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Seite:Die Gartenlaube (1897) 654.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

wollten nichts gesehen haben, doch ihre Herrin ließ nicht ab mit Fragen. Sie erfuhr nach und nach, es sei nicht unmöglich, daß die Komtesse, indes die Gräfin den Wagen verlassen, auf der andern Seite hinausgeschlüpft sei. Es fielen Andeutungen von starken Armen, die sie aufgenommen und auf denen sie im Schneegestöber verschwunden sei – – denn es schneite ja. Es schneite so stark, daß der Schnee zweifellos alle verräterischen Spuren getilgt, aber auch jedes rasche Vorwärtskommen verhindert oder doch erschwert haben müsse.

Das erfuhr die Gräfin, nur von dem Mitgefühle ihrer Leute für Armgart wie von der absichtlichen Zögerung, das Verschwinden der Komtesse zu melden, erfuhr die stolze Frau nichts. Auch hätte die Meiern viel von der Angst ihrer jungen Herrin vor der Verlobung mit dem ungeliebten Vetter berichten, sowie Aufschluß über das Zeichen mit der Rose erteilen können. Das Stückchen Papier war bedeutend größer gewesen, aber die Jungfer schwieg auch

davon, denn sie hing an Armgart und wünschte ihr Gutes.

Der Wagen fuhr vor und die Gräfin hatte aufs neue Toilette gemacht. In ihrer Erregung war ihr die auffallende Langsamkeit ihrer Leute entgangen, sie hatte zu viel zu überlegen. Als sie einstieg, befahl sie. „Nach der Kommandantur!“ Die Sache vertuschen zu wollen, lag ihr ganz fern. Ihr beleidigter Stolz verlangte Genugthuung, einerlei auf wessen Kosten!

Es währte lange, bis sie wieder vor dem General stand, der sehr verdrießlich und gar nicht mehr der liebenswürdige aufopfernde Wirt vom Abend war. Es läßt sich niemand gern im ersten Schlummer stören. Und als die Gräfin ohne irgend welche Erklärung nur zu wissen verlangte, welcher der Kavaliere vom gestrigen Ball mit Vornamen Paul heiße, sah er sie wütend an und schrie zornig.

„Haben Sie mich bloß deshalb aus dem Bette holen lassen?“

„Allein deshalb,“ versetzte sie mit eisiger Ruhe und blickte ihn gelassen an. „Ich muß wissen, wer dieser Paul ist –“ sie zeigte ihm das Papierstückchen – „und Sie müssen es ebenfalls wissen, damit Sie ihn verfolgen lassen können, ihn und meine Tochter Armgart, welche er in dieser Nacht entführt hat.“

„Den Teufel hat er!“ schrie der Kommandant, was aus so aufrichtigem Herzen kam, daß die Gräfin es gern verzieh.

Aber wer hieß Paul?

Der General besann sich vergebens. Doch was der Herr General nicht wußte, war der Frau Generalin bekannt, welche der Beratung zugezogen ward.

„Paul!“ rief sie aus, und ihre Gedanken eilten zu ihren Töchtern, die ahnungslos schliefen, zu ihren Nichten und deren Freundinnen, die samt und sonders für den Namen Paul schwärmten. „Paul – das muß Barringten sein!“

„Barringten!“ wiederholte die Gräfin und ihre Gestalt schien zu wachsen, ihr Kopf hob sich stolz. „Er hat nichts, er ist nichts – ihm gebe ich meine Tochter nie!“

„Aber er hat sie schon“, bemerkte der General und erfrischte sich sehr bedächtig mit einer Prise.

Die Gräfin warf ihm einen zornigen Blick zu. „Wir werden sie ihm wieder abnehmen!“

Dazu wurden denn schleunigst alle Anstalten getroffen. Doch bis das Husarenpikett endlich wirklich dem flüchtigen Paare auf der Spur war, verging eine geraume Zeit. Und sehr bald fand sich zwar der Wagen, der die Liebenden der Stadt entführt hatte, sie selbst aber hatten die Reise zu Pferde fortgesetzt und sich der preußischen Grenze zugewendet.


Der Festungskommandant von Magdeburg saß mit seiner Frau beim Frühstück. Eine kräftige Mehlsuppe dampfte auf dem Tische, vor dem eine Reihe Kinder stand, stramm und erwartungsvoll. In damaliger Zeit wagten die Kinder nicht, sich in Gegenwart der Eltern beim Essen zu setzen.

Der Kommandant, mit Zopf und gepuderten Seitenlocken, hoch heraufreichenden Gamaschen und einem alten Uniformsrock der aus Sparsamkeit als Hausrock verwendet wurde, schien äußerst verdrießlich. Noch niemals, seit er seinem König diente, war er so unzufrieden mit ihm gewesen. Der König ward alt, die Leute hatten recht, wenn sie ihn den „Alten Fritz“ nannten. Bisher hatte der selbst bejahrte Offizier, der alle Kriege des Königs mitgemacht, das nicht zugeben wollen es, mußte aber wohl etwas daran sein.

Eine königlich preußische Festung ist keine Korrektionsanstalt für liederliche Weibsbilder, brummte er immer wieder vor sich hin, denn mit dem frühen Morgen war ihm ein Befehl seines allergnädigsten Königs zugegangen, wonach die Komtesse Armgart Schwichard nebst ihrem Galan aufzuspüren und in die Citadelle festzusetzen sei. „Weibspersonen gehören in keine Citadelle,“ sagte er ingrimmig, aber gegen einen Befehl Seiner Majestät gab es kein Auflehnen.

Die Gräfin hatte sich ohne Zeitverlust an des Königs von Preußen Majestät gewendet, mit der Bitte, die ungehorsame, entlaufene Komtesse Tochter ergreifen und einsperren lassen zu wollen. Solches hatte Seine Majestät huldreichst gewährt, denn Ungehorsam in jeder Form war ihm ein Greuel, und die Komtesse Tochter schien dem hohen Herrn einer gewöhnlichen Landstreicherin sehr ähnlich zu sein.

Noch ehe die Morgensuppe ganz ausgelöffelt war, kam die Meldung, besagte Personen seien festgenommen und ständen im Hofe. Hastig ward der Dreispitz aufgestülpt, ein anderer Rock angezogen, ein Rohrstock mit mächtiger Krücke in die Hand genommen, und so stieg der Gestrenge hinab, indes seine Gattin oben zum Küchenfenster hinausschaute.

Gerade unterhalb des Fensters standen ein junger Herr und eine Dame aneinander geschmiegt. Die Dame trug einen kostbaren Pelz, doch war er beschmutzt und arg zerrissen. Ihr Kopf war nur mit einem Tuche verhüllt und die Füße kaum bekleidet. Auch des jungen Herrn Anzug war sehr verwahrlost, aber dennoch machten beide einen vornehmen Eindruck und hielten sich stolz und aufrecht. Auch schienen sie weder entmutigt noch niedergeschlagen. Als der alte Offizier der Dame mit rauhem Ton befahl, den Arm ihres Galans loszulassen, rief sie sehr entschieden aus: „Wir lassen uns nicht trennen! Wir gehören zusammen.“

Daraufhin legte der junge Mann einen Arm um sie und zog mit der andern Hand seinen kurzen Galanteriedegen. Sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_654.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)
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