verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
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Kreisen mit der Gewalt eines Elementarereignisses gewirkt. Der Freisinger-Kreis – nicht sehr groß, zumeist Advokaten- und Professorenfamilien – beruhigte sich bald und formulierte sein Urteil dahin: „Ein Riesenglück – aber die Leute verdienen’s!“ Anders Pauls Welt. ’So manche sah sich in diesen Kreisen auf der Jagd nach dem Eheglück um die kostbarste Beute geprellt. Ein Hohngelächter erhob sich von allen Seiten: also darum hatte dieser Weilheim jahrelang gewählt und gemäkelt und sich nirgends binden wollen, um endlich in die Netze einer kleinen Spießbürgerin zu gehen? Hat sie ein Mensch denn überhaupt gesehen? Geht sie denn in die Welt? Hat sie Manieren? Versteht sie, sich anzuziehen? Wenn dann irgend ein männliches Mitglied der entrüsteten Gesellschaft einwandte, ja, er habe sie da oder dort gesehen, sie sei hübsch gewachsen, mache auch ganz gut Toilette, so wurde das mit Grimm und Spott aufgenommen. Paul, der sich im Geist das Schauspiel so ziemlich richtig ausgemalt hatte und nun seine frohesten Ahnungen bestätigt fand (er las die Bestätigung aus den mehr oder minder überströmend herzlichen Gratulationen, die ihm zu teil wurden), Paul also hatte seinen Hauptspaß an der ganzen Aufregung. Und mit größtem Behagen begann er dann, seine Braut den enttäuschten Familien vorzustellen, in deren Häusern er so vielfach verkehrt hatte. Stolz wie ein Kaiser trat er mit ihr in die Salons unter die spähenden, stechenden Augen. Und wenn er sie dann bei den hübschen, eleganten, schauspielernden Mädchen sitzen sah, von welchen jede eine für die Gesellschaft berechnete Rolle spielte – in Haltung und Kleidung so verfeinert wie jene, aber sonst wie aus einer andern, einer frischeren und reineren Welt stammend, da vergaß er Artigkeit und alles, blieb seinem Nachbar die Antwort schuldig, warf fortwährend prüfende Blicke nach der gewissen Richtung, und was er dazu dachte, das war eitel Selbstlob und Selbstberäucherung: „Aber, daß du dich die Jahre her nicht hast fangen lassen! Daß du doch ordentlich ausgewartet hast! So ein Verstand! So ein Riesenglück! Das hast du wirklich famos gemacht!“ – War dann die Vorstellung zu Ende und das Brautpaar auf der Treppe, da hielt er sie an, zeigte nach der Thür und fragte mit einem Paar Augen voller Uebermut: „Na, wie gefallen dir meine schönen Damen?“
„Wie gefallen sie denn dir, jetzt, wo du nicht mehr an sie gewöhnt bist?“ fragt sie zurück. (Sie nährt nämlich in schwachen Stunden eine kleine Eifersucht auf das, was sie „seine Leute“ nennt.) Statt aller Antwort sieht er sich eiligst um, holt sich, wenn kein Störer naht, rasch ein paar gute, frische Küsse von ihrem Mund, und meint dann mit einem zufriedenen Aufatmen: „So gefallen sie mir!“
Etwas ernster sind schon die Vorstellungsbesuche im beiderseitigen Verwandtenkreis. Wie so viele Menschen, waren sowohl die Freisingers als auch Paul mit einer Sorte von Verwandten begabt, die – nun, die man sich just nicht aussuchen würde, wenn man eben die Wahl hätte. Paul denkt von der Sippe seiner Kleinen: „Ist’s denn möglich, daß meine noblen Menschen zu diesen abgeschmackten Spießbürgern gehören?“ Die Freisingers wieder fragen sich immerfort, wie denn nur ihr lieber unverdorbener Paul zu der gespreizten hochmütigen Gesellschaft kommt. Es dauert nicht lange, so hat einer des anderen Gefühl entdeckt und – verziehen. Aber Besuche müssen doch gemacht werden, und das Brautpaar muß sich durch einen Berg von ihm zu Ehren veranstalteten Diners und Soupers durchessen. Ach, und es wär’ so gern zu Haus! Es hat sich immer so viel zu erzählen, es hat so viel zu lachen! Oder beide spielen vierhändig, oder sie singt ihm mit ihrem kleinen süßen wohlgeschulten Sopran ein Schubert-Lied, welchen Kunstgenuß er dankbarst in der unter Brautleuten üblichen Münze honoriert. O ja, zu Haus ist’s besser! Aber gut ist’s auch, wenn sie alle vier in einer Burgtheater- oder Opernloge sitzen, sie nur Aug’ und Ohr, mit glühenden Wangen. Manchmal, im Uebermaß des Entzückens, drückt sie ihm die Hand und schaut ihn, wie um Teilnahme flehend, an. Den Blick bekommt sie wohl mit Zinseszinsen zurück, aber viel Teilnahme ist nicht darin; er hat einfach nicht aufgepaßt. Kunstgenüsse hat er schon viele gehabt, aber das liebe Stückchen Natur an seiner Seite, das ist ihm noch so neu, das muß er ordentlich studieren. Zu Hause, am Theetisch, wird er erst ausgezankt und dann darüber getröstet. Da haben sie dann noch gute Zeit, bis zum letzten „Gute Nacht!“ Um all das bringen sie die lästigen Einladungen. Und doch hat auch so ein Gesellschaftsabend seine guten Seiten. Vor allem sieht sie in Abendtoilette wunderlieblich aus in ihren hellen Mädchenkleidern, mit seinen Rosen. Und haben sie einmal beide wie brave Kinder vor jedem Gast ein schönes Kompliment gemacht, dann setzen sie sich in irgend einen Winkel und lassen sich durch nichts und niemand stören.
So sind sie denn also mit sich, mit den Eltern, mit Gott und der Welt vollkommen zufrieden. So lachen sie über die Dornen ihres Brautstands und pflücken mit vollen Händen seine duftenden Rosen, stehen mit wohligbanger Sehnsucht vor der verschlossenen Thür der Zukunft, wie Kinder vor dem versperrten Weihnachtszimmer – und glauben in ihrer jungen Glückseligkeit fest und sicher, sie leben in der besten aller Welten!
Es giebt noch eine kleine Wolke an Pauls Brautstandshimmel, und das sind die Brautgeschenke. Das geht nämlich so zu: Während der Wartezeit hat er ihr auch nicht eine Blume schenken dürfen. Da hat er ihr eben ohne Erlaubnis täglich ein Sträußchen Waldblumen gepflückt – so klein, daß der väterliche Tyrann wohl ein Auge zudrücken konnte. Kaum war dann das erlösende Wort gefallen: „Da hast du sie!“ – so ist er täglich eine Stunde früher aufgestanden, und das Resultat dieses „Liebesopfers“ (aber es war kein Opfer) war der herrlichste, größte Strauß der schönsten, eigenhändig gepflückten Alpenblumen. Dann stand jeden Nachmittag auf ihrem Tisch ein Strauß Rosen. Gleich in den ersten Tagen der offiziellen Brautschaft hat er sich einmal sehr früh von seinen dreien verabschiedet, unter irgend einem Vorwand, aber mit schmerzbewegtem Gesicht. Ist auch des andern Tags später als sonst erschienen und hat mitten im Wald seiner Kleinen die schönste sechsreihige Perlenschnur um den Hals gelegt – mit komisch wichtiger Feierlichkeit, der doch ein kleiner Beigeschmack von Befangenheit nicht fehlte. Darauf hat er ihre herabhängende Hand genommen und ihr einen Ring angesteckt – einen Ring mit einer Perle und einem Brillanten, an Material und Arbeit ein kleines Wunder. „Gefällt’s dir?“ hat er darauf fast scheu gefragt, „hast eine Freude daran?“ „Noch nicht,“ hat sie, die erst glühend rot und dann blaß geworden ist, ihm geantwortet. „Es ist zu schön. Aber über dich hab’ ich …“ und dann kam der stumme, aber ihn doch recht sehr befriedigende Dank. Ein paar Tage darauf stand auf Emmas Tisch ein Etui, Inhalt: ein wundervolles Armband, gleichfalls eine Verbindung von Perlen und Brillanten. „O bitte, schenk mir doch nicht so viel!“ hat sie leise gesagt und ihm nur scheu und verlegen gedankt. Wie aber die Sache eine Weile so fort ging, da hat sie sich einmal – es war schon in Wien – ein Herz gefaßt, hat ihn auf ihr Zimmer genommen und ihm eine kleine Standrede gehalten.
„Schau einmal, Schatz“, hat sie gesagt, „ich weiß schon, es macht dir Freude, gut und großmütig wie du bist“ – hier muß sie sich notwendig unterbrechen, um seine Stirn zu küssen – „und, nicht wahr, du glaubst mir doch, daß ich dir eine Freude gönn’?“ Sie wartet auf die Antwort, die prompt erfolgt und befriedigend ausfällt. „Aber diese Freude, liebster Mensch, schau, die kann ich dir nicht gönnen – noch nicht! – Sei einmal ganz still und laß mich ausreden“ – da er sie unterbrechen will – „du weißt ja, das Reden ist nicht meine starke Seite, und man bringt mich gleich aus dem Konzept. Sei schön still, ja?“ Und sie nimmt, ihn zu beschwichtigen, seine Hand und deckt sie mit ihren beiden Händen zu. „Also, hör’ an: deine Geschenke, die so großartig sind, so fürstlich und tausendmal zu schön für mich – die, siehst du, Schatz – aber sei nicht bös’! – die thun mir weh. – – O, ich weiß schon, ich weiß –“ nach einer Pause, denn sie hat ja gestraft werden müssen – „wenn ich mich schon von meiner hohen Position herablasse, dich armen Kerl von einem Krösus zu nehmen“ – wie die beiden lachen über den Witz! – „so muß ich mich auch entschließen, die traurigen Konsequenzen in Gestalt von Schmuck, Theaterlogen, Spazierfahrten und so weiter auf mich zu nehmen. – Nein, du, hör’ einmal“ – unterbricht sie sich selbst – „da ist gar nichts zu lachen! Reich sein ist gewiß was Prachtvolles, und ich bin die Letzte, die was dagegen einzuwenden hat – aber – mußt du denn gerad’
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0124.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)