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Seite:Die Gartenlaube (1897) 744.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Hannichen“, sagte er traurig, „so behandeln Sie einen alten, treuen Freund?“ ‚Angenehm, sorgenlos‘ – das ist alles, was Sie mir zu erzählen haben? Das hätt’ ich nicht von Ihnen gedacht. Womit hab’ ich solche Antwort verdient?“

„Ich versichre Sie, daß es wirklich alles ist, was sich überhaupt von mir erzählen läßt,“ versetzte sie hastig, gequält „Thun Sie mir die Liebe und lassen Sie das Fragen nach mir ganz sein. Ich erlebe wirklich nichts, was des Berichtes wert wäre.“

„Nur eine einzige Frage noch, Hannichen – werden Sie nicht böse – Kinder haben Sie nicht?“

„Nein“, antwortete sie hart. So hart und rauh, daß er erschrak.

„Ich dachte es schon beinahe,“ sagte er schüchtern „Ich habe immer eifrig die Familienanzeigen studiert, aber –“

„Nach mir?“ unterbrach sie in demselben Ton „Das lassen Sie nur sein. Das hat keinen Sinn.“

Ein paar Minuten gingen sie nun schweigend nebeneinander her.

Günther war tief betrübt. Das ist ja ein unglückseliges Geschöpf, dachte er. Und ingrimmig kalt lächelnd sterben sehen könnt’ ich den Kerl! Was hat er aus ihr gemacht, heiliges Donnerwetter!

„Wissen Sie, daß ich etwa ein dutzendmal bei Ihnen war, ohne Sie zu treffen?“ fragte er endlich.

Sie sah ihn traurig an.

„Ich wußte es nicht, aber ich kann’s mir denken,“ erwiderte sie. „Es ist anders gekommen, als ich früher hoffte. Verzeihen Sie mir meine Feigheit, um unserer ehemaligen Freundschaft willen.“

Ehemalige Freundschaft?“ wiederholte er gedehnt „Wie kommen Sie mir vor, Hannichen. Sind Sie des Deubels? – entschuldigen Sie. Ich war Ihr Freund, ich bin Ihr Freund und ich bleibe Ihr Freund, wenn Sie es noch nicht wissen. Abwendig könnte mich von Ihnen nichts auf der Welt machen, merken Sie sich das! Sie haben kein Vertrauen zu mir, das thut mir weh. aber ich kann’s Ihnen nicht abzwingen. Deshalb aber denk’ ich doch nicht um einen Deut unfreundlicher von Ihnen. Was Sie auch thun, ob ich’s verstehe oder nicht, ich denke immer an den Herzeskern tief in Ihnen drinnen, und den – den kenn’ ich doch, der ist von lauterem Gold.“

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie weich und gab ihm die Hand. Sie waren stehen geblieben. „Das waren gute Worte, wohlthuende Worte, das vergess’ ich Ihnen nicht. Und damit wollen wir scheiden. Ich muß nach Haus, und zwar ziemlich schnell. Ganz ohne es zu merken, bin ich so weit hinunter gegangen.“

„Gutes, liebes Hannichen – er hielt ihre Hand noch fest und streichelte sie zärtlich. „Ich begleite Sie zurück, ja?“

„O nein,“ wehrte sie verlegen. „Das lassen Sie nur. Ich habe Ihre Zeit schon übermäßig ausgenutzt. Trennen wir uns nur hier. Also ich dank’ Ihnen vieltausendmal. Und wenn wir uns auch nicht mehr wiedersehen –“

Günther, der die Allee hinaufgeblickt hatte, ließ plötzlich erschrocken ihre Hand los und trat einen Schritt zurück.

„O verflucht,“ sagte er halblaut.

„Was haben Sie?“

„Da steht Ihr Mann –“


32.

„Welche Ueberraschung,“ sagte Ludwig Thomas, indem er die wenigen Schritte näher trat und mit gemacht steifer Höflichkeit den Hut lüftete. Seine funkelnden Augen gingen unstet zwischen seiner Frau und Günther hin und her.

„Wie blaß du plötzlich geworden bist, mein Kind. Gerade hab’ ich mich so herzlich an deinen rosigen Farben gefreut. Was hat dich denn so erschreckt? Und Sie, Herr – Musikdirektor, scheinen so großartig im Zuge. Schien meiner Frau ja auch mächtig zu gefallen. Fahren Sie doch fort, bitte, ich höre gern zu“.

Der arme Günther war in Sachen der Geistesgegenwart seither nicht rascher geworden auch zerdrückte der stille Ingrimm über Ludwigs „lächelnde Satansmiene“ ihm die Worte im Munde. Er murmelte etwas von „schon verabschiedet“ und „sehr schätzbar,“ und da Hanna, die ganz erstarrt dastand, ihm mit keinem Wort zu Hilfe kam, so machte er eilig seine ungeschickteste Verbeugung, den Schlapphut in der Hand.

„Ach, richten Sie doch eine Empfehlung an Ihren werten Freund Rettenbacher aus“, sagte Thomas, als Günther schon eine Bewegung zum Gehen gemacht hatte. „Und wenn er fragen sollte, wie ich mich befinde, so beruhigen Sie ihn nur, es ginge mir ausgezeichnet, besser als je zuvor. Ich wäre gesund wie ein Fisch im Wasser und gedächte, so ungefähr neunzig Jahre alt zu werden. Das wird ihm Freude machen, denk’ ich, was?“

„Gewiß,“ murmelte Günther unsicher und verwirrt, nach einem Blick in Ludwigs Gesicht schien ihm dann plötzlich erst der eigentliche Sinn dieser unerbetenen Mitteilung aufzugehen. Er wurde flammendrot.

„Ich danke schön,“ sagte er laut und drückte seinen Hut fest auf den Kopf. Er hatte eigentlich ganz etwas andres sagen wollen, aber er merkte es nicht. Mit blitzenden Augen sah er an dem immer noch lächelnden, kraftvoll blühenden großen Mann auf und nieder, von ihm auf die arme Frau, die so schattenhaft daneben stand, als wenn er ihr die Lebenskraft, deren er sich rühmte, ausgesogen hätte, und die mit den angstvollen Blicken zu bitten schien: reize ihn nicht!

„Menschenkenner!“ sagte Günther endlich mit der verächtlichsten Betonung, die ihm zu Gebote stand, drehte sich um und ging schnell seiner Wege.

„Richtig kuriert, beide Beine ab!“ rief Ludwig etwas gedämpft hinter ihm her. Er betrachtete dann vorläufig schweigend seine Frau, die in der nervösen Qual dieser Vorbereitung einer „Scene“ leise zitternd dastand. Immer noch ohne zu sprechen, bot er ihr den Arm, den sie annahm. Zwei, drei Minuten lang gingen sie so nebeneinander her. Die dunkle Seide ihres vornehm schönen Gewandes rauschte sacht, in vielen Pünktchen flimmerten im Sonnenschein die Perlen auf den schwarzen Spitzen ihres Kragens. Für achtlos Vorübergehende an der Seite ihres mit ausgesuchter Eleganz gekleideten Kavaliers trotz ihrer tiefen Blässe eine durchaus harmonische Erscheinung.

„Das war erwischt,“ sagte Thomas endlich kalt, in jenem verhaltenen Ton, den sie als Vorläufer eines der von der Eifersucht diktierten Wutausbrüche nun schon kannte und fürchten gelernt hatte. „Heiliges Kreuzbombenelement, das war erwischt! Du fängst an, unvorsichtig zu werden, mein teures Kind. Auf der belebtesten Promenade an der Tiergartenstraße giebt man sich doch kein Rendezvous.“

„Nein, nicht wahr?“ bemerkte sie ruhig, „das find’ ich auch.“

„Sei gefälligst nicht impertinent,“ schnauzte er sie an. „Schön hab’ ich euch da ertappt. Was sagst du dazu?“

Hanna sagte gar nichts. Mit gerunzelter Stirn und zusammengepreßtem Mund schaute sie starr geradeaus.

Er sah mit einem schrägen Blick auf sie nieder.

„Geruhst du zu hören?“

Sie nickte.

„So geruhe auch, Notiz zu nehmen von dem, was ich sage, ja?“

„Was soll ich erst antworten, Ludwig?“ fragte sie müde. „Es ist ja immer dasselbe.“

„Das stimmt,“ entgegnete er hohnvoll. „Was nämlich deine geehrten Erwiderungen betrifft. Immer dasselbe, das heißt: nie die Wahrheit.“

Ihre Hand zitterte auf seinem Arm, sie machte eine Bewegung, sie ihm zu entziehen, aber mit einem Ruck, der der Wirkung eines Schlages gleichkam, drückte er sie fester heran.

„Untersteh’ dich,“ sagte er heftig und laut, „dich hier auf offener Straße wie eine ungezogene Göre zu betragen.“

„Die Leute werden schon auf unser Gespräch aufmerksam,“ hauchte sie ängstlich, da ein Vorübergehender, der sie überholt hatte, den Kopf nach ihnen wendete.

„So benimm dich anständig. Du allein bist schuld.“ Und nach einer Pause: „Schade, daß ich euch dazwischen kam, was? Hättet ihr mich nur eher bemerkt. Ich ging nämlich schon eine ganze Weile hinter euch her und freute mich höllisch an dem Eifer, mit dem ihr in eure Unterhaltung vertieft wart. So kann ich’s freilich nicht. Für mich hast du bloß deine verdammte Leidensmiene, das Augenstrahlen, das Lächeln wird für die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_744.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)
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