verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
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Die Dame, die so übermütig sprach, warf der dicken Lotte, offenbar ihrem Gesellschaftsfräulein, den Mantel über, ehe sie sich selbst in den eigenen hüllte, wobei die beiden Herren ihr behilflich waren.
„Ein toller Gedanke, hier so spät herauf zu klettern,“ sagte der eine, welcher Ton und Wesen eines flotten Junkers hatte. „Aber freilich, wenn es gilt, zu erkunden, ob die selige Kunigunde noch immer hier oben spukt, da muß man’s bei Mondschein thun; denn im Lichte der Sonne wird sich das grausame Burgfräulein nicht sehen lassen.“
„Ich habe allen Respekt vor ihr,“ versetzte die junge Dame; „sie hat den Herren der Schöpfung eine harte Nuß zu knacken aufgegeben und viele von ihnen haben dabei nicht nur die Zähne, sondern gar das Leben lassen müssen!“
Klärchen trat näher.
„Was befehlen Sie, gnädiges Fräulein?“
„Thörichter Schnickschnack – was, gnädiges Fräulein! Wir sind Schulfreundinnen, meine Herren, und das närrische Ding da will mich aufs hohe Pferd setzen! Schulfreundinnen – wissen Sie, was das heißt, meine Herren? Das heißt: wir haben zusammen die dümmsten Streiche gemacht, und das knüpft ein schönes Band für das ganze Leben! Im übrigen war sie viel gescheiter als ich und konnte mir in allen Fächern helfen, bis auf das eine, das ich mir schon damals zum Specialfach erkor, die Diplomatie der Liebe! Klärchen, setz’ uns das Beste vor, was du hast, und dann noch etwas Besseres, das, was du bist – setz’ dich dann zu uns!“
Klärchen war von der Freundlichkeit des Fräuleins, das sie lange Zeit nicht gesehen, erfreut und drückte ihr die Hand. „Hier – das ist Kurt von Rohow,“ fuhr diese fort, den einen flotten Begleiter vorstellend, „er ist nur gefährlich, wo feste Grundsätze fehlen, also weder dir noch mir. Er hat zu lange an der Spree gelebt und war in Berlin Fähnrich; ein solcher wird zwar nicht immer General, doch meistens ein Don Juan. Und dieser hier ist Friedrich von Benndorf. Das ist ein schlimmer Heiliger! Wenn der Mond scheint, da geistert es in seinem Kopf; da verwandelt sich ihm alles ringsum in ein Feenmärchen. Der ist viel gefährlicher als der andere. Denn mit Feen macht man wenig Umstände und wir können nicht in Duft verschweben wie die echte Märchensorte, sondern wer uns packt, der hält uns fest! Und dies, meine Herren, ist Klärchen, das echte Mauerblümchen des Kynast, lieblich und duftig und unerreichbar, und wer sie pflücken will, muß, wie die Freier der seligen Kunigunde, in den Graben rutschen.“
Klärchen machte eine leichte Verbeugung und floh dann wie gescheucht von dannen, um für Speise und Trank zu sorgen. Die „dicke Lotte“ hatte sich inzwischen erholt.
„Sie haben mich ja gar nicht vorgestellt, gnädiges Fräulein!“ sagte sie verdrossen, sich aus ihrem Mantel herauswickelnd.
„Sie sind zu vornehm, Lotte! Das liebe Kind könnte sich bedrückt fühlen!“
Ein breites Lächeln glitt über Lottens Züge; sie war ein Fräulein von Dornau, aus einer herabgekommenen Familie, aber sie hatte einen langen Stammbaum und der hing neben einigen Landkarten und einer Karte des gestirnten Himmels mit allen seinen Zweigen und Verästelungen in ihrem Wohnzimmer, und in den Augenblicken traulicher Plauderei mit dem jungen Schloßfräulein wagte sie anzudeuten, daß er noch tiefer in entfernten Jahrhunderten wurzle als derjenige der herrschaftlichen Familie, in deren Dienst sie getreten war. Doch das Schicksal ist ungerecht und es ist oft recht grünes Reis, das versilbert und vergoldet wird.
Das schöne Fräulein hatte indes den Mantel abgeworfen und der Abendluft unerschrocken Hals und Nacken preisgegeben, den das tiefausgeschnittene Kleid unverhüllt ließ. Ja, sie war schön, diese Leontine von Wallwitz; frei trug sie ihr wallendes Gelock, das dunkel war wie das feurig hervorblitzende Auge, das oft in leidenschaftlicher Unruhe hin und herschweifte, die Lippen voll, doch nicht unfein gezeichnet, die Wangen anmutig gerötet. Gesundheit und frische Luft, Aufregung und Uebermut – alles wirkte zusammen, um sie einer vollerblühten Rose gleichzumachen. Die beiden Kavaliere hatten die gleiche Empfindung – das war ein begehrenswertes Weib. Sie waren Nebenbuhler, keiner durfte sich für den Begünstigten halten: wohl aber mußte jeder von ihnen in der jungen Dame eine flatterhafte Kokette sehen, die mit kleinen Gunstbezeigungen bald zur Rechten, bald zur Linken ein Hoffnungsflämmchen entzündete, um es dann bei nächster Gelegenheit wieder lustig auszublasen. Leontine war eine reiche Erbin und alle jungen Edelleute der Umgegend wallfahrteten nach Schloß Giersdorf, wo die schöne Portia Hof hielt.
„Sie werden sich erkälten, Fräulein,“ sagte Lotte, die mit ihrem runden Gesichte aus dem Mantel herausglotzte wie eine Fledermaus, die sich in ihre Flügel gehüllt hat.
„O, mir schadet das nichts,“ versetzte Leontine, „ich bade mich gern in den Elementen, sei’s Luft, sei’s Wasser. Das erquickt mich; ich fühle mich eins mit der Natur und lästig ist mir alles, was sich dazwischen schiebt.“
„Wenn Ihr Herr Vater das sähe, würde er schelten,“ warf Lotte ein.
„Glücklicherweise ist Papa in Breslau,“ sagte Leontine, „mit all seinen Wollsäcken, und er läßt uns nur die geschornen Schafe im Stall zurück. Er ist ein wenig peinlich und ängstlich; ja, meine Herren, er würde auch diesen Ausflug auf die Burg bei Mondschein nicht verstattet haben, noch dazu in Herrenbegleitung, und wäre ich nicht Leontine von Wallwitz, ich würde die Sache selbst nicht in der Ordnung finden. Wäre Papa unten, müßt’ ich allerdings Ordre parieren und ich könnte mich höchstens einmal insgeheim fortschleichen, wenn Lotte ihre beiden schläfrigen Aeuglein zudrückt. Und das thut sie ja bisweilen – auch heute wird sie nur geträumt haben, daß wir zusammen auf dem Kynast waren, und den Traum vergessen, wenn sie sich nachher unten die Augen reibt.“
Lotte nickte zustimmend, sie kam sich in diesem Augenblicke recht wichtig vor. Inzwischen brachte Klärchen Flaschen und Gläser; es war feuriger Ungarwein, wie man ihn oben in den Bauden trank und der wohl über die Grenze gepascht war.
Klärchen setzte sich an den Tisch neben Friedrich von Benndorf, der ihr jedoch wenig Aufmerksamkeit schenkte, da Leontine sein Interesse völlig in Anspruch nahm. Bald klangen die Gläser zusammen und der Feuerwein von den Tokayer Rebenbergen erregte die Gemüter und die Wallungen des Blutes zu leidenschaftlicher Glut.
Jugend, Schönheit, die mondhelle Landschaft, die alte Burg mit ihren vielhundertjährigen Geheimnissen, das alles wirkte zusammen gleich einem berauschenden Zaubertrank. Selbst Klärchen ließ sich von seiner Wirkung hinreißen und ihre Gedanken machten einige Sprünge, zu denen sie sonst nie einen Anlauf genommen hätten.
„Ich hätte meinen Vater gern nach Breslau begleitet.“ fuhr Leontine fort, „doch wenn die Herren ihre Wolle verkaufen, da sind wir ihnen im Wege; da sitzen sie in den Weinstuben oder trinken den Schweidnitzer Schöps im Ratskeller und da wird so viel von Wolle und Schafen gesprochen, daß man darüber selbst drehkrank werden könnte. Und doch war ich den Winter über so glücklich in Breslau! Die Stadt war in den Händen der Franzosen. Das ist für den König von Preußen sehr unangenehm. Doch es sind reizende Menschen, diese Pariser, und selbst die rauhen Kriegsknechte haben Esprit! Ich habe mein Französisch sehr vervollkommnet, es sagt sich alles so nett im Französischen! Da hüpft man über alles leicht hinweg, worüber man im Deutschen stolpert. Und wo diese Herren überall gewesen sind – in Egypten, bei den Pyramiden und Mamelucken, die können etwas erzählen! Unsere Offiziere sprechen nur von Wachtparaden oder höchstens einmal von einer verlorenen Schlacht.“
Die Züge Kurts verfinsterten sich.
„Ich bin nicht eifersüchtig auf die Franzosen,“ sagte er, „sie mögen unseren Frauen gefallen; aber das kann nur ein flüchtiger Eindruck sein, denn es sind immerhin Fremde, in deutschen Herzen werden sie sich niemals einbürgern. Und Sie fühlen sich doch als Deutsche, Fräulein Leontine, obschon man es aus Ihren Worten nicht heraushören konnte?! Ja es hat mich peinlich berührt, daß Sie von Preußen sprachen, als ob dieser Staat Sie gar nichts anginge, als ob Sie droben im Monde lebten!“
„Was kümmert mich die Politik? Die wird dort in Berlin gemacht, heute so, morgen so, je nachdem unsere Staatsmänner mehr oder weniger ausgeschlafen haben. Dabei gehen viele
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0155.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)