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Seite:Die Gartenlaube (1898) 0126.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

so schauderhaft viel Geld haben? Schau einmal, du lieber, guter, herziger Mensch“ – und da ist sie auch schon bei ihm und hat die Arme fest, fest um seinen Hals – „mir wär’s viel lieber anders! Du erdrückst mich ja, ich schäm’ mich ja vor dir! Ich bin nicht reich, nicht schön, nicht geistreich – was hast du denn an mir? Und dann kommst du noch und bombardierst mich mit diesen Sachen, die für eine Königin gut genug sind – ja, das ist ja, um sich zu verkriechen! Wenn du mich lieb hast, du mein Lieber, Guter und ich weiß, du hast mich lieb, so wie ich dich – sehr, sehr! – dann thust du mir das nicht mehr an. Blumen ja, so viel du willst, Bücher auch – aber Schmuck keinen mehr, gelt, vor Weihnachten! Und nicht mehr jeden Tag den Wagen und die Loge – nicht wahr, nein? Einmal in der Woche, wenn du so gut sein willst – aber nicht öfter! Und wenn du schon entschlossen bist, so ein einfaches Bürgermädel zu nehmen, dann mußt du dir’s auch bei uns Spießbürgern gefallen lassen! Mußt schön mit uns spazieren gehen (das schadet deinen langen Beinen nichts) – und weißt du“ – immer näher an seinem Ohr – „später werd’ ich mich schon entpuppen! Mich in der Loge breit machen, das Geld hinauswerfen, die große Dame spielen – die Kunst werd’ ich schon treffen, da sei nur ruhig! Vielleicht besser, als dir’s lieb ist. – Nein, nein, hab’ keine Angst, es war nur Spaß – gar so schlimm wird’s nicht werden! Nur alles thun und haben, was sich für die Frau Weilheim, Großhandlungschefs- und Großgrundbesitzersgattin – uff! – gehört. Dann halt’ ich still. Aber jetzt bin ich noch die Emma Freisinger, und die schämt sich, wenn du ihr mit solchem Glanz kommst, und braucht nichts auf der Welt als drei Menschen, und von den dreien – aber das ist schlecht von ihr – dich vielleicht am allermeisten. Ja, und dann noch, daß du ihr sagst, du bist nicht bös’ auf sie. Sag’ mir’s, Paul – Alter – Lieber, Herziger – sag’ mir’s! Bist du bös’ – hab’ ich dir weh gethan? Gelt nein, mein Schatz – mein guter, lieber – nicht wahr, nein?“ –

Und was hat er auf all das Drängen und Bitten geantwortet? Nun, nichts – nur angesehen hat er sie. Aber sie weiß nun doch, daß er nicht – daß er nicht im mindesten böse ist.


8.

Anfang November sind die kleinen Wolken alle verschwunden, und es steht dafür eine einzige, große, und zwar ziemlich schwarz und drohend, am Himmel: Emma ist krank, sie hat eine Rippenfellentzündung. Sehr ernst ist’s nicht, von einer wirklichen Gefahr ist nicht die Rede, aber es bleibt immer ein tüchtiger Anfall, und man muß achtgeben.

Ihre drei verlieren den Kopf nicht unh auch nicht den Humor. Man braucht sich ja, gottlob, nicht zu fürchten, es ist ja nicht sehr bös’; man muß eben nur achtgeben. Und das thun sie denn redlich. Emma zwar braucht etwas Zelt, um sich in die ihr ganz neue Rolle der Patientin einzuleben, und findet es einfach lächerlich, still zu liegen, sich wie eine Prinzessin bedienen zu lassen und fortwährend über ihr eigenes Befinden reden zu hören. Aber sie hat entschieden das Talent, sich verhätscheln zu lassen, und ganz still und heimlich darüber glücklich zu sein; so findet sie sich denn endlich auch in diese Lage und gewinnt ihr einige gute und sogar sehr gute Seiten ab. Wie gesagt, sie ist wohl behütet. Die Mama ist nur dann aus dem Krankenzimmer zu bringen, wenn der Papa, auf Emmas kategorische Aufforderung hin, eine Art Gewalt anwendet. Was diesen Papa betrifft, so schaut er aus seinem Bureau, das Wand an Wand mit den Wohnräumen liegt, jede Viertelstunde zu seiner Tochter hinüber und etabliert sich dann immer für ungefähr dreißig Minuten oder auch mehr an ihrem Bett. Man kann also nicht behaupten, daß er sich momentan im Geschäft überanstrengt. Was Paul betrifft – – – ach, der arme Paul! Der hat böse Zeiten! Der Papa kann lachen! Die Mama kann schmunzeln! Die sind drin bei ihr, können sie bedienen, anschauen, berühren. Aber er!! – Denn, um es kurz zu sagen: er ist verbannt, er darf nicht hinein – sie will’s nicht – sie schämt sich! – – – Er hat nicht rebelliert, sondern sich ganz still in sein Schicksal ergeben; er wird doch nichts gegen ihren Willen durchsetzen, wenn sie gerade krank zu Bette liegt! So steht er denn also an der angelehnten Thür (so ziemlich den ganzen Tag), horcht auf ihre Stimme und weist dann doch diese ersehnte Stimme, wenn sie sich erhebt, mit großer Strenge zur Ruhe. Es ist ihm überhaupt nichts recht, was da drin im Zimmer geschieht; er behorcht natürlich alles und hat an allem zu nörgeln: sie spricht und lacht ihm zu viel und ißt ihm zu wenig; die Mama läßt ihr alles durchgehen; der Papa ermuntert sie noch, Dummheiten zu machen. Zur Belohnung wird der Moralprediger von allen dreien ordentlich ausgelacht.

Um ihm den Mund zu stopfen, schreibt sie ihm jede Stunde einen Zettel, manchmal auch zwei. Nach der Lektüre glänzen seine Augen so hell, als ob er sie schon wieder im Arm hätte, und lustig auflachend, setzt er sich hin und schreibt seine Antwort. Wenn’s niemand sieht, nimmt er ihre Zettelchen wieder hervor, besieht und betastet sie von allen Seiten und verwahrt sie dann voll Ernst und Andacht in der Brieftasche. Sie ist schon kecker und geniert sich gar nicht, seine Briefe eventuell auch vor den Eltern an die Lippen zu drücken. Diese sind nicht eifersüchtig und haben auch keinen Grund dazu. Das Herz ihres Kindes ist so eigentümlich organisiert, daß seine Leistungsfähigkeit zügleich mit den ihm gestellten Anforderungen wächst. Es hat für alle drei Platz und reichlich Platz. Das fühlen die alten Leute, und ihre überströmende Dankbarkeit ergießt sich naturgemäß über das neue Kind, über den Sohn. Der wieder lernt seine „Schwiegermamas“ jeden Tag mehr als „ein Extrageschenk“ kennen und schätzen. Und so überstehen die vier in treuer Gemeinschaft die Sorgentage mit frischem Mut.

Und endlich erbarmt sich Emma ihres armen Verbannten, macht eine große Kraftanstrengung, verliert die letzten unangenehmen Symptome und ist nach vierzehn Tagen so weit, ihrem künftigen Gebieter die erste Audienz zu ertheilen. Es ist nach allen Ereignissen des Morgens – Frühstück, Besuch des Doktors, die Toilette, die ersten Gehversuche – doch beinahe Mittag geworden, ehe sie, in einem weißen Morgenkleid, auf der Chaiselongue in ihrem blumengefüllten Wohnzimmer ausgestreckt, zum Empfang bereit ist. Sie liegt mitten im Sonnenschein, blaß, etwas abgemagert, mit großen, erwartungsvollen Augen. Zwei dicke Zöpfe fallen ihr über die Schultern und machen die Illusion, man habe ein sechzehnjähriges Kind vor sich, ganz und gar täuschend. Aber ein Kind, das wie ein bewegtes, sehnsüchtiges Weib dreinsieht und das jetzt, da es einen bekannten, eiligen Schritt hört, die Farbe wechselt und zu zittern beginnt. Und nun ist er auch schon im Zimmer. Ist mit einem Schritt bei der Chaiselongue, läßt sich auf die Kniee gleiten, schlingt sehr sanft zwei starke Arme um sie – und legt den Kopf auf ihre Hand. Gesprochen wird dabei nichts. Wie’s ihr dann doch zu lange dauert, hebt sie leise diesen Kopf auf, deckt ihm mit beiden Händen die Augen zu (zwar, die Eltern sehen nichts, die haben sich abgewendet und schauen eifrig durchs Fenster) und sagt, ganz leise, mit einer mütterlich beschwichtigenden Stimme, ein paar gute, unzusammenhängende Worte. Und da kommt auch wieder Leben in seine Gestalt. Er richtet sich auf, setzt sich, ohne zu fragen, auf die Chaiselongue, nimmt sie wie ein kleines Kind in die Arme, nimmt ihren Kopf zwischen seine Hände, schaut sie an, als ob er sie zehn Jahre nicht gesehen hätte – und fängt plötzlich an, leise zu lachen, begräbt diesen blonden Kopf in seinen Armen, wiegt ihn zwei-, dreimal hin und her – und dann geht ein Ungewitter von Liebkosungen und närrischen, abgebrochenen Worten auf sie nieder, daß es ihr den Atem nimmt und sie nichts thun kann als das Haupt neigen, die Augen schließen, stillhalten – und selig sein.


9.

Diesem stürmischen Ereignis folgen drei sehr stille Tage. Während dieser Zeit befindet sich Emma so gut, daß sie die Erlaubnis bekommen hat, ihren Bräutigam so ziemlich den ganzen Tag um sich zu haben. Er liest ihr vor, er ergeht sich mit ihr in Mariaschutzer Erinnerungen, er entwirft mit ihrer Hilfe eine Tageseinteilung für „später“, die in der nächsten halben Stunde umgestoßen wird; er bringt ihr die Pläne zur „Villa Emma“, die er im Cottageviertel bauen läßt, über welche sich endlose Diskussionen entspinnen. Er überwacht ferner mit lobenswertem Eifer ihre Mahlzeiten, sorgt dafür, daß sie nichts stehen läßt, und wird zum Dank für seine Mühe von ihr mit Aepfelkompott

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0126.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2020)
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