verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
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wieder wohler sind, will ich Sie tausendmal um Verzeihung bitten, und Frau Christel auch.
Heute habe ich eine große Bitte – darf Ihr Landauer mich nachmittags zur Station fahren, zu dem Dreieinhalbuhr- Zug? Meine Freundin Emma Zobel kommt mich besuchen, ich freue mich riesig darauf. Frau Christel paßt es gewiß nicht, jetzt mit Fremden zu speisen, deshalb wollen wir oben essen. Ja? Darf ich den Wagen bekommen?
Schönsten Gruß, gute Besserung!
Ihre Edith von Ebradt.“
„Bitte, Christel,“ sagt Anton, „gieb dem Kutscher Befehl, daß er zur rechten Zeit anspannt.“
„Ja, Anto!“ Sie legt das Kärtchen auf seine Decke und geht sofort hinaus. Auch in der Küche ordnet sie noch etwas Besonderes an für das Mittagsessen der Damen, dann tritt sie in die Hinterstube und kramt dort ganz unnützerweise herum, bis die roten Flecken der Erregung auf ihren Wangen verschwunden sind; erst jetzt geht sie wieder zu Anton. Viel Zeit zum Nachdenken, zum Verzweifeln hat sie heute nicht: der Arzt erscheint, dann Graf Altwitz, der Anton danken will für seine treue Hilfe beim Brande. Der alte vornehme Mann ist ganz bewegt, als er an Antons Bett tritt.
„Gottlob,“ sagt er einmal über das andere, „daß es so ablief, lieber Herr Mohrmann, gottlob! Und Sie, meine gnädige Frau, ich hoffe, daß auch Sie den Schrecken bald verwinden werden. Jedenfalls, so lange wir leben, meine Frau und ich, wird das Gefühl tiefster Dankbarkeit nicht verlöschen für Ihren Gatten. Der erste war er auf dem Hofe, der zu helfen kam, gnädige Frau, der allererste! Ja, ja – gute Freunde und getreue Nachbarn!“
Als Christel den Grafen hinausbegleitet, faßt er nochmals ihre beiden Hände.
„Ein Prachtmensch ist er, ein Prachtmensch! Sie können stolz auf ihn sein, liebe gnädige Frau.“
Christel sieht in die feuchten Augen des alten Herrn, wie fragend, forschend. Wenn du wüßtest, denkt sie, aus welchem Grunde er so wahnsinnig hinüberjagte, um als erster anzukommen, du würdest anders reden! „Ich danke Ihnen, Herr Graf,“ spricht sie freundlich.
Eben will sie wieder in das Krankenzimmer zurückkehren, da überfällt Edith sie mit einer stürmischen Umarmung. „O, Frau Christel! Frau Christel!“
Christel stößt sie im ersten Augenblick heftig zurück, leichenblaß im Gesicht. Ebenso schnell faßt sie sich aber, die schönen Augen des Mädchens sehen sie völlig verblüfft an; was kann das harmlose Kind dafür, daß es geliebt wird? „Verzeihen Sie, Fräulein Edith, ich war so erschrocken, ich dachte gar nicht an Sie.“
Edith schöpft Atem. „Bitte sehr,“ sagt sie kühl, „ich wollte Ihnen nur – wollte nur nach dem Kranken fragen –“
„Anto geht es so gut, als es den Umständen nach möglich ist. Danke vielmal, gnädiges Fräulein.“
Edith ist der Ton ungewohnt. So freundlich Christel auch spricht, es klingt etwas heraus, das sie beunruhigt.
„Ich habe sehr viel zu thun, Baronesse,“ entschuldigt sich Christel.
„Warum nennen Sie mich heute nicht Edith oder Ditta, wie sonst?“ fragt das Mädchen.
Aber Christel antwortet nicht, sie ruft nur von der Zimmerthür ihres Mannes her: „Der Wagen fährt pünktlich vor; verzeihen Sie, ich habe Eile.“
Edith beißt mit den Zähnen die Unterlippe und sieht ärgerlich auf die Thür, hinter der die große volle Gestalt der blonden Frau verschwunden ist. Dann wirft sie den Kopf in den Nacken und geht die Treppe hinauf in das Wohnzimmer ihrer Tante, und dort sitzt sie und redet kein Wort. Seit gestern weiß sie nicht mehr, wie ihr eigentlich zu Mute ist, seit gestern, wo er sie in seinen Armen aus dem Dunst und Qualm der brennenden Scheuer getragen, sie an sich gepreßt hat, als wollte er sie erdrücken.
Die ganze Nacht hindurch hat sie schlaflos gelegen vor Freude an diesem Abenteuer, vor Unruhe und dumpfer Gewissensangst. „Edith!“ hatte er gerufen, einfach „Edith!“, aber mit einer Stimme – nie wird sie dieses „Edith!“ vergessen; eine ganze Welt voll Qual und Jubel lag darin.
Sie steht endlich auf und tritt zu der alten Dame, die vor dem Kaminofen sitzt und mit Zeitunglesen beschäftigt ist.
„Fährst du mit zur Station?“ fragt sie, nur um eine Stimme zu hören.
„Ich denke gar nicht daran,“ ist die Antwort, „du würdest auch nicht entzückt davon sein, Kind, ihr habt euch gewiß viel zu erzählen. Uebrigens – kommt der Diener mit?“
„Darum habe ich nicht zu bitten gewagt, Tante!“
„Wer soll dir denn das Handgepäck in den Wagen tragen?“
„Es ist doch ein Packträger da, Tante?“
„Der ungezogene Mensch? Ich danke! Seitdem er das enorme Trinkgeld nicht mehr bekommt, womit dein Großvater die Leute zu verwöhnen liebte, thut der Mensch, als ob er uns nicht mehr kenne; im Gegenteil, er drückt sich sogar, wenn er jemand von uns sieht. Ja, man gilt eben nichts mehr,“ schließt sie mit einem tiefen Seufzer.
„Emma bleibt ja nicht lange, Tante, sie wird nicht viel Gepäck haben,“ sagt Edith. „Freilich, imponieren wird’s ihr nicht.“
„Mein Himmel! So bitte doch, daß der Mensch mitfahren darf, er weiß ja so wie so nicht, wohin mit der Zeit,“ entgegnet Tante Tonette. „Die Frau versteht ja gar nicht einmal, sich bedienen zu lassen. Als ich neulich unten war, putzte sie die silbernen Löffel und der lange Schlaps stand derweil im Hausflur und that schön mit dem Stubenmädchen.“
„Ach, Tante, jetzt, wo Mohrmann krank ist?“
„Mein Gott, was hat das damit zu thun?“ seufzt Tonette, „als ob er seinem Herrn die geringste Handreichung leisten dürfte! Das besorgt doch gewissenhaft Frau Christel höchstselbst? Ich bewundere nur die Geduld des Mannes. In meinem Leben habe ich noch nicht solch ein klettenhaftes Benehmen gesehen wie das ihre, so etwas von spießbürgerlicher Verherrlichung eines Ehemanns. Es muß zum Rasendwerden sein!“ Und Fräulein Tonette steht auf und reißt an dem altmodischen Klingelzug.
Das junge fünfzehnjährige Dienstmädchen erscheint und wird hinuntergeschickt mit einer Empfehlung, und ob Herr Mohrmann erlaube, daß der Diener mitfahre? Es sei des Gepäcks wegen. Nach einem Weilchen stolpert das rotblonde sommersprossige Ding wieder in die Stube. „Frau Mohrmann sagte ‚Recht gern‘,“ berichtet sie.
Fräulein Tonette wendet sich an ihre Nichte: „Na, siehst du wohl? Ich begreife überhaupt nicht, warum du nicht gleich darum gebeten hast. Diese Menschen sind ja einfach selig, wenn sie uns einen Gefallen thun können.“
Um zwei Uhr fährt Edith nach der Station; Kutscher und Diener in Feiertagslivree und im Wagen die federleichte Pelzdecke und das geheizte Fußkissen. Christel steht am Fenster in ihres Mannes Stube und sieht sie abfahren. Anton schläft ein wenig, er fühlt sich matt und angegriffen wie noch nie und klagt über Kopfweh. Es sei von der Chloroformnarkose, hat er Christel getröstet. Aber sie weiß so genau, was es ist – die immerwährende Sehnsucht ist’s, der Kampf in seinem Herzen zwischen Liebe und Pflicht, und der macht stärkere Naturen als die seine elend.
Sie gönnt sich keinen Augenblick Ruhe, sie hat so viel zu
ordnen, aufzuschreiben, zu thun. Uebermorgen ist das Begräbnis
der Mutter, und wenn das vorbei, will sie ja – – fort. Wie
sie es anfangen wird, das weiß sie noch nicht; sie hofft auf einen
Zufall. Drei-, viermal hat sie den Brief überlesen, den Brief
Antons an seinen Freund, und jedesmal ist ihr klarer geworden:
du mußt gehen! Ach, sie hat auch ihren Stolz. Lieber möchte
sie sterben, ehe sie hier bliebe, und sie wird auch sterben, sie
ist nicht imstande, sich vorzustellen, wie sie leben soll ohne ihn,
fern von ihm, der doch der Inhalt ihres Daseins ist. Dann
kommt, wenn sie Wartau verlassen haben wird, etwas, das sie
noch nicht deutlich zu begreifen vermag, etwas Banges,
Entsetzliches; endlos, grau liegt es vor ihr, das Leben, allein, als
geschiedene Frau.
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Edith ist unterdes auf der Station angekommen; sie sieht ganz reizend aus in ihrem schwarzen Trauerkleide und dem hellen Jackett, auf dessen Aermel ein schwarzer Florstreif geheftet ist. Der große runde Hut mit dem einfachen schwarzen Band läßt das schmale Gesichtchen blaß erscheinen wie eine Narcisse;
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0138.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2019)