Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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All right …
Schilchern war zu Mut, als elektrisiere man ihn; ein wunderbares Gefühl trieb ihn von seinem Stuhl in die Höhe. Eine himmlische Heiterkeit – er mußte wenigstens das Gesicht verziehn, wenn er nicht lachen sollte. Er wiederholte inwendig: Es giebt keinen Arthur mehr … Es giebt keinen Arthur mehr …,
„Aber was machen Sie, Schilcher?“ sagte Lugau, der gleich Wild am Tisch saß und auf seine Karten wartete. „Geben Sie doch weiter.“
„Ja, ich gebe weiter. Natürlich …“
Schilcher saß schon wieder; er gab. Die Karten, als wären sie auch wahnsinnig heiter geworden, flogen auf den Tisch. Also unsre Trudel geheilt! dachte er und schleuderte wieder eine Karte hin. Es kam immer mehr Schwung, mehr Feuer in seinen Arm … Unsre Trudel geheilt! Hahaha! Und der Feind geschlagen! – Mit Wasser und mit Feuer haben wir ihn hinausgetrieben – haben wir ihn – haben wir ihn – haben wir ihn – Juchhe! Eine Art von Gesang war in seiner Seele; bei jedem „haben wir ihn,“ das er dachte, flog eine Karte auf den Tisch.
„Schilcher,“ sagte Wild, „mir scheint, Sie geben jetzt auf italienische Art. Die südliche Lebhaftigkeit ist bereits in Sie eingedrungen!“ – Er nahm seine Karten auf, Lugau desgleichen. Schilcher dagegen vergaß seine Pflicht, nachdem er gegeben hatte; er horchte nach dem Hause zurück, ihm war, als hörte er Gertrud kommen. Langsam und vorsichtig wandte er dann den Kopf dorthin.
Wild klopfte endlich mit einem Knöchel seines fetten kleinen Fingers auf den Tisch. „Nun, Herr Oberappellationsrat Schilcher? Sehn Sie gefälligst Ihren Strohmann an, haben Sie die Güte!“
„Den Strohmann, versteht sich,“ entgegnete Schilcher und nahm die Karten des Strohmanns auf. Hatte er sich getäuscht oder nicht? Er horchte immer wieder. Er steckte die Karten zurecht, ob sie gut oder schlecht waren, das ward ihm freilich nicht bewußt. Er sah nur mehr rote als schwarze … Mehr rote als schwarze! sagte er sich und lugte in den Garten zurück.
Ja, nun kam sie wirklich; die schlanke, lange Gestalt, bald von der Sonne angestrahlt, bald im Schatten der Gebüsche, wandelte heran. Es lag etwas in ihren Schultern – und wie sie den Kopf hielt – das seine Freude dämpfte und ihm vorn auf der Brust Mitleidsgefühle machte. Ja, ja, armer Kerl! dachte er. Jetzt ging sie an ihm vorbei und suchte ihn anzulächeln; es ward aber nicht viel daraus. Auch das Sprechen, das ihre Lippen versuchten, gelang doch noch nicht. Als sie bei ihrer Steinbank an der Brüstung angekommen war, schien ihr die Kraft zu vergehn; sie glitt nieder, von den Männern abgewandt, und legte sich eine Hand vor die Augen, das arme Köpfchen lehnte sich an die Brüstung an.
Wild warf unzufriedene Blicke auf den zerstreuten kleinen Herrn. „Es scheint,“ murmelte er zu Lugau hinüber, „wir sollen heut’ wieder mit Hindernissen spielen …“
„Ich spiele also aus!“ rief Lugau und warf seine Karte mit einigem Nachdruck hin.
„Und ich bediene!“ rief Schilcher, der die Karten des Strohmanns so rasch wie möglich auf dem Tisch hinbreitete. Dann nahm er eine davon und warf sie neben Lugaus Karte.
„Was machen Sie?“ sagte Wild. „Sie haben ja Treff.“
„Ja. Ich habe ja Treff. Ich bitte um Entschuldigung!“
Schilcher verbesserte seinen Irrtum – so hatte er sich wohl noch nie versehn, seit er Whist spielte – und gab den Treffbuben aus dem Strohmann hin. Ihm war nun, wie wenn er das Mädel leise weinen hörte. Sie wird doch nicht! dachte er erschrocken. Vor den Mannsbildern da … Ah, das thut sie nicht. So ist Trudel nicht. Das war eine Täuschung!
Er horchte von neuem; nein, sie weinte nicht. Es war offenbar nur sein eignes Gefühl, das ihm sagte: jetzt weint sie inwendig … Dieses verwünschte Gefühl ließ ihn auch nicht stillsitzen; er stand wieder auf. Ohne an Treff oder Coeur zu denken, ging er zu der Steinbank hin und beugte sich auf Gertruds angelehnten Kopf, so daß sein vortretendes Kinn fast ihr Haar berührte. „Trudel!“ sagte er leise. „Uebers Jahr sind wir wieder lustig. – Ganz, ganz lustig!“
Er bog sich um ihr Gesicht herum und küßte sie auf den Mund.
„Aber was ist mit dem Schilcher?“ sagte Wild und drehte seine schwerfällige Gestalt nach der Brüstung zu; von dem Kuß hatte er nichts gesehn noch gehört. „Herr Oberappellationsrat –!“
„Hab’ nur der Gertrud angedeutet,“ erwiderte Schilcher trocken, „es könnte dem Strohmann gut thun, eine Flasche Capri zu tanken. Und den andern auch –“
„Ja, ja!“ fiel ihm rasch das Mädchen ins Wort, fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und stand auf.
Lugau schmunzelte „Herr, da haben Sie recht!“
Gertrud begann auch schon zu gehn; als sie nun aber ihren Vater mit dem jungen Waldeck herankommen sah, legte sich ihr eine Beklemmung auf die Brust; an ihnen vorbeizugehn, fehlte ihr der Mut. „Meine Freunde,“ nahm Rutenberg das Wort, sowie sie auf die freie Terrasse traten, „dieser junge Freund unseres Hauses wünscht sich zu empfehlen: er will fort, nach Pompeji zurück, zu seiner archäologischen Bande.“ Mehr für Schilcher und die aufhorchende Gertrud setzte er hinzu: „Vielleicht sehn wir ihn in Rom noch wieder; jedenfalls aber zu Hause. Da besucht er uns; er hat mir’s versprochen!“
Fritz Waldeck nickte stumm. „Ich – ich muß nun fort,“ sagte er darauf mit schwacher Stimme. Er nahm zum Abschied Rutenbergs Hand. „Mein Freund!“ stammelte er leise. „Mein Vater!“
Rutenberg zog ihn an die Brust; sie umarmten sich. Gertrud sah gerührt über die Schulter hinüber, dann blickte sie aber wieder vor sich hin. Sie wartete, bis Fritz zu ihr kam; als er sein Abschiedswort an sie richtete, reichte sie ihm die Hand und schaute ihm mutig in die Augen. Es schien ihr plötzlich passend oder gut zu sein, wenn sie lächelten; so lächelte sie ihn denn an. „Auf Wiedersehn!“ sagte sie. „Spätestens zu Hause!“
„O, ich hoffe!“ antwortete er und ließ ihre Hand zögernd aus den Fingern.
Schilchers stiller Blick ruhte mit einem tiefen Wohlgefallen auf dem hochgewachsenen, schmucken Paar; und was für gute Augen sie beide haben! dachte er. Wie gut sie zu einander passen. Wenn die ein Paar werden – dann betrink’ ich mich!
„Gut Freund,“ sagte er, so herzlich wie sein holziger Baß es hergab, als Waldeck Sohn nun auch von ihm seinen Abschied nahm. Fritz grüßte die Whistspieler und ging. Gertrud sah ihm nach; sie hatte den Capriwein vergessen, den sie holen wollte.
Der junge Mann war übrigens noch nicht verschwunden, als Pasquale, an ihm vorbei, zwischen den Büschen herankam, schon von weitem lächelten seine kohlschwarzen Augen der Eccellenza, dem Schilcher, zu. Mit ehrbarem Ernst brachte er dann aber seine Meldung vor: „Wollte nur berichten, Eccellenza, wir sind wieder da. Aber Humor schlecht!“ Er hob malend die Arme und verzerrte das Gesicht „Wütend! Furioso!“
„Wer ist wieder da?“ fragte Wild, der seine auf den Tisch gelegten Karten eben wieder aufgenommen hatte.
„Herr van Wyttenbach,“ antwortete Schilcher. Gertrud fuhr zusammen.
„Schilcher hat gewonnen!“ rief nun Rutenberg rasch. „Er gewinnt doch immer! – Nämlich, dieser Schilcher hatte gegen mich gewettet, der diabolischen Beredsamkeit Wilds werde es gelingen, unsern jungen Freund, Herrn van Wyttenbach, mit Hilfe des Vesuvs in die Berge zu treiben. Unser junger Freund versteht Spaß; das wird sich schon finden. Jedenfalls hat Wilds Talent gesiegt!“
Die Whistbrüder lachten. Hinter seinem Rücken hörte Rutenberg leises Kleiderrauschen, dann ein Flüstern der bekannten lieben Stimme an seinem Ohr. „Ich will ihn nie wieder sehn!“ sagte sie leise. „Gieb ihm das! Du!“
Das nicht nur zerknitterte, jetzt auch zerrissene Blatt, das Arthur ihr heute geschrieben hatte, schob sich in seine Hand.
Wild war unterdessen aufgestanden, seine Augen glänzten humoristisch triumphierend im Kreis herum. „Na? Werd’ ich nun anerkannt? – – Aber Schilcher bedient nicht. Schilcher, Sie haben noch immer nicht aus der Hand bedient!“
„Ich bediene also“, entgegnete Schilcher würdevoll und spielte aus.
„Mein Stich,“ sagte Lugau – „Nochmals Treff!“ Mit seinem bekannten kurzatmigen Schwung warf er Treffkönig hin.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_803.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)