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Seite:Die Gartenlaube (1897) 727.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

müssen dem Leithammel folgen, solange der Leithammel nicht von kräftiger Hand auf den richtigen Weg gestaucht wird, rennen sie alle in der Richtung, wie der Wind bläst, und wenn’s ins offene Wasser hineinginge. Nun, solche Dinge machen ihren Weg eben sehr langsam. Ich habe Geduld, bin schon froh, nur überhaupt zu Worte gekommen zu sein.“

„Ja und Magisterchen, – Sie nehmen die Frage nicht übel – es ist Teilnahme, es ist nicht Zudringlichkeit – bringt’s denn was?“

Er machte die Gebärde des Geldzählens. Rettenbacher nickte lächelnd.

„Es bringt. Auch das – denken Sie nur! Hätten Sie mir dergleichen zugetraut? Einen ganz netten Batzen werde ich schließlich einnehmen. Und nicht genug damit, die Leute von der Druckerschwärze fangen an, mich als litterarische Persönlichkeit in Betracht zu ziehen. Ich habe – halten Sie sich fest, fallen Sie nicht von der Bank – von zwei großen Zeitschriften Anfragen bekommen, wegen Veröffentlichung von Aufsätzen, die in das Schulfach schlagen. Wie finden Sie das?“

„Ich sage nur ein Wort: Schneesieder!“

Und mit einem vergnügten Hieb in die Luft: „Magisterchen, alter Kronensohn, Sie werden noch ein Kapitalist, sollen Sie mal sehen!“

„Wenigstens hat es den Anschein, als ob mein krankes Portemonnaie noch einmal bessere Tage sehen sollte. – Zeit wär’s.“

„Wahrhaftig, Sie armes Luderchen, Sie famoses. Wollte Gott, die Sache hätte schon ein paar Jahre früher angefangen! Und mit echt Güntherischer Geschicklichkeit sagte er nach einer kurzen Pause: „Morgen ist Hannichens Hochzeitstag.“

„Ich weiß,“ antwortete Rettenbacher nach einem flüchtigen Zucken seines still und ernst gewordenen Gesichts.

„Schon der vierte,“ fuhr Günther fort. „Oder vielmehr der fünfte. Das viertemal, daß sich’s jährt. Gott, wie die Zeit vergeht. Und wie man sich auseinanderlebt. Wer uns das vorausgesagt hätte, daß uns das Hannichen so fremd werden würde, daß wir nicht mehr wüßten: ist sie gerade in Berlin, oder nicht. Oder haben Sie sie kürzlich gesehen? Nein. – Sie wissen ja, daß ich sie nie sehe. „Zufällig meint’ ich. Könnte ja mal vorkommen. Ich seh’ sie ja auch nicht. Hab’s aufgegeben. Man wird ja nie angenommen. An die zwölfmal hab’ ich’s versucht – immer derselbe Bescheid: unwohl, ausgefahren, verreist. Ich kam mir schließlich ganz affenhaft vor bei diesen dämlichen Antworten. Ob sie denn denken, man merkt das nicht? Daß Hanna was dafür kann, halt’ ich für ausgeschlossen. Sie wird einfach drunter durch sein. Im Vertrauen: ich glaube, der Mann ist ein Vieh.“

Rettenbacher sah ihn finster fragend an.

„– – Da wir nun doch einmal davon reden,“ sprach Günther nach einem verlegenen Räuspern weiter. „Ich habe das Thema sonst immer vermieden, aus – na aus – einerlei. Ein Vieh, nach allem, was ich so höre. Ganz Genaues weiß ich zwar nicht, ich verkehre ja nicht in seinen Kreisen aber es sickert doch so einiges durch. Er soll sie mit seiner blödsinnigen Eifersucht rein zu Schanden machen. Hannichen, dieses treue ehrenfeste Ding! Dazu ein Tyrann, ein grober, ungeschliffener. Vor andern Leuten schnauzt er sie gelegentlich an wie ein Dienstmädchen, hör’ ich. Sein Geschäft hat er aufgegeben, lebt nur von seinen Renten. Kunststück, von solchen Renten lebt’ ich auch! Aber ein Mann ohne Beruf, ohne Thätigkeit – können Sie sich so was denken? Mit – na, wie alt kann er sein – höchstens fünf-, sechsundvierzig. Ein Skandal! Große Reisen sollen sie machen. Für drei, vier Monate, einmal waren sie glaub’ ich, ein halbes Jahr lang unterwegs. Die kleine Imhoff, aus unserem Chor, wissen Sie die sieht sie manchmal, aber auch nicht oft. Von der höre ich doch zuweilen ein Wort über das arme Ding. Vor kurzem fragte ich sie auch, aber da wußte sie schon längere Zeit nichts Neues mehr, nur, daß es mit Hannas Gesundheit nicht großartig stünde und daß sie zu einer Nordlandsreise abgefahren wären. Das ist ja jetzt modern. Ich trug ihr Grüße auf, damit sie doch sieht, daß man noch an sie denkt. Den Pastor besucht sie zuweilen, wenn mir recht ist, aber nur in sehr langen Pausen.

Erdmann geht nicht hin; er wird, glaub’ ich, ebenfalls abgefertigt wie ich. Scheint niemand von der früheren Zeit her zu dulden, der gnädige Herr, wenigstens, was uns Mannsleute angeht. Ich fürchte, ich fürchte, dem armen kleinen Ding kommt sein Reichtum teuer zu stehen.“

„Das fürchte ich auch,“ sagte Rettenbacher, düster vor sich niederblickend.

„Ich hab’ mir schon manchmal gedacht,“ fuhr Günther nach einer Pause nachdenklichen Sinnens fort, „warum ist die unglückliche Frau, die Mutter, nicht ein halbes Jahr früher gestorben, wenn sie doch nicht zu retten war? Dann wäre manches anders gekommen, bin ich überzeugt.“

Rettenbacher schwieg. Er sah starr geradeaus und drückte die Lippen fest zusammen.

„Fregestraße!“ rief der Schaffner.

Sie stiegen aus. Hans rannte davon, um als der erste oben zu sein und den Gast anzumelden.

30.

„Warum haben Sie mich denn übrigens ausgerechnet gerade heute mitgeschleift?“ fragte Günther, während sie die Treppe zu Rettenbachers Wohnung hinaufgingen.

Arnold schüttelte lächelnd den Kopf.

„Dieser Leonhardt muß seine Botschaft ja meisterlich ausgerichtet haben. Also, die Grete hat Geburtstag und den wollte ich gern ein bißchen feierlich begehen. Es ist der erste hier bei mir und weil ich fürchtete, sie möchte mir am Ende weinerlich werden, habe ich Sie als – –“

„Hanswurst“ engagiert, vollendete Günther, da Rettenbacher nach dem Wort suchte.

„Wenn Sie wollen, ja, lieber Freund. Ich bin leider nicht sonderlich geschickt in der Kunst, einen Menschen aufzuheitern. Die Musikanten aber sollen das von alters her verstanden haben. Und daß sie Sie gern sieht, weiß ich.“

„Schön, Magisterchen, ich stimme also meine Leier. Uebrigens find’ ich, daß sich Frau Zöllner in diesem Jahr schon ganz nett mit Ihnen eingelebt hat. Weinerlich kommt sie mir eigentlich nicht vor.“

„Nu nein. Aber wie die Frauen schon sind – an bestimmten Tagen, da faßt sie die Wehmut härter an, und dem wollte ich vorbeugen.“

Er schloß jetzt seine Flurthür auf.

Grete kam ihnen entgegen, ihr dickes Bübchen an der Hand, Sie errötete über das ganze frische, runde Gesicht, als sie den Gast begrüßte. „Das ist aber schön von Ihnen, Herr Günther, daß Sie uns die Ehre geben.“

Sie wandte sich dann gleich zu ihrem Bruder. „Noldichen, du guter Kerl, ich dank’ dir auch für das schöne Kleid. Ich war doch so überrascht. Und zu Günther, während sie ins Wohnzimmer traten: „Er hat mir’s nämlich eingewickelt, mit ’ne riesig großen Adresse darauf, in seiner Stube auf den Tisch gelegt. Da fand ich’s denn beim Aufräumen, wie er schon längst über alle Berge war. So ist er. Macht sich ganz dumm davon und sagt kein Wort. Na warte, du!“

Sie nahm ihn beim Kopf und küßte ihn herzlich.

„Also, hat es deinen Beifall,“ sagte Rettenbacher. „Das ist mir lieb. Denn umtauschen läßt es sich nicht, wie etwa eine Kaffeekanne. Ich kaufte es in der Potsdamerstraße und sagte dem Jüngling, es wäre für eine Frau von praktischen Grundsätzen, und es müßte sich waschen lassen, ohne etwa dabei zusammenzuschnurren. Da pries er mir die schwarzweiß gestreifte Sache so leidenschaftlich an, daß ich nicht den Mut hatte, zu sagen, ich fände sie etwas zebrahaft. Er hat also recht gehabt. Hoffentlich ist es genug?“

„Ja natürlich. Sehen Sie an, Herr Günther, was ich für’n nobeln Bruder habe. So, da geht er ab, das kann er nicht vertragen. Du!“ rief sie dem Flüchtling nach, „wir essen aber gleich! – Und diesen Spitzenkragen“ fuhr sie eifrig fort, „den hat mir unsere Meta geschenkt. Ganz früh, ehe sie abfuhr. Zu Mittag kann sie ja leider nie da sein. Der weite Weg heraus, wissen Sie. Ist er nicht fein, der Kragen? Die Zuthaten hat sie umsonst von ihrer Prinzipalin bekommen, lauter Restchen, aber gemacht hat sie ihn ganz allein. Sagen Sie bloß, ob er nicht wundervoll ist.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_727.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)
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