei stahlblaue rundköpfige Klammern, die berüchtigten Daumenstöcke.

„O du meine herzliebe Mutter unter der Erden!“ wimmerte Frau Brigitta. „Hilf mir und rette mich! O du mein allergnädigster Heiland! Ach, erbarme dich meiner! Ach, hilf und rette mich!“ Gleich danach gellte ein rasender Aufschrei durch die Gerichtshalle ein zweiter, ein dritter. Dann – plötzliche Totenstille. Das Uebermaß der unsäglichen Qual hatte der armen Mißhandelten das Bewußtsein geraubt. Wie eine leblose Masse hing sie in den Armen des Folterknechts.

„Satanas springt ihr bei,“ murmelte Adam Xylander.

Jetzt fing die gepeinigte Frau an, sich wieder zu regen. Ein dumpfes Stöhnen und Röcheln kam aus dem schaumüberdeckten Mund. Alsbald schrie und brüllte sie wieder in mark- und beinerschütternden Jammerlauten.

„Gebt’s ihr gelinder,“ befahl der Malefikantenrichter.

Die Folterknechte lösten die Schrauben um eine halbe Drehung.

„Habt Ihr’s Euch nun überlegt, Wedekindin? Wollt Ihr bekennen?“

„Ja, ja, ja!“ ächzte sie mit gebrochenen Augen. „Um Christi Willen, hört auf! Ach, du mein himmlischer Heiland, hilf! Ach, Ihr gestrengen Herren, hört auf, hört auf!“

Ein Wink Xylanders: die Knechte gaben sie frei. Man schob ihr einen Holzschemel hin, auf dem sie noch immer keuchend und winselnd Platz nahm.

„Ihr räumt ein, daß sämtliche Zeugenaussagen begründet sind?“

„Ja, ja, ja! O meine armen Finger! O du meine herzliebe Mutter unter der Erden, erbarme dich meiner!“

„Herr Gerichtsschreiber, nehmt mir zu Protokoll: ‚Auf den ersten Grad der Folter gebracht und nur mäßig torquieret, gab Inkulpatin zu, daß die vorliegenden Zeugenaussagen durchweg und in allen Punkten der Wahrheit entsprechen.‘ So! Das ist schneller gegangen, als ich vorausgesetzt.“

Gratulor!“ murmelte Doktor Holzheuer mit großer Verbindlichkeit.

„Nun aber giebt’s noch mancherlei drum und dran,“ meinte Xylander, „teils von praktischem Wert, teils von rein theoretischem. Da wir noch Zeit haben, will ich hier etliches schon vorweg nehmen, zumal ja unser Herr Zentgraf mehr auf die Schuld selber zu fahnden pflegt als auf deren historische Genesis. Grade bei dieser Wedekindin möchte sich in puncto der höllischen Kniffe höchst Beachtsames ergeben, dieweilen ja Inkulpatin früherhin thatsächlich eine frommgläubige, gottesfürchtige Christin war, zu deren Berückung der Böse ganz absonderlicher Trugkünste bedurft haben muß.“ Er legte nun der vor Angst und Schmerz beinahe sinnlosen Frau eine Reihe von Fragen vor, die sich – halb andeutend, halb ausführend – darauf bezogen, wann, wo und in welcherlei Art und Gestalt sich ihr der Teufel zuerst genähert habe. Stockend, unsicher und mit vielerlei scheuen Verwahrungen gab ihm die Wedekind Antwort. Ihr Geständnis war zusammengesetzt aus den landläufigen Vorstellungen, die damals mit geringen Verschiedenheiten allenthalben im Schwange waren, und aus den seltsamem Einzelzügen, die Adam Xylander dem Schatz seiner eigenen hirnwütigen Einbildungskraft entnahm und nach bekannter Inquirentenmethode in sie hineinfragte.

Als schmucker Jägersmann, völlig in Grün gekleidet, den Schnurrbart zwirbelnd, daß die Funken strichweise gen Himmel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_488.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)
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