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Seite:Die Gartenlaube (1898) 0145.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


„Ein Tag in Arkadien“. Vorgeschrieben war das antike Gewand für den Saal und die unteren drei Ränge.

Bacchus verjagt die Erinnyen.

Im Künstlerhaus konnte man erfahren, wie das gemeint war. Die Maler hatten Zeichnungen von Kostümen gemacht und Schnitte anfertigen lassen; sie waren jeden Abend dort anwesend, um Rat und Auskunft zu erteilen. Große Figuren standen fertig gekleidet da; die Putzmacherinnen hatten lernen müssen, ganz unmoderne dichte Kränze zu winden; die Friseure, den ohnehin beliebten Knoten in unwahrscheinlichem Maße auf- und auszubauen; aus geringem Material entstand Goldschmuck in guten antiken Formen; selbst die Maskenzeichen waren eine Art von griechischem Gewand, um den Gesamteindruck nicht zu stören. Stoffe und Sandalen gab es zu kaufen, – es war ein Leben und Treiben dort, daß mancher seine in weiser Sparsamkeit begründeten Entschlüsse vergaß, um doch mitzuthun.

Bekanntlich befinden sich die beiden Münchner Theater, das große Schauspiel- und Opernhaus und das Residenztheater, unter einem Dach, ein kurzer Verbindungsgang führt von einer Bühne zur andern, und beide zusammen bieten einen Festraum, wie man ihn in Deutschland wohl nicht zum zweitenmal findet. Er wurde durch Emanuel Seidl mit unvergleichlichem Geschmack dem hellenischen Schönheitsfest angepaßt. Riesenhafte vergoldete Eichenkränze schwebten baldachinartig über dem Zuschauerraum, dessen weite lichtüberflutete Ränge, dicht bevölkert von festlichen Gestalten aller Art, einen glänzenden Rahmen bildeten für alles, was sich im Saal und auf der Bühne abspielen sollte. Das Handinhandgehen der Theaterleitung mit den Künstlern ist bei solchen Gelegenheiten in München von jeher selbstverständlich und war auch diesmal eine mächtige Bürgschaft für das Gelingen des Abends. Der Intendant v. Possart hatte selbst das Einstudieren des Festspiels übernommen.

Mit vielem Geschmack hatte der Dichter desselben, Maler Benno Becker, das Hauptgewicht mehr auf malerische und musikalische Stimmung als auf das Ausspinnen allegorischer Gedanken gelegt, die erfahrungsgemäß im Festtreiben meist zu kurz kommen. Die ungemein wirkungsvolle Musik ist von M. Schillings, dem Komponisten der „Ingwelde“. Franz v. Lenbach, der Präsident der Künstlergenossenschaft, hatte den Entwurf gemacht für Aufbau und Umwandlung der Bühne zu einem in Terrassen ansteigenden griechischen Festplatz mit Tempeln, Götterbildern, Cypressenhainen und der die Bergeshöhe krönenden Akropolis. Das hochragende goldene Standbild der Athene Promachos hatte der Meister selbst gemalt, und noch während der Hauptprobe sah man ihn, den großen Anstreicherpinsel als Scepter in der Hand, seine letzten Befehle geben.

Fanfarenklänge leiteten am Abend des 15. Februar das Festspiel ein, während sich das Haus bis aufs letzte Plätzchen gefüllt hatte – atemlose Erwartung. Der Vorhang hebt sich, und man gewahrt, in tiefer Dämmerung, die Erinnyen mit dem Schlangenhaar, Masken von großartiger Scheußlichkeit, auf den vordersten Stufen lagernd. Da tritt Bacchus (der jugendliche Heldendarsteller des Hoftheaters, Lützenkirchen) hervor und jagt sie mit zürnenden Worten weg, in die Nacht zurück. Dann wendet er sich zum Publikum und fordert alle auf, nach Hellas zu folgen:

„Ich lade bei der Schönheit euch zu Gast,
Und herrlich soll mein süßer Zauber blüh’n.
Vergrabt in Lethes Fluten die Erinn’rung
An alles Schlimme, das da draußen droht,
Und tretet frei ins Reich der Schatten ein,
Denn Schatten steigen auf versunk’ner Völker.
Die Zeit, die rastlos sonst nach vorne stürzt,
Hält ein und wendet gar den Fuß zurück,
Jahrtausende mit flücht’gem Schritt durcheilend.
Und dem entzückten Blick steigt neu empor
Der Griechen Land in seiner Marmorpracht.
Auch sie, die starben – die Unsterblichen,
Zu neuem Leben ringen sie sich auf,
Von des Olympos Höh’n, vom Grund des Meers,
Vom stillen Hades und vom Erdenrand
Wallt Gott und Mensch in dies arkadisch Thal.“

So soll heute das goldene Zeitalter wieder aufblühen und die Freude alle Herzen regieren. Dann schreitet er die Stufen empor und verschwindet in seinem Tempel.

Nun naht ein festlicher Zug, junge Krieger und Frauen gruppieren sich um die Säule und auf den halbrunden Marmorbänken im Vordergrund. „Schönes Volk“ nennt das Programm diese Abteilung, und wahrhaftig, sie verdient den Namen redlich. Künstlersfrauen und andere Damen der Gesellschaft sind dabei, Lenbachs reizendes lichtblondes Töchterlein mitten darunter; die Sängerinnen des Hoftheaters sammeln sich in der weinumrankten Pergola, welche die Bühne nach vorn abschließt, und stimmen ein Tanzlied an; zugleich bewegt sich ein Zug von Tänzerinnen in weißen Schleiergewändern die Stufen herab und beginnt den anmutigsten Reigen, während oben vor einem Tempelchen andere Mädchen ihre Kränze und Vasen als Opfergaben darbringen.

Typen aus dem Festzug.

Da tritt Bacchus oben aus dem Tempel und spricht zu seinem Volke.

„Evoë! Ihr Seligen seid mir gegrüßt!
Genießt die Stunde, denn nicht ewig lacht
Das Blau; zu bald nur webt die Wetterwolke
Den grauen Schleier, der das Licht begräbt.
Genießt die Stunde, daß am grauen Tag
Ein Wiederschein verfloss’ner Freude noch
Sein wärmend Rot in eure Herzen gieß’.
Zu euch spricht Bakchos, Sproß des großen Zeus!“

ruft er, indem er die Toga abwirft.

Das Volk jubelt ihm zu, und er fährt fort:

„Evoë! Der Tag ist mein, ich schenk’ ihn euch!
Füllt ihn mit Lust und brausendem Entzücken!
Jauchzt auf, daß sich des Waldes Gott verwundert
Ob des Getöses, das den Hain durchhallt!
Jauchzt auf, daß ihr das Echo tausendstimmig
Vom Schlafe weckt und außer Atem bringt,
Daß auch des ärgsten Griesgrams Lippen sich
Zum langentwöhnten Lachen wieder runden!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0145.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2020)
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