Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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„Ich hatte mir vorgenommen, ein paar Fragen an Sie zu stellen – drei Fragen. Darf ich –?“
„Aber ich bitte, mein Fräulein.“
Sie lud ihn mit einer raschen Bewegung ein, sich neben sie auf die Bank zu setzen, er nahm schweigend Platz. „Nämlich,“ sagte sie, – „da Sie beide ja Jugendfreunde sind – – ich meine ihn, Herrn van Wyttenbach. Also erstens – –“
Es war doch sehr schwer, sie fand die rechten Worte nicht.
„Erstens?“ fragte Waldeck.
„Erstens wollt‘ ich fragen ob Herr van Wyttenbach immer – etwas wasserscheu war? – Ich meine –“
„Wasserscheu?“ – Er lächelte einen Augenblick, sah sie flüchtig von der Seite an. Mit zarter, schonender Stimme sprach er dann gegen den Erdboden hin: „Nicht sowohl wasserscheu, als – überhaupt etwas vorsichtig …“
„Wie?“ fuhr sie auf.
„Sie müssen nicht denken, daß ich sagen will, er hat keinen Mut! – O nein. Er hat vermutlich ebensoviel davon wie die andern …. Ich kann mich sogar erinnern, daß mein Vater, der mich von Berlin aus besuchte – als wir beide noch Knaben waren – da sagte er mir einmal: „Nimm dir an Arthur Wyttenbach ein Beispiel, wie man unter den Menschen auftreten muß, ohne Scheu, ohne Furcht!‘ Weil ich nämlich schüchtern war –“
Sie machte eine leise Bewegung mit der Hand, die ihn stumm machte. „Das,“ erwiderte sie dann mit schwacher Stimme, „ist eine andere Art von Mut!“ – Ihre zusammengesunkene, knospenhaft schlanke Gestalt drehte sich langsam zu ihm, es stieg ihr warm und weich in die Augen. „Ihr Vater,“ sagen Sie. „Für den Sie diese Reise, und alles – – Aber er hat es gewiß verdient. Er war gewiß gut!“
Fritz Waldeck lächelte so schmerzlich, daß es sie unbewußt ansteckte; sie lächelte ebenso. „Gute Menschen sind oft sehr unglücklich,“ antwortete er zögernd, gepreßt, „wie ich allmählich mehr und mehr begreife. Er war beides, Fräulein, Beides wohl viel zu sehr. Aber ich glaube, doch nicht mehr unglücklich als gut!“
„Ich merke, es thut Ihnen weh, wenn Sie von ihm sprechen.“ Gertrud lächelte herzlich. „Wir wollen lieber von Ihnen sprechen! Schüchtern, sagten Sie. Sie wären als Knabe schüchtern gewesen … „Aber gestern abend, gegen meinen Vater, waren Sie nicht schüchtern. Da hab' ich Sie – bewundert, muß ich Ihnen offen sagen. Da waren Sie – wie soll ich das ausdrücken – da standen Sie nicht wie ein Jüngling da, sondern wie ein Mann!“
„Das versteh' ich nicht,“ sagte Waldeck schlicht. „Wenn es sich um etwas Heiliges handelt, wie kann man da schüchtern sein? Da kennt man doch keine Scheu, keine Bangigkeit!“
„Ja Sie,“ entgegnete Gertrud leise. – „Ich war meinem Vater so dankbar,“. fuhr sie etwas kräftiger fort, „als er Sie bewunderte, als er Ihnen sagte – – na, Sie wissen es ja!“
„Was ist Ihnen?“ fragte sie, da sie ihn jetzt so sonderbar atmen hörte, als thäte ihm etwas weh.
„Nichts!“ antwortete er und schüttelte den Kopf. Er dachte nur eben, beglückt und gequält, ach, wie hold sie ist! Und er fühlte, daß er noch ebenso verliebt war wie vor einem Monat … „Sie wollten noch eine zweite Frage an mich stellen, warf er nach einem Schweigen hin,“ das ihn drückte, denn auch sie war still.
„Ich,“ sagte sie träumerisch, als käme sie wieder zu sich. „Ja. – Ich wollte Sie fragen, ob Herr van Wyttenbach – – ob er schon recht, recht früh seine besondere Begabung zeigte –“
„Seine besondere?“ – Fritz lächelte unwillkürlich. Dann sprach er wieder zart, zurückhaltend auf den Gartenkies hinunter. „Er kam immer gut mit fort! Er war ein recht beliebter Schüler, – bei den Lehrern, mein ich. Hatte gewöhnlich gute Zeugnisse, – meine waren oft schlechter. Ich ,schwänzte’ nämlich gern, wenn so verwünscht schönes Wetter war. Auch mein Betragen wurde oft getadelt, denn ich war oft abwesenden Geistes – verliebt oder philosophisch oder Gott weiß was – oder wir schrieben uns wahnsinnige, schwärmerisch aufgeregte Briefe in Chiffresprache, unter der Bank, waren eigentlich Busenfreunde und ich! – Uebrigens, ich langweile Sie …
„Wie können Sie so was sagen,“ entgegnete das Mädchen das ihn so gern von der Seite ansah, während er gegen den Erdboden sprach. „Schwärmerische Briefe’ – das war ja auch mein Verbrechen, als ich noch lernen mußte, wo die hohe Tartarei liegt! – Ach Gott, und nun weiß ich's schon nicht mehr – und bin erst siebzehn Jahre alt! – – Ich seh’ es Ihnen an, Sie haben auch im Karzer gesessen –“
Fritz Waldeck nickte, er sah jetzt furchtbar jung und drollig glücklich aus. „O ja, in unserm alten Schulgebäude, da war noch ein wirklicher kleiner Karzer, manche schöne Stunde hab’ ich da verträumt! Da bildete ich mich zum Republikaner aus. Jetzt bin ich etwas vernünftiger geworden und daher monarchisch. In den Karzerzeiten waren meine politischen Ueberzeugungen wild, feuerrot, rebellisch … Worüber lächeln Sie?“
„Nur so aus Vergnügen. Aus Begeisterung. Das gefällt mir so!“
„Ja, und da Sie von ‚schüchtern‘ sprachen – unser Sonntagsblatt ,Vorwärts! Vorwärts!‘ das wir als Untersekundaner heimlich schrieben, das war auch nicht schüchtern! Darum erlitt ich denn auch manche Verfolgung, vom Direktor, mein‘ ich. Er war mehr für ‚Rückwärts, Rückwärts‘! Wir verstanden uns nicht. Er hatte nur leider die Uebermacht. Ich hatte die Zukunft für mich, aber er den Karzer für sich. Von dem machte er mutigen Gebrauch. bis dieses lustige Elend, das sich Schulzeit nennt – –“
Er brach wieder ab. „Nun werd' ich aber entschieden langweilig!“
Gertrud schüttelte lebhaft den Kopf.
„Und Sie wollten noch eine dritte Frage an mich stellen –“
„Ich?“ sagte sie wie im Traum.
„Ja, über – ihn über Herrn van Wyttenbach.
„Ja, freilich,“ erwiderte sie langsam. „Das hatt' ich vergessen. Mir fällt auch im Augenblick nicht ein, was ich fragen wollte … Da ist er!“ murmelte sie auf einmal und fuhr in die Höhe.
Arthur kam gegangen vom Speisesaal her, sein hübsches, glattes Gesicht glänzte von Wohlbehagen, seine Lippen waren förmlich rosenrot, die kleinen Augen leuchteten heiter, nur dem Haar fehlte etwas von seiner kunstvollen Kräuselung, da die dazu nötigen Hilfsmittel draußen in Vico waren. Den Hut in der Hand, schlenderte er zwischen den Büschen und Beeten heran, winkte 'Guten Morgen'. „Ich muß sagen,“ fing er an, „man frühstückt hier ausgezeichnet!“ Nun las er wohl von Gertruds Gesicht, daß diese Fidelität nicht am Platze war, daß eine sehr ernste Spannung sich erst lösen mußte. Er ging zu einer männlichen, charaktervollen, fast tragischen Miene über. In dem Ton, der dazu gehörte, fragte er: „Und seh' ich Sie nun endlich wieder, Fräulein Gertrud?“
„Ich bin lange hier,“ entgegnete sie mit verstecktem Vorwurf. „schon seit einer Stunde.“ – Sie sah jetzt, daß Fritz Waldeck zurücktrat, als wolle er gehn. „Wohin wollen Sie?“ fragte sie überrascht, im Augenblick fast bestürzt.
Fritz warf einen halben Blick auf Arthur, dann einen ganzen auf sie. „Nur ans Meer hinunter,“ erwiderte er. Es lag etwas in seiner Stimme, das zu sagen schien: jetzt seid ihr zwei beisammen, da geh‘ ich! – Er deutete am Fels hinunter. „Der Felsenweg da ist so wunderbar,“ setzte er ruhiger und harmloser hinzu. „Schon heute nacht hab‘ ich ihn entdeckt, im Mondschein, da oben vom Balkon, als ich so viel wachte – und Herr van Wyttenbach so viel schlief. Ich glaube, da hinten raucht auch schon der Dampfer, der von Neapel kommt … Eh ich abmarschiere, seh‘ ich Sie noch!“
Er grüßte und stieg hinab. „Eh Sie abmarschieren?“ rief das Mädchen ihm nach, als wäre sie beinahe erschrocken – „Er hört nicht mehr. – Will er denn schon wieder fort?“
„Lassen wir ihn ziehn“ sagte Arthur, etwas geringschätzig lächelnd. „Das ist ein ziemlich langweiliger Bursche. Einer von diesen braven jungen Leuten, mit denen sich leider die Grazien nicht sehr viel befaßt haben.“ – Er sah, wie Gertruds Gesicht sich verzog, wie ihre Brauen zuckten und verstummte.
„Sie reden so lieblos von Ihrem Jugendfreund,“ erwiderte sie mißmutig. „Er hat besser von Ihnen gesprochen kann ich Ihnen sagen.“
„Ja, ja,“ erwiderte Arthur geschwind, „das ist eine seiner guten, braven Eigenschaften. Ueberhaupt wie gesagt – er ist grundgut! Er hat so was durchaus Rechtschaffenes, Ehrenhaftes … Was ist nun schon wieder? Was mißfällt Ihnen denn schon wieder, meine holde Gertrud?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_770.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)