Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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unmännlich vorkam. Die großen strahlenden Augen schauten ihn aber gar so auffordernd an. „Freilich!“ brummte er.
„Was sagst du?“
„Freilich!“ sagte ich. – – „Mein Patenkind. – Gut, daß wir sie haben, Rutenberg.“
„Ja, gut, daß wir sie haben. Wenn mir’s zuweilen leid that, Schilcher, daß sie immer älter wurde, dieses süße Göhr, dieser kleine zierliche, spaßige, verrückte Engel, unser Trudelchen –“
Schilcher nickte, mit fast geschlossenen Augen. Er hatte ja nichts als die Trudel. Er hatte sie ja unsinnig lieb.
„Daß ich keinen Zauberstab hatte,“ fuhr der poetisch werdende Rutenberg fort, „um das süße Ding damit anzurühren ,Bleib so wie du bist, kleines Spielzeug! kleiner Menschentraum!‘ dann dacht’ ich zum Trost an die Zeit, die nun da ist, Schilcher. Jungfrau Gertrud Rutenberg, siebzehn Jahre alt, ein großes, denkendes, reizend ernsthaftes Geschöpf –“
„Das die Bücher verkramt,“ warf Schilcher ein, gegen seine Weichheit kämpfend.
„Unser Kamerad,“ fuhr der Vater unbeirrt fort, „unser Mitmensch, unsre – unsre Antigone –“
„Die nicht weiß, daß Jütland zu Dänemark gehört.“
„Die aber ein richtiges deutsches Mädchen ist; eine feine Seele – eine gute, vornehme Seele – und dabei doch immer noch unser Kind! Unser langer, magerer, reizender Liebling, ja, ja, unser Liebling; denn du alter Heuchler, dem ich bis in den tiefsten Grund seines schwarzen, grimmigen, galligen Herzens sehe, du hast sie auch so lieb wie dich selbst! Ja, du, Oberappellationsrat Gottfried Schilcher!“
„Lieber,“ sagte Schilcher tonlos und stand dabei auf. – „Nun wollt ich aber eigentlich bei dir ’ne Postkarte schreiben.“
Die Thür zum Salon öffnete sich und hinter dem melden wollenden Brink ward ein hochgewachsener junger Mann sichtbar, der den untersetzten alten Diener überragte. „Mein lieber Brink,“ sagte der auffallend hübsche Bariton des jungen Mannes, „Sie brauchen Arthur van Wyttenbach nicht anzumelden!“ Er schob Brink mit einer leichten, eleganten Bewegung ein klein wenig beiseite, nur so viel, daß er an ihm vorbeischlüpfen konnte, und trat geschwind in das Bücherzimmer. Ein mattes, flüchtiges Lächeln ging über das noch sehr junge Gesicht, die schwarzgekleidete schlanke Gestalt machte eine etwas gesucht nachlässige, aber doch auch ehrerbietige Verbeugung. Darauf warf er das schöngekräuselte Haar zurück, das ihm in die niedrige Stirn fiel, und heftete die kleinen grauen Augen wohlwollend auf Schilcher und verbindlich auf den Hausherrn. „Entschuldigen die Herren gütigst,“ sagte er mit der einschmeichelnden schönen Stimme, „wenn ich stören sollte –“
„Bitte, Sie stören nicht,“ fiel Rutenberg ihm ins Wort. Er wandte sich zu Schilcher. „Herr van Wyttenbach, ein junger – Freund unsres Hauses.“
Schilcher, dem ein Anflug von Unbehagen über das faltige Gesicht ging, machte eine seiner trockenen Handbewegungen; „Herr van Wyttenbach ist mir bekannt.“
„Jawohl, ich habe die Ehre,“ warf der junge Mann leicht und doch verbindlich hin. „Wer wird den Herrn Oberappellationsrat nicht kennen!“ Er verneigte sich nochmals ein wenig gegen den Hausherrn und sprach in fließender Rede fort: „Sie erwiesen mir soeben die Auszeichnung, Herr Rutenberg, mich einen Freund Ihres Hauses zu nennen. In dieser Eigenschaft, auf die ich stolz bin, hab’ ich mir die Freiheit genommen, an diesem festlichen Abend ein unbedeutendes Zeichen der Huldigung darzubringen und die liebenswürdige Königin des Festes damit zu begrüßen.“
Er hob den großen, farbenprangenden Blumenstrauß ein wenig, den er in der rechten Hand hielt die andere hielt seinen schwarzen Hut.
„Ich denke mir,“ fuhr er dann fort, „Fräulein Gertrud wird noch beschäftigt sein, die letzte Hand“ – er lächelte – „an das große Kunstwerk zu legen, ihre Balltoilette zu vollenden, meine ich. In diesem Fall haben vielleicht Sie die Güte, ihr diesen schlichten Blumengruß zu Füßen zu legen.“
„Mit Vergnügen,“ entgegnete Rutenberg höflich. „Ich danke Ihnen. Nehmen Sie Platz, wenn’s gefällig ist.“
„Ich wünsche durchaus nicht zu stören,“ sagte Herr van Wyttenbach rasch, „Sie haben ja selber noch Toilette zu machen und so weiter, nur auf einen Augenblick!“ Er setzte sich, Rutenberg auch. – „Der große Moment ist nun also gekommen,“ fuhr der Jüngling fort. „Der erste Ball! In welcher freudigen Erregung mag das junge Herz da schlagen …“
Er hielt lächelnd inne und blickte zur Decke hinauf.
Schilcher, der sonst so Unbewegliche, begann auf seinem Stuhl zu rutschen und warf dem Hausherrn einen Blick des Mißvergnügens zu. Indessen, Rutenberg schien das nicht zu bemerken, in etwas kerzengerader Höflichkeit erwiderte er. „Sie werden den Ball mit meiner Tochter eröffnen, hör’ ich.“
„Eine Ehre, auf die ich stolz bin!“ entgegnete Wyttenbach, wieder mit einem leichten Lächeln. „Unter diesen besonderen Umständen ist der Tanz natürlich ein Vergnügen für mich, das ich zu schätzen weiß – wenn ich auch sonst nicht mehr der unreife Jüngling bin, den dieses Herumspringen beglückt. Für ernsthafte Männer wird natürlich der Tanz zu dem, was er wirklich ist: zu einer Spielerei – einer ‚angenehmen’ – na ja, mag sein. Aber doch eigentlich zu einer geistlosen Geschäftigkeit der Beine, des unteren Menschen – also des niederen Menschen. So denke auch ich, meine Herren; halte eigentlich schon zu Ihnen – zu Ihnen. Nur die Galanterie gegen die Damen zwingt mich natürlich noch“ – – er verbesserte sich „legt mir die angenehme Pflicht auf –“
„Zu springen,“ ergänzte Schilcher trocken.
„Zu tanzen,“ schloß Wyttenbach seinen Satz.
„Schadet Ihnen nichts,“ bemerkte Schilcher.
Der junge Mann lächelte etwas gezwungen . „Gewiß nicht! – Gewiß nicht! – Außerdem ist es ja eine gesunde körperliche Bewegung – wie schon die Alten bemerkten und wenn Plato das Gehen für die gesündeste Motion erklärte, so –“
Er konnte nicht zu Ende sprechen, Gertrud erschien eben in der Thür, zu seiner Verwunderung noch im Hauskleid, aber mit einem entzückend strahlenden, zugleich auch ein bißchen verlegenen Gesicht. Indem sie ihm flüchtig zunickte und noch stehen blieb, sagte sie: „Brink hat mir’s verraten. Ein Bouquet für mich!“ Wyttenbach war aufgestanden mit einer seiner elegantesten Verneigungen kam er auf sie zu. „Allerdings,“ sagte er, das „r“ wie ein Lieutenant schnarrend, „diese armen Blumen, verehrtes Fräulein Gertrud, möchten Sie begrüßen.“ Wie zur Entschuldigung zuckte er die Achseln. „Das Beste, was unser rauher deutscher November hergab –“
„Das Treibhaus,“ setzte Schilcher hinzu. Gertrud hörte das nicht, sie nahm die Blumen und schaute sie zärtlich an. „O wie dank’ ich Ihnen!“ sagte sie mit fast kindlicher Freude. „O wie bin ich glücklich!“
Sie war aber zu eilig gewesen, der junge Mann hatte noch allerlei zu sagen, mit einer geschickt tändelnden Bewegung nahm er ihr den Strauß wieder aus der Hand und bewegte ihn vor ihr hin und her, wie wenn er damit salutierte. „Die Blumen brauchten zwar nicht deutsch zu sprechen,“ setzte er darauf seine Rede fort, „denn sie haben bekanntlich ihre eigne Sprache, aber sie möchten Ihnen doch auf deutsch ein paar Worte, ein paar Verse sagen:
‚Der Süßen Süßes!‘ spricht ein Dichterwort
‚Der Blume Blumen!‘ wagen wir zu sprechen.
Doch wir verbessern uns sofort:
Der Knospe will man Knospen brechen.
Du Knospe denn, die sich zur Blume heut’ erschlossen,
Nimm Knospen hier und Blumen zu Genossen!“
Nun erst überreichte er ihr das Bouquet, mit feierlichem Lächeln, dann wandte er sich zu den Männern zurück. „Meine Herren,“ sagte er, auf einmal zehn Jahre älter geworden, „verzeihen Sie mir diese kleine lyrische Schwärmerei!“
Das Mädchen hatte mit rührend großen Augen bewegungslos zugehört, während ihr Dichter die Verse mit seiner schönen Stimme sprach, da sie nun den Strauß wieder in der Hand hielt, die vor Freude leise zu zittern anfing, dankte sie über ihn hinweg mit einem verstohlen liebevollen Blick. Sie versenkte ihr feines Näschen, ihr ganzes Gesicht in die duftenden Blumen, küßte sie heimlich, nur Arthur konnte es sehn. Aus dem Bouquet heraus klang dann ein leises, kaum vernehmbares, glückseliges Lachen.
Unterdessen beugte sich Rutenberg zu Schilcher hinunter und sagte ebenso leise: „Ein etwas süßes, fades Herrchen was?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_674.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)