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Seite:Die Gartenlaube (1897) 799.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

gewesen ist. Nicht minder scheint ein Nachruf, den der Gouverneur des Staates Missouri, Morehead, den Manen Boones widmete, zur Kenntnis Coopers gekommen zu sein, denn die in dem Nachruf gegebene Charakteristik Boones spiegelt sich aufs deutlichste in der Lederstrumpffigur wieder. „Ohne eine irgendwie bemerkenswerte Erziehung genossen zu haben,“ so sagte der Gouverneur in dem Nachruf, „hat Boone doch einen Platz unter den ausgezeichnetsten seiner Zeitgenossen eingenommen. Er vereinigte in sich viele hervorragende Eigenschaften Klugheit, Mut, Vorsicht und eine ungewöhnliche physische Kraft. Niemals schrak er vor Gefahren zurück, niemals erlag er den Anstrengungen und Mühen seines gefährlichen Berufs; selten gelang es jemand, ihn zu überrumpeln. Seine Gewohnheiten waren einfach und nicht verletzend, eine gewisse Rauheit ausgenommen, die allen Jägern eigen ist. Seine persönliche Erscheinung bot nichts besonders Hervorragendes, sein Ausdruck war mild und zufrieden. Ein Jäger durch und durch, lebte und starb er in einem Blockhaus, von allen Habseligkeiten seine sichere Büchse als das wertvollste Besitztum preisend.“

Das Grabmal Daniel Boones auf dem Friedhofe zu Frankfort.

Es ist von hohem Interesse, zu sehen, wie Cooper diese Personalbeschreibung der Figur des Helden seiner Lederstrumpfromane unterlegte. Nimmt man diese Romane zur Hand, so möchte man zur Vermutung kommen, daß die fünf Abteilungen „Wildtöter“, „Der letzte der Mohikaner“, „Pfadfinder“, „Die Ansiedler an den Quellen des Susquehannah“ und „Die Prairie“ in der hier gegebenen chronologisch richtigen Reihenfolge geschrieben worden seien. Das ist aber nicht der Fall. Von allen Lederstrumpfromanen erschien der vierte, „Die Ansiedler“, zuerst, und zwar im Jahre 1823. Drei Jahre später, am 4. Februar 1826, folgte Nummer 2 der Serie, „Der letzte der Mohikaner“, 16 Monate darauf Nummer 5, „Die Prairie“. Dann verstrichen nicht weniger als 13 Jahre, bevor Cooper mit den beiden Romanen „Pfadfinder“ (1840) und „Wildtöter“ der Serie die Abrundung gab. Entstanden demnach die einzelnen Abschnitte zusammenhangslos und in ganz verschiedenen Zeiträumen, so erscheint es um so bewundernswerter, daß Cooper es trotzdem verstand, der Figur seines Helden ein so einheitliches Gepräge zu verleihen, daß sie wie aus einem Gusse, wie ein völlig abgerundetes Meisterwerk vor uns steht. Im „Wildtöter“ lernen wir diesen Helden als einen vollkommenen Neuling auf dem Kriegspfade kennen. Er hat, in den Wigwams der Delawaren verweilend, sich insbesondere einem jungen Häuptling jenes Stammes, Chingachgook, angeschlossen und findet in Gemeinschaft mit demselben am See „Glimmerglas“ zum erstenmal Gelegenheit, seine Kraft und seine auf vielen Jagdzügen erworbene Geschicklichkeit zu bethätigen. Scharfblick, Aufrichtigkeit und gewinnende Herzensgüte machen die Grundzüge seines Charakters aus, in dem sich die Tugenden der Weißen mit den besseren Eigenschaften der roten Urbewohner Amerikas in der glücklichen Weise mischen.

Im „Letzten der Mohikaner“ und im „Pfadfinder“ steht Lederstrumpf in voller Manneskraft, als kühner, furchtloser Jäger vor uns. Wald und Himmel sind ihm ein offenes Buch. Jeder Laut, der die Stille des Urwalds unterbricht, jeder aus seiner Lage gerückte Stein, jeder geknickte Zweig vermitteln ihm die Kunde über gewisse Vorgänge. Niemals verläßt ihn seine Kaltblütigkeit; aus den gefährlichen Lagen weiß er stets einen Ausweg zu finden.

In den „Ansiedlern an den Quellen des Susquehannah“ erscheint Lederstrumpf als alter Mann, der auf den Hügeln am Glimmerglas sein einsames Blockhaus aufgeschlagen hat. Er, der ein volles Menschenalter vor der Ankunft der ersten Ansiedler die den See umschließenden Wälder durchstreifte und dies endlose Jagdrevier als sein alleiniges Eigentum betrachten durfte, muß nun voll Mißvergnügen sehen, wie die Ansiedler rücksichtslos das Wild zusammenschießen und die Bäume niederschlagen, die er so sehr geliebt. Die Natur, die ihm allezeit eine Freundin und Ernährerin war, gilt diesem Schwarm der Eindringlinge als eine Feindin, die niedergerungen werden müsse. Was Wunder, daß Natty Bumppo mit diesen Menschen nicht zu leben vermag, daß die Luft in ihren Straßen ihn beengt und er gleich dem verjagten Wild hinaus in die Weite zieht, der sinkenden Sonne nach.

Zuletzt zeigt Cooper uns den äußerst betagten Lederstrumpf als einsamen Trapper inmitten der überwältigenden Großartigkeit der westlichen Prairien. Seine körperliche Kraft ist verfallen, der Geist hingegen ist rein und geläutert wie die Luft der ihn umgebenden Steppe. Er ist nicht mehr der leicht erregbare, verdrießlich den Einbruch der Ansiedler wahrnehmende Trapper. Während er nicht aufhört, zu bedauern, hat er aufgehört, anzuschuldigen. Er weiß, daß die majestätische Feierlichkeit der Natur nicht lange ungestört bleiben wird, denn in jedem von Osten her kommenden Windstoß hört er das Knarren der Wagenräder, den Klang der Aexte, das Rauschen niedersinkender Bäume, die den Marsch der unaufhaltsam vordringenden Civilisation verkünden. Er weiß, daß dieselbe nicht aufzuhalten ist, und er hat dabei gelernt, sich in das Unabwendbare mit würdiger Ergebung zu fügen. Er hat keine Wünsche mehr, sondern sieht dem nahen Ende, dem Grab unter dem wehenden Prairiegras mit einer so ruhigen Fassung entgegen, wie der von harter Tagesarbeit ermüdete Arbeiter nach Sonnenuntergang dem besten Freund, dem Schlaf, entgegensieht.

So stellen Coopers Lederstrumpfromane ein völlig abgerundetes Gesamtbild, ein Drama in fünf Aufzügen dar, dessen Held anerkanntermaßen eine der fesselndsten, eigenartigsten und edelsten Schöpfungen der amerikanischen Litteratur ist. Die Lederstrumpfromane begründeten den Weltruf ihres Dichters. Sie wurden nicht nur in fast alle europäischen, sondern sogar auch in verschiedene asiatische Sprachen übersetzt. Die Zahl der in der Originalsprache erscheinenden Ausgaben und Nachdrucke ist eine geradezu überraschende und wächst, seitdem die Romane frei wurden, von Jahr zu Jahr. Auch in Deutschland erlebten sie viele Auflagen in mehr als fünfzehn verschiedenen Uebersetzungen. Besonders die Menge der Bearbeitungen für die Jugend ist erstaunlich.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_799.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)
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