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Seite:Die Gartenlaube (1897) 608.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

gewerbsmäßigen Hexenrichter. Furchtbare Alchimisten, die sich auf die gewinnreiche Kunst verstehen, aus Menschenblut Gold zu machen!

Er schwieg. Tosender Beifall umbrandete ihn. Die wenigen Stimmen, die sich noch für die Schreckensherrschaft des Balthasar Noß hätten erheben können, verstummten klüglich vor dem Ueberschwang dieser allgemeinen Begeisterung. Uebrigens glaubte hier jedermann, die Verschwörung umfasse weit größere und einflußreichere Kreise, als dies wirklich der Fall war.

„Auf nach der Stadt!“ scholl es tumultarisch aus hundert und aber hundert kampflustigen Kehlen.

Im Untergehölz der Wolfskante lagen noch einige hundert Flinten nebst Munition, sowie eine Kiste mit breiten Dolchmessern. Dieser Vorrat wurde alsbald verteilt. Auch die Schwerter und Spieße der überwältigten Stadtsoldaten fanden bereitwillige Abnehmer. Die übrigen bewaffneten sich mit Keulen und Knütteln, die man, so gut es ging, von dem Nachwuchs der Tannen und Fichten losriß. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es ja zu keinem Zusammenstoße mehr kommen, aber besser war besser.

Einem Bauern, der mit seinem Planwagen die Straße daher kam, ward das Gefährt abgemietet, da sich Hildegard doch zu schwach fühlte, um die weite Strecke zu Fuß zu machen. Sie sollte nur damit auf dem geradesten Wege in ihr Daheim gebracht werden, wenn man inzwischen Kunde bekam von dem endgültigen Sieg Woldemar Eimbecks. Andernfalls wollte man sie noch vor dem Gusecker Thor in vorläufige Sicherheit bringen.

Während man ihr mit Heu und zwei leeren Säcken ein bequemes Lager zurecht machte, trat Doktor Ambrosius zu Balthasar Noß. Er spürte den wilden Drang, die Bestie in Menschengestalt, die da so feig und so aschfahl zu Boden sah, hier auf dem Fleck die schurkische Niedertracht heimzuzahlen. Schon hob er die Schußwaffe. Da fiel sein Blick auf die sonnenüberglänzte Stadt, von deren Türmen so machtvoll mahnend die Sturmglocken ertönten. Es ward ihm klar, daß er die Sache seiner geliebten Heimat nie und nimmer durch einen Akt persönlicher Rachsucht entweihen dürfe. Und er begnügte sich, dem Blutrichter ein Wort heißer Verachtung ins Antlitz zu schleudern und ihm von Ekel erfüllt den Rücken zu kehren.

Adam Xylander inzwischen hatte dies alles stieren, verglasten Auges wortlos mitangesehen. Der Eindruck beherrschte ihn, als vollziehe sich hier ganz ordnungsgemäß ein von der Gottheit verhängtes Strafgericht. Denn – so folgerte sein krankhaft erregter Geist – wenn Gott der Herr die Verurteilung Hildegard Leutholds gebilligt hätte, dann hätte er ihre Befreiung durch die Aufrührer niemals zugelassen. Das Verdikt war also zu Unrecht. Er, Doktor Xylander, hatte sich hier – das erste Mal, seit er als Beisitzer mitwirkte – schmählich zum Nachteil einer schuldlosen Inkulpatin geirrt …

Der helle Wahnsinn, der so lange schon auf ihn gewartet hatte, brach in diesem Augenblick aus. Nur mit Mühe gelang es den Leuten des Buchdruckers Jansen, den Tobenden zur Ruhe zu bringen und seine Fortschaffung ins Siechenhaus in aller Stille zu bewirken.

Und nun setzte sich der Zug der Verschworenen und ihrer zahlreichen Mithelfer schnell in Bewegung. Ein Jubelruf glitt von den Lippen der Eingeweihten … Jetzt eben stieg am Turm der Marienkirche stolz wallend eine hellblaue Fahne empor. Das war die Botschaft Woldemar Eimbecks! Auch dort hinter den Stadtmauern war die Umwälzung vollkommen geglückt.

„Sei nun getrost, mein Liebling!“ flüsterte Doktor Ambrosius, neben Hildegard einherschreitend. „Alles geht uns nach Wunsch. Und wenn wir dann unwiderruflich gesiegt und die Heimat für immer von ihrem Elend befreit haben, dann – du weißt …“

„Und wenn es euch fehlschlägt …?“

„Es wird nicht. Und schlimmstenfalls findet sich eine Zufluchtstätte, fern ab von hier – jenseit des Oceans …“

Weiter sprachen sie nichts. Ihre Herzen waren zu voll. Die plötzliche Rettung aus den Griffen der Henker hatte auf Hildegard fast betäubend gewirkt. Ihre Gedanken wogten dahin wie farblose Nebel. Ab und zu nur schwebte ihr mit plötzlicher Klarheit ein beklemmendes Bild vor. Ihr teurer Vater – bewußtlos – in leisem Röcheln einsam dahinsterbend …. Aber die unendliche Mattigkeit, die ihr jetzt alle Nerven umspann, hinderte sie, diese grausame Vision lange festzuhalten.

27.

Das erste, was nun in Glaustädt geschah, war die Neukonstituierung des Rates und die Ernennung des wackeren Notars Rolf Weigel zum Bürgermeister. Herr Georg Kunhardt schien trotz seiner persönlichen Achtbarkeit nicht der geeignete Mann, unter den obwaltenden Schwierigkeiten dies Amt weiterzuführen.

Gleichzeitig traf der Hauptmann Fridolin Geißmar die nötigen Vorkehrungen zur Bildung einer kampftüchtigen Bürgerwehr. Man rüstete sich mit Anspannung aller Thatkraft für die Möglichkeit eines feindlichen Angriffs. Man holte aus dem uralten Zeughaus ein Dutzend noch sehr verwendbarer Kanonen hervor und armierte die Stadtwälle. Die Begeisterung der Glaustädter Bevölkerung, zumal der männlichen Jugend, wuchs zusehends.

Während Fridolin Geißmar so die Verteidigung vorbereitete, übernahm es der Reißer und Maler Kunz Noll, die Malefikantenabteilung des Stockhauses aufschließen zu lassen und sämtliche Angeklagte in Freiheit zu setzen. Es war ein erschütternder Anblick, wie diese unglücklichen Männer, Weiber und Kinder herausströmten in das rosige Licht des ebbenden Sommertages, – zum Teil wortlos und wie in Stein verwandelt, zum Teil jauchzend, schreiend und betend oder laut ihre Unschuld beteuernd. Die armen Insassen der Krankenabteilung schaffte man sofort auf Bahren und Tragstühlen ins städtische Siechenhaus, darunter Brigitta Wedekind, die Ehewirtin des Zunftobermeisters, die sich während der letzten vier Tage zwar auffällig erholt hatte, aber doch immer noch sehr der Schonung benötigte. – Der neugebildete Rat nahm sich alsbald sämtlicher Freigelassenen hilfreich an, ließ sie einstweilen auf Kosten des Stadtsäckels verpflegen, teilte zur Entschädigung für das erlittene Unrecht mehrfach Geldspenden aus und schritt gegen jedermann, der sich in herkömmlicher Thorheit erlaubte, die ehemaligen Inkulpaten als anrüchig zu bezeichnen, mit unerbittlichster Strenge ein. Auch sollte demnächst ein vorurteilsfreies Kollegium von Rechtsgelehrten damit beauftragt werden, die Haltlosigkeit der vorgebrachten Beschuldigungen in jedem einzelnen Fall nachzuweisen.

Zugleich mit den Opfern der Hexenverfolgung ward auch der Zunftobermeister Karl Wedekind aus seiner kurzen Haft befreit. Woldemar Eimbeck schlug in Gemeinschaft mit dem Reißer und Maler Noll vor, den schwer gekränkten und geschädigten Mann, der sich mit seinem persönlichen Angriff wider Balthasar Noß nur einer wohlbegreiflichen und entschuldbaren Ausschreitung, aber keines die Achtung untergrabenden Frevels schuldig gemacht habe, als Vertreter einer der angesehensten Zünfte mit in den Rat zu nehmen, was denn unverzüglich genehmigt wurde.

Noch an demselben Tage hielt der neukonstituierte Rat eine langwierige Sitzung ab. Man beleuchtete umständlich die Lage, erörterte unter lebhaftem Gegeneinanderprallen der Geister alle Wahrscheinlichkeiten, äußerte vielfache Bedenken und war zuletzt nur über den einen Punkt klar, daß man die schönen Errungenschaften dieses glorreichen Tages festhalten und verteidigen müsse um jeden Preis. Wie man sich aber zum Landgrafen und der Regierung in Lich stellen solle, was für Maßregeln hier zu ergreifen seien, um angesichts dieser offenen Rebellion doch den Schein getreuer Unterthanenschaft aufrecht zu erhalten und so den immerhin schwer bedenklichen Anmarsch landgräflicher Truppen zu hintertreiben, darüber konnten sich die erregten Gemüter nicht einigen. Rolf Weigel war eben schon im Begriff, die Sitzung zu schließen, als der Zunftobermeister Karl Wedekind aufstand und mit leise zuckender Lippe ums Wort bat. Da Rolf Weigel ihm freundlich zunickte, sprach er wie folgt:

„Herzliebe Freunde und Mitbürger! Schenkt mir ein kurzes Gehör! Ich bin ja freilich nur ein schlichter, einfacher Mann, aber das große Leid, das ich erduldet, hat mir die Sinne und den Verstand gar sonderbarlich geschärft. Eh’ ich hier eintrat, war ich bei meiner Ehewirtin, die just auf ein Tragbett gelegt wurde, um den getreuen Pflegerinnen des städtischen Siechenhauses überantwortet zu werden. Und als ich ihr so in die thränenden Augen sah, da überkam’s mich wie eine plötzliche Offenbarung! Herzliebe Freunde und Mitbürger! Wenn ihr vertraut und mir Vollmacht gebt, so mach’ ich mich anheischig, unserem Landgrafen ehestens ein Aktenstück vorzulegen, das ihn wohl stutzig machen und seinen Hexenglauben gründlich erschüttern soll. Ist dies aber geschehen, so wird der Herr Landgraf wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_608.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
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