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Seite:Die Gartenlaube (1897) 730.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ein Blick in Deutschlands Vorzeit.

Je fester der Blick sich rückwärts kehrt ins Leben der Völker, desto verschwommener und unklarer wird alles. Personen und Begebenheiten verschwinden immer mehr im Nebel der Sagen wie einsame Inseln im weiten Meer ragen nur wenige Gestalten schärfer erkennbar aus dem grauen Chaos hervor und schließlich fällt kein Licht der Geschichtswissenschaft mehr in das Dunkel der Vorzeit. Die Historie schließt, die Prähistorie beginnt.

Für Deutschland liegt die Periode der Vorgeschichte nicht allzuweit hinter uns. Während am Euphrat oder am Nil mächtige Kulturreiche herrschten, ja selbst noch zur Zeit hellenischer Blüte und römischer Größe, von welcher wir aufs genaueste unterrichtet sind, war Deutschland ein geschichtsloses

Urnenfriedhof.   Steingrab.  

Land. Keine Aufzeichnungen melden uns aus diesen Zeiten vom Leben und Thun der Bewohner unseres Vaterlandes, kein Geschichtsschreiber hat die Thaten früherer Heerführer, die Verschiebungen der Völkerstämme der Nachwelt aufbewahrt.

Aber auf anderem Wege vermögen wir dennoch uns ein Bild zu machen von der Kulturhöhe der vorgeschichtlichen Bewohner Deutschlands – ein Bild, welches in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Schärfe gewonnen hat, und das Material, auf welchem wir fußen, ist das denkbar beste, es sind Ueberreste aus jener Zeit selbst, die mit beredten Worten zu uns sprechen im treuen Schoß hat die Erde uns diese Zeugen einer längst vergangenen Zeit bewahrt.

Was dem Höhlenbewohner im täglichen Leben verloren ging, um dann im schützenden Grunde der Höhle durch Jahrtausende bewahrt zu bleiben, was beim Brand der Pfahlbaudörfer in den Schlamm am Grund des Sees versank, was pietätvoller Sinn den Verstorbenen mit ins Grab gab, die Waffen des Mannes, den Schmuck der Frau, das Spielzeug des Kindes: die Wißbegierde unserer Zeit zieht es ans Tageslicht und vor unserem geistigen Auge entsteht ein längstvergangenes Geschlecht; wir kennen seine Hantierung und Lebensweise, seine Kleidung und seine Waffen, ja selbst über seine Handelsbeziehungen giebt uns der eine oder andere Fund Aufschluß.

Freilich, nur der Kundige vermag zu erkennen, welch hohe Bedeutung ein Knochenstück, ein

Skelettgrab und Hügelgrab.

Thonscherben, ein Bronzekrug oder eine Eisenperle vielleicht besitzt, und mit Schmerz fragt sich der Forscher, wie oft ein wertvoller Fund der Wissenschaft verloren gehen mag. Achtlos wird beiseite geworfen, was die Pflugschar des Landmanns oder die Picke des Eisenbahnarbeiters zu Tage fördert, und nur zu oft öffnet müßige Neugierde ein sogenanntes ’Hünengrab’ und von den Funden wird nur die glänzende Bronze genommen, das andere verschleudert.

Um in weitere Kreise, besonders der Bewohner des flachen Landes, welche am ehesten Gelegenheit zu prähistorischen Funden haben, Interesse und Verständnis für diese meist so unscheinbaren Dinge zu tragen, sind mehrfach schon sehr praktische Wandtafeln publiziert worden, die im Bilde die wichtigsten Funde vor Augen führen. Nachdem vor Jahren von dem bekannten Major v. Tröltsch eine prächtige Fundkarte für württembergische Altertümer herausgegeben worden ist, liegt eine weitere ähnliche Karte für die Provinz Hannover im Verlag von Theodor Schulze’s Buchhandlung in Hannover vor.

An der Hand charakteristischer, kolorierter Abbildungen werden wir durch die ganze Kulturentwicklung der Bewohner Deutschlands hindurchgeführt, von der grauesten Vorzeit bis in die neugeschichtliche Periode. Kleinere Abbildungen zeigen uns ferner die charakteristischen Begräbnisformen der Vorzeit (vergl. unsere Abbildungen), die uns in ihren Beigaben die wichtigsten Anhaltspunkte für prähistorische Forschung liefern; da sehen wir ein altes Steingrab, dann die Beisetzung des Leichnams in Flachgräbern, ein einzelnes Hügelgrab, in dessen Mittelpunkt die Urne mit den Brandresten des Abgeschiedenen steht, Denkmäler pietätvoller Beerdigung, die durch ihre oft ganz enorme Größe heute noch die abergläubische Phantasie der Umwohner wach halten, leider aber auch stets die Habsucht der Menschen erregte, und endlich ist auf der Tafel ein Urnenfriedhof dargestellt, wohl der Bestattungsplatz der gewöhnlichen Bevölkerung, der nicht ein eigenes Denkmal in Form eines künstlichen Hügels geschichtet wurde.

Steine, Knochen und das Horn der Geweihe erlegter Jagdtiere bildeten das erste Material für Geräte und Waffen der prähistorischen Menschen. Mit scharfem Schlag wurden vom Feuerstein, Kiesel und ähnlichen Gesteinsarten Späne abgesplittert; sie dienten als primitive Messer und Schaber zur Verarbeitung der Felle, auch Pfeil- und Lanzenspitzen wurden aus Feuerstein geschlagen, und durch kleine Unterbrechungen in der unteren Kante des Messers entstand die Säge. Das war die Zeit des gehauenen Steines, die ältere Steinzeit, die paläolithische Zeit; mit ihr tritt überall der Mensch in die erste Kulturperiode ein. In Deutschland streifte damals unter anderem verschwundenem Getier noch das Ren umher und seine Geweihe bildeten für den Steinzeitmenschen willkommenes Material; mit Mühe und Geduld wurden lange Pfriemen und spitze Nadeln aus dem Geweih herausgeschnitten.

Aehnlich wurde das Geweih des Hirsches in den Gegenden verarbeitet, wo statt des Rens dieser stolze Waldbewohner gejagt wurde. Daß auch auf dieser niedrigen Kulturstufe der Mensch bereits Sinn hatte für Schmuck, beweisen die durchbohrten Tierzähne, z. B. vom Höhlenbären, Hund, Fuchs usw. welche sicher als Halsband getragen wurden, wie wir dies noch heute bei den Eingeborenen der Südsee sehen.

Viele, viele Generationen mögen mit dem roh behauenen Stein sich beholfen haben, bis allmählich die Kenntnis Boden gewann, den Stein zu schleifen und zu glätten. Axt, Hammer und Beil wurden die Typen für Waffen und Werkzeuge dieser Periode. Manche Funde zeigen uns, wie der Mensch es verstand, den Stein geschickt in die Krone eines mächtigen Hirschgeweihes zu fassen, und solch ein Stück, welches noch heute unsere Freude erregt, war sicher der Stolz seines Besitzers. In der neuen Technik wurde zum Teil neues Material verwendet, welches sich nach seinen physikalischen Eigenschaften besonders eignete, und die Menschen besaßen augenscheinlich große Kenntnis in der Auswahl der Gesteinsart. Vielleicht herrschten schon zu dieser Zeit weithin Handelsbeziehungen, und bekannt ist die lange erörterte Streitfrage, woher die prähistorischen Bewohner des mittleren Europas das Material zu den prächtigen Nephritwerkzeugen nahmen, die man z. B. in einigen größere Seen der Alpen gefunden, ob sie es auf Handelswegen von China, der Heimat dieses schönen Steines, erhalten, etwa selbst von da mitgebracht, ober ob sie, was die heute herrschende Ansicht ist, in der Nähe ihrer Wohnorte etwa doch das Gestein selbst gefunden. Auf unseren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_730.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2021)
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