Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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sage nur nach, was die alten Bücher sagen. Auch das schöne Sorrent, Surrentum, ging damals bekanntlich größtenteils zu Grunde, – wieviel Menschen mit umkamen, davon erzählt allerdings die Geschichte nichts. Der Historiker Dio Cassius berichtet nur – – Aber wir haben da eine junge Dame. Ich glaube, unser Fräulein Gertrud wird blaß. Schweigen wir jetzt vom Vesuv!“
„O nein,“ sagte Gertrud ruhig, „Sie irren. Ich bin nicht so bange. So schlimm wird's wohl auch nicht werden –“
Arthur fiel ihr ins Wort. „Bitte, Herr Doktor, was berichtet der Historiker Dio Cassius?“
„Dio Cassius?“ antwortete Wild, den diese Frage ein wenig in Verlegenheit setzte. „Ja, der alte Dio Cassius … Es ist mir im Augenblick nicht ganz gegenwärtig. Er oder andre Geschichtsschreiber nehmen aber an das unglückliche Stabiä, das ja damals auch vom Erdboden verschwand, hat nicht bei Castellamare gelegen, wie einige glauben, sondern hier bei Sorrent! – Na, die Hauptsache ist ja in solchen Fällen sich nicht überrumpeln zu lassen, denn daß man wenigstens mit dem Leben davon kommt, ist ja doch zu wünschen. Das möchte’ ich dir nur noch sagen, lieber Rutenberg, – ohne dich zu kränken – deine liebenswürdige Einladung in allen Ehren – wir sind sehr gerührt – aber du hast uns da eigentlich in eine schöne Mausefalle gelockt. Denn sag’ mir gefälligst, wo sollen wir hin wenn das Wetter losbricht? So weit ich mich auf der Landkarte orientiert habe – ich hab’ sie ziemlich gründlich studiert … Uebers Meer zurück? Das ist dann unmöglich, das Meer wird von Erdstößen hin- und hergeschleudert –“
„Von Erdstößen!“ rief Arthur aus.
„Natürlich. – Zu Lande zurück, nach Castellamare – das hieße dem Löwen in den Rachen laufen! – Hier bleiben und abwarten – bis man vor Dampf und Asche und Bimssteinen am hellen Tag nicht mehr seine Hand sehen kann – das gefällt mir auch nicht, muß ich ehrlich sagen. Da könnte man also nur vom Vesuv hinweg in die Berge klettern – na, und diese kleine Halbinsel, die ist bald zu Ende!
Rutenberg ging wieder unruhig umher, was Arthur nervös machte, er stand jetzt vor dem Doktor still. „Wild – mach’ uns nicht toll. Mit deiner verwünschten Logik und deinen schwarzen Phantasien.“ –
„Ich hab' durchaus keine schwarzen Phantasien. dazu neig’ ich bekanntlich gar nicht! Aber wenn Palmieri sagte: ich fürchte einen Ausbruch, wie noch keiner da war, allerdings, junger Herr, in seinem letzten Telegramm drückt er sich so aus, buchstäblich wie noch keiner da war – dann muß ich mir doch die Bemerkung erlauben weiter weg wär’ besser!“
Arthur kämpfte noch immer gegen seine beklemmenden Gefühle. Er trat nur einen Schritt näher auf den Doktor zu. „Sie glauben, daß Palmieri – –“
Plötzlich stand Schilcher auf, der sich auf eine Steinbank gesetzt hatte, Arthur fuhr zusammen. „Sag’ mal,“ fragte Schilcher, um die Sache doch auch ein bißchen zu fördern, „war das eben schon ein kleiner Erdstoß, oder irr’ ich mich?“
Gertrud hob den Kopf. Sie warf einen unwillkürlichen Blick auf Fritz Waldeck. der saß etwas weiter weg auf der Brüstung und hörte in lebhafter, aber offenbar völlig furchtloser Erregung zu. Darüber wuchs ihr auch der Mut. „Ich hab’ nichts gespürt“, antwortete sie ruhig.
„Doch, doch,“ meinte Lugau. „Ich glaube, es war so ein leises Zucken –“
Rutenberg unterbrach ihn geschwind. „Haben Sie die Güte, Lugau, es nicht nachzumachen. das regt uns auf!“
Unterdessen hatte Arthur den Erdboden rechts und links mit argwöhnischen Augen beobachtet. Er wandte sich wieder an Wild. „Sie glauben, daß Palmieri – –“
„Das Meer wird unruhiger, fiel Schilcher ein, der über die Brüstung guckte, „das ist keine Frage.“
„Natürlich wird es unruhig,“ entgegnete Wild, „wenn man unter ihm zittert. Damit fängt die Sache an. Palmieris Instrumente empfinden ja mit mathematischer Genauigkeit, was sich vorbereitet. Nach Palmieris Meinung bricht es noch heute los –“
„Aber um Gottes willen“ brach es nun aus Arthur heraus, „so sollten wir doch etwas thun – etwas thun – um uns beizeiten zu retten!“
Gertrud, schon eine Weile durch sein Benehmen gereizt, sah ihm scharf ins Gesicht. „Haben Sie denn Angst, Herr van Wyttenbach?“
„Ich?“ sagte er und suchte sich zu fassen. „Nicht für mich, für die andern; für Sie!“
„Für mich? Das lassen Sie nur. Ich fürcht’ mich nicht sehr. Einen ordentlichen, tüchtigen Ausbruch wünscht’ ich mir immer zu erleben und ich denke, uns thut er nicht viel, wir sind weit davon!
„Das sagen Sie, Fräulein Gertrud, weil Sie die Gefahr nicht kennen.“ Arthur lächelte ein wenig. „Sie sind eben noch sehr jung!“
„Und wie alt sind Sie denn?“
Er bemühte sich, wieder zu lächeln. „Ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht über solche Nebendinge unterhalten. Die Hauptsache ist ja doch, daß wir diesem Vesuv da aus dem Wege gehen. Sein wohlklingender Baryton hob sich vor Aufregung. „Mein Gott, so ein feuerspeiender Berg hat ja keine Vernunft! Wir müssen sie haben, wir!“
Doktor Wild nickte bedächtig: „Dem zu widersprechen, wär’ gewiß sehr thöricht –“
„Nicht wahr?“ sagte Arthur rasch. „Ich schlag' ja nur vor, aus dem Wege zu gehn nach der andern Seite der Halbinsel – oder bis zum Vorgebirge – oder wie Sie denken. Das Schauspiel eines großen Ausbruchs mag ja sehr interessant, sehr romantisch sein, aber man will doch vor allem als verständiger Mensch sich am Leben erhalten …“
Er sah rund herum, blickte jedem nach den Augen. Keiner rührte sich. „Also –!“ fuhr er unruhiger fort. „Also – gehn wir! Machen wir uns davon! – Auch Sie, Fräulein Gertrud, die Sie jetzt noch so zuversichtlich sind, nachher werden Sie uns danken, wenn wir Sie gerettet haben –“
„Bitte, bemühen Sie sich nicht,“ unterbrach sie ihn kalt. „Ich hab’s gar nicht eilig. Ich bleibe!“
Er starrte sie fassungslos an; das begriff er nicht.
Gertruds Hände ballten sich. „Junge Leute, dacht’ ich, lieben die Gefahr, statt davonzulaufen. Warten Sie doch wenigstens ab, bis sich die älteren Herren aus dem Staube machen!“
Dem Vater Rutenberg lachte das Herz im Leibe, die Sache geht ja gut! dachte er, und mein Mädel ist ganz famos! – „Na,“ warf er dann hin, um den Wagen nun rollen zu lassen, wie er rollte, „ich hoffe immer noch, Wild sieht zu schwarz! Palmieri irrt sich! Bis wir darüber klarer werden, sollten wir vorläufig ins Haus gehen, unsern lieben Gästen Quartier schaffen, sie erfrischen, stärken.“ Er lächelte: „Auch das ist ja Lebensrettung. Lugau, kommen Sie. Wild, Schwarzseher, voran!“
„Meinetwegen,“ sagte Wild, indem er sich mit scheinbar widerstrebendem Gehorsam in Bewegung setzte. „Ich wasche meine Hände in Unschuld.“
„Warten wir’s noch ab,“ rief Schilcher im Gehn „mit Philosophie!“
Die drei Whistbrüder und Rutenberg marschierten dem Hause zu. Arthur sah ihnen kopfschüttelnd mit heimlicher Erbitterung nach. Mit Philosophie! dachte er. Dieser Unsinn! – Der eine ist ein alter Phlegmatiker, der andre ein Optimist. – Sich beizeiten aus dem Staube machen, das ist Philosophie!
Er wandte sich zu Gertrud zurück, die sich in einiger Entfernung von Fritz Waldeck auch auf die Brüstung gesetzt hatte und ihr Ideal schmerzlich zornig betrachtete. „Sie wollen also nicht fort?“ fragte er.
Sie schlug ihre Füße gegeneinander. „Nein,“ sagte sie.
„Fräulein Gertrud, Sie sind unbesonnen. Sie sind unvernünftig!“
„Kann sein. Wohl möglich. Und ich will es auch bleiben. Retten Sie sich!“
Er trat ihr näher, so gut es ging. So leise wie möglich, mit schmerzlichem Vorwurf, hauchte er ihr zu: „Sie wollen mich kränken –“
„Ich Sie?“ gab sie ihm zurück. – „Retten Sie sich!“
„Mit Ihnen ist jetzt nicht zu reden, seh’ ich …“
Er trat wieder zurück, sie schwieg. – So werd' ich mit einem andern reden, dachte er, mit dem Marinajo, dem Pasquale. Verschütten lass’ ich mich nicht! Nachdem er flüchtig mit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_786.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)