Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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Schiller in Loschwitz. (Zu dem Bilde S. 520 und 521.) Blickt man von der Brühlschen Terrasse in Dresden den grünen Elbstrom hinaus und das liebliche Höhengelände entlang, das am rechten Ufer den Fluß begrenzt, so labt sich das Auge entzückt an den Schlössern und Villen, die, dem Dorfe Loschwitz vorgelagert, aus dem Grün der Gärten malerisch zum Strom herniedergrüßen. Nähert man sich dem Dorfe auf dem Höhenzug selbst, so führt uns die Straße kurz vor dem Ort an einem unscheinbaren Häuschen vorüber, das zu einer der schönen Weinberg- Besitzungen gehört, die sich von hier nach der Elbe hinunterziehen. Eine kurze Inschrift fesselt den Blick – sie lautet: „Hier schrieb Schiller bei seinem Freunde Körner den Don Carlos 1785, 1786, 1787.“
Die schlichten Worte rufen in uns die Bedeutung wach, welche die idyllische, anmutige Natur dieser Umgebung für eine der wichtigsten und glücklichsten Wandlungen im Leben Friedrich Schillers gehabt hat. Schon der herrliche Brief, welchen der spätere Dresdener Appellationsrat Christian Gottfried Körner im Juni 1784 aus Leipzig im Verein mit seiner Braut Minna Stock, deren Schwester Dora und ihrem Bräutigam Huber an den ihnen persönlich unbekannten Dichter der „Räuber“ nach Mannheim schrieb, hatte auf des Dichters damals schwergedrücktes Seelenleben wunderbar aufrichtend gewirkt. Die Aufnahme, welche er im folgenden Jahr im Bunde dieser Verehrer in Leipzig und Dresden fand, versetzte den vorher an seiner Mission schon verzagen wollenden Dichter in jene gehobene Seelenstimmung, der wir das Lied „An die Freude“ verdanken. Und die großherzige Gastfreundschaft, die Körner dann nach seiner Verheiratung mit Minna Stock dem bewunderten Freunde in Dresden und in seinem Loschwitzer Landhaus gewährte, sie war für Schiller der sichere Hafen, in welcher der Sturm und Drang seines jugendlichen Genius zu männlichem Kraft- und Zielbewußtsein sich klärte. In Dresden und Loschwitz dichtete er nicht nur den „Don Carlos“ und in ihm die abgeklärteste Gestaltung seiner Jugendideale, hier fand er auch die Muße zu einem zusammenfassenden Studium der Geschichte, welches dann zur festen Basis seiner weiteren Entwicklung wurde.
Frank Kirchbach, der in unserem Bilde ein Gegenstück zu dem von uns im vorigen Jahrgang (S. 224.) gebrachten „Goethe auf dem Mühlberg in Frankfurt a. M.“ geschaffen hat, zeigt uns den Dichter, wie er, in der Abgeschiedenheit des Körnerschen Weinbergs unter einem Obstbaum sitzend, dem vor ihm gelagerten Körnerschen Paar einige frischgedichtete Scenen aus „Don Carlos“ zum Vortrag bringt. In der Erregung sind ihm die Blätter des Manuskripts, aus welchem er vorzulesen begonnen, entfallen – vom Feuer der eigenen Dichtung hingerissen, nimmt sein Geist nachschaffend noch einmal den Flug, den er in der Stunde der Inspiration genommen – und den beiden Zuhörern, deren Augen begeisterungsvoll an des Dichters Lippen hängen, ist es zu Mute, als hörten sie die Dichtung frisch entstehen. Es sind Theodor Körners Eltern, die wir so im Lenze ihrer Ehe vor uns sehen. P.
Die Theaterstraße in Yokohama. (Mit Abbildung.) Bei dem gar vergnügungssüchtigen japanischen Volke spielen die Theater eine sehr große Rolle. Jede Stadt hat ihre Theater, Tokio, Kioto, Osaka und Yokohama besitzen deren sogar eine beträchtliche Anzahl. Man muß sich aber unter den japanischen Theatern nicht etwa solche nach abendländischem Muster vorstellen. Der Mehrzahl nach sind dieselben nur geräumige, leicht und luftig gebaute Bretterbuden, deren Zuschauerraum drei- bis fünfhundert Personen Platz bieten dürfte. Wie in Japan alle Gewerbe und Berufsarten ihre eigenen Straßen oder Stadtviertel zu haben pflegen, so stehen auch die Theater und Vergnügungslokale gewöhnlich nahe beisammen, in manchen Straßen giebt es deren Dutzende der verschiedenster Art. Schon aus der Ferne sind sie durch die acht bis zwölf Meter langen Bambusstangen kenntlich, die vor jedem einzelnen, gegen die Straße geneigt, errichtet sind und sich wie richtige Angelruten ausnehmen, welche die Theaterbesucher aus dem Menschenstrom der Straße fischen sollen. Von diesen Stangen flattern lange Leinwandstreifen in bunten Farben, gewöhnlich blau und rot, und sie sind die Träger der in großen Lettern prangenden Theateranzeigen. An jedes Theater oder Tingel-Tangel schließt sich in der Regel ein zierliches Theehaus mit halbgedeckten, lampiongeschmückten Veranden und Galerien. Die Theaterstraßen der japanischen Großstädte bestehen hauptsächlich nur aus derartigen Theatern, Theehäusern und Schaubuden, in denen allerhand Zauber, ähnlich dem Wiener Wurstelprater, gegen ein paar Pfennige Eintrittsgeld zu sehen sind. Hier zwischen diesen Vergnügungslokalen herrscht das regste Leben vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein, denn die Theater Japans sind nicht nur des Abends geöffnet, die Vorstellungen währen den ganzen Tag über, und die meisten Japaner, welche sie besuchen wollen, nehmen ihre Familie mit Kind und Kegel in eine Loge und bringen den ganzen Tag im Theater zu. Andere dagegen kommen nur für eine oder mehrere Stunden, um die wichtigsten Scenen oder die beliebteren Schauspieler zu sehen. Das Gedränge in den Theaterstraßen ist zuweilen so groß, daß in ihnen der Verkehr von Wagen und Rickshaws (den kleinen von japanischen Kulis gezogenen Handwägelchen) verboten wird. Die Theaterbesucher müssen dann auch bei schlechtem Wetter ihre Rickshaws an der Straßenecke verlassen und den Weg zum Theater zu Fuß zurücklegen.
Oetzthalerin. (Zu unsrer Kunstbeilage.) So mannigfach geartet wie der landschaftliche Charakter der Alpenthäler ist auch der seelische Charakter ihrer Bewohner. In den nach Süden gerichteten Thälern, an deren üppigen grünen Geländen der Wein gedeiht, ist die Lebensstimmung der Bewohner vorwiegend froh und heiter, in den nordwärts gerichteten, wo der Landmann mühselig und unter Lebensgefahr auf Felsenhängen den spärlichen Graswuchs erntet und der fruchtbare Wiesengrund stets von Murbrüchen und Lawinen bedroht wird, ist das Gemüt dagegen meist ernst gestimmt. Solche Gegensätze gelangen auch in der Tracht zum Ausdruck. Kein farbenprangenderes stolzeres Kostüm in der ganzen Tiroler Alpenwelt, als das der Weinhüter von Meran! Wie schlicht und einfach tragen sich dagegen die Anwohner der felsumstarrten Hochthäler, welche sich aus der Welt des ewigen Eises gen Norden ziehen. Ernst und still erscheint auch die jugendzarte anmutige Oetzthalerin auf unserem Bild, ihr schlichtes Sonntagsgewand ermangelt des Farbenreizes. Schwarz der innen mit Seide gefütterte breitrandige Filzhut. Geschlossen bis zum Hals ist das dunkle Kleid, über dem sie ein blauseidenes Tuch einfach gefaltet trägt. Aber gerade die Harmonie zwischen dieser Tracht und dem inneren Wesen, das sich im Antlitz ausprägt, übt einen ungemein anziehenden Zauber aus.
Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 31/1897 ]
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_532.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)