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Seite:Die Gartenlaube (1897) 741.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 45.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Einsam.
Roman von O. Verbeck.

(14. Fortsetzung)

31.

Wo war der Sommer geblieben? Mitte September und schon so viel welkes Laub? Durfte man sich denn etwa in vier Wochen auf Schnee gefaßt machen? Die heutige Temperatur regte wahrhaftig schon mehr zum Marschieren an, als daß sie zum behaglichen Schlendern oder gar zum Ausruhen eingeladen hätte.

Heinrich Günther schob mit der Stiefelspitze eine dünne Schicht gelber zusammengerollter Blätter vor sich her. Hier tiefer drinnen im Tiergarten, auf den stilleren Wegen hatten sie’s nicht so eilig mit dem Fegen. Die einzelnen Spaziergänger, die sich abseits von der eleganten Promenade verloren, machten diese Ansprüche auch nicht. Er, Günther, gewiß nicht. Selten genug vergönnte er sich zumal so einen kleinen gemütlichen Bummel, nur spazierschlenderns halber.

Heute nachmittag aber hatte er einer neuen Schülerin die erste Gesangstunde gegeben; einer aus dem Tiergartenviertel, einer jungen Dame von mäßigem Talent, aber viel Ehrgeiz und noch viel mehr Geld, die famos zahlte und ihn in ihrem Bekanntenkreis „empfehlen“ wollte. Er mußte lachen, wenn er sich die gönnerhaften Gesichter von Mutter und Tochter ins Gedächtnis zurückrief. Als Erfrischung nach dem Aufenthalt in dem parfumdurchdufteten Palästchen hatte er sich eine Stunde Tiergarten verordnet, gedachte auch, sich an dem Vogelgezwitscher von der gelinden Tortur der stets um einen kleinen Viertelton zu tief gestellten flachen Mädchenstimme zu erholen. Aber er hatte die Rechnung ohne die Jahreszeit gemacht. Die gefiederten Herrn Sänger waren still, sogar die Amsel hatte sich bereits längst für ermüdet erklärt, und wohl oder übel mußte er sich mit dem kreuzfidelen aber unmelodischen Spatzengeschrei zufrieden geben, das unerbeten von Busch und Baum herab tönte.

Unversehens war er nach einiger Zeit auf den Seitenwegen wieder in die große, belebte vordere Allee geraten. Elegante Spaziergänger begegneten ihm, holten ihn ein; spielende, von ihren Bonnen ausgeführte Kinder trieben ihr Wesen mit Ball und Reifen. Die Sonne malte helle Streifen und Kringel durch das schon dünner werdende Laub auf den glatten, breiten Weg.

Da stand wenige Schritte von ihm – nein, sie konnte es nicht sein – doch –

„Alle guten Geister!“ sagte er halblaut vor sich hin. „Ist denn so was möglich?“

Hanna sah ihn nicht. Sie stand ganz verloren in den Anblick eines kleinen Kindes, das, kaum über die ersten Tappelschrittchen hinaus, an der Hand seiner Führerin langsam, aber wichtig und eifrig seinem davongelaufenen Ball nachging. Günther konnte die Freundin ungestört betrachten, und sein ehrliches Herz schwoll ihm in der Brust bei dem unerwarteten Anblick. Als ob nicht vier, sondern zehn, fünfzehn Jahre vergangen wären, seit er sie zuletzt gesehen hatte, so verändert sah sie aus. Vor allem

Allerseelen.
Nach einem Gemälde von Heinr. Lindenau.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_741.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2021)
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