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Seite:Die Gartenlaube (1898) 0179.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

dir nicht das Gold gebracht, das du erwarten durftest; vielleicht bringt das Reden Gold ein und das ist doch die Hauptsache.“

„Gold gewiß nicht,“ sagte sie, auf den Bergführer und das Mädchen einen fast verächtlichen Blick werfend. „Doch ich rede jetzt gern, schon weil’s den andern ärgern muß!“

Rübezahl faßte sie an den Armen und zog sie an sich heran wie ein Kind, dem man seine Macht zeigen, das man willfährig machen will. „Wer sind Sie? Was wissen Sie? So reden Sie, sprechen Sie doch!“

„Was kommt Ihnen bei?“ rief sie, sich losreißend, „es ist meine Sach’, ob ich reden oder schweigen will! Sie sind kein Beichtvater, alter Mann, und ich hab’ Ihnen nichts zu bekennen; auch ist keine Sünd’ von mir dabei, und werden’s noch einmal zudringlich, so bleib’ ich stockstumm, so wahr ich Veronika heiße.“

„Recht hat sie, die Frau,“ sagte Rübezahl zu Klärchen. „Doch die Aehnlichkeit – die Aehnlichkeit, das packt mich so, daß ich nicht weiß, was ich thue und sage. Ich bitte, sprechen Sie, Frau Veronika!“

„So aber bin ich nicht,“ brach diese ab, „daß ich Sie hier dursten lasse – einen Augenblick!“

Sie eilte in den Stall und kam bald mit der Milch zurück, welche sie den Gästen vorsetzte. Dem erregten Bergführer dünkte die kleine Pause eine Ewigkeit. Endlich begann sie: „Es wird etwa zwanzig Jahre her sein, als zu uns – ich wohnte damals in Flinsberg mit meiner Großmutter – ein Berliner Kavalier mit seiner Frau kam. Ob sie ihm rechtens angetraut war, weiß ich noch heute nicht. Es war ein schmucker Kavalier, wie sie selten in unsere Berge kommen. Dieser kannte sie, er war mehrfach über dieselben gewandert; es habe ihn stets erquickt, sagte er, wenn der Berliner Hofdienst ihn ermüdet habe. Die Frau aber stammte aus dem Gebirge, dem Aupathal, und erzählte uns oft von den Riesenbergen, die dort oben sich gegenüberständen wie zwei hohe Burgen des Berggeistes. Der Kavalier mußte zurück zum Großen Friedrich, von dessen Krückstock und Schnupftabaksdose er uns viel erzählte, wie von seinen großen Augen, welche die Leute noch immer mit so durchbohrenden Blicken ansahen, daß man’s nicht aushalten konnte. Der mußte schon ein reines Gewissen haben, dem dieser Blick nicht klaftertief in die Seele ging. Nun, bei dem Herrn hat’s damit wohl schlimm genug ausgesehen! Er gab uns sein Weib, das leidend war, in Pflege und zahlte uns im voraus eine ansehnliche Summe; dann verschwand er nach einem sehr rührenden Abschied; er verschwand, um nicht wieder zu kommen. Anfangs kamen wohl Briefe an seine Frau, doch auch dies hörte allmählich auf. Diese ward immer schwermütiger, immer kränker, sie genas eines Mägdleins und drei Tage darauf starb sie. Uns blieb das Kind zurück und noch eine kleine Geldsumme, um einige Zeit für dasselbe zu sorgen.“

„Und in welchem Jahre begab sich dies?“ fragte Rübezahl mit vor Aufregung zitternder Stimme.

„Im Jahre 1786,“ versetzte Veronika.

„Und das Mädchen stammte wirklich aus dem Aupathal?“

„So hat sie uns erzählt.“

„Weiter, weiter!“ rief der Bergführer.

„Ein Zufall kam uns zu Hilfe in unserer Not, denn wie sollten wir auf lange Jahre hinaus für das arme Kindlein sorgen? Ein Beamter der Schaffgotsch’schen Güter kam nach Greifenberg, das ja auch dem Grafen gehört, und auch nach Flinsberg führten ihn seine Geschäfte. Die Geschichte von dem Berliner Kavalier und dem zurückgelassenen Kinde kam ihm zu Ohren und zu unserem größten Erstaunen trat er eines Tags bei uns ein. Er lebte seit Jahren mit seiner Frau in kinderloser Ehe und beide hegten schon längst den Wunsch, ein Kind zu adoptieren, am liebsten eine Waise, um sich lästige Abmachungen mit den Eltern zu ersparen. Aus einem Briefe, den wir bei der Frau gefunden, sahen wir, daß der Vater des Kindes nichts mehr von ihr und von dem Kinde wissen wollte; er hoffe, hieß es darin, daß sie sich allein durchschlagen werde mit ihrer Hände Arbeit, nur wenn sie in hoffnungslose Not gerate, solle sie sich noch einmal an ihn wenden. Der Brief hatte keine Unterschrift und auch uns war der Name des Kavaliers immer verschwiegen worden. Wir weigerten uns nicht, dem Manne das Kind zu überlassen; er bot uns eine nicht unbeträchtliche Summe dafür, er nannte uns auch seinen Namen; doch es war ein falscher Name, denn wir haben später nie erfahren können, daß ein solcher Beamter sich in gräflich Schaffgotsch’schen Diensten befände. Es kümmerte uns auch weiter nicht, denn er hielt sein Versprechen; er ließ das Kind abholen durch eine zuverlässige Magd, schickte uns das Geld und das war ausreichend, daß ich dem Manne hier begehrenswert erschien. Er hatte damals ein hübsches Bauerngut. Doch das ging verloren in schlimmen Zeitläufen und was davon übriggeblieben ist – das sehen Sie hier.“

„Doch worüber erstauntet, worüber erschrakt Ihr so, als Ihr dies Mädchen saht?“ fragte Rübezahl mit einer von Thränen erstickten Stimme.

„Nun, jene Frau stand vor mir, nicht wie sie zuletzt war, elendiglich dem Tode entgegensehend, nein, so wie sie zu uns kam. Hätte mir die Jungfrau Maria einen schönen Traum geschenkt, so – nicht anders würde ich sie wiedergesehen haben, die arme Frau, die so schön war, als sie zu uns kam, und die so früh von uns ging. In Flinsberg haben wir sie begraben und weiße Rosen auf ihr Grab gepflanzt.“

„O Gott,“ seufzte der Alte, die Hände faltend, „es war meine Tochter, und so mußte sie untergehen! Ich danke Euch was Ihr für sie gethan von Herzen, wie ein armer Mann nur danken kann, der nichts hat als Thränen und einen warmen Händedruck. Doch noch mehr danke ich Euch, daß Ihr für das verlorene Kleinod mich ein anderes finden ließet – eine andere Tochter, der Mutter Abbild!“

Klärchen wußte nicht, wie ihr geschah, so rasch kam das alles über sie. Das war ja wie ein Märchen, das man am Spinnrad erzählt, und sie selbst sollte es sein, mit der sich so Wunderbares begeben? Sie mußte sich erst zurechtfinden, ob sie träume oder wache. Doch als Rübezahl seine Arme öffnete, um sie ans Herz zu schließen, da fühlte sie, daß sie einen neuen Vater gefunden, und schluchzend lag sie an seiner Brust.

Den Bewohnern der Hütte aber erzählte der Alte, daß er in jenem Jahre seine Tochter verloren, die aus der Schneegrubenbaude mit einem Fremden davongegangen sei zu unsäglichem Herzleid für ihn selbst und sein Weib. Es sei kein Zweifel mehr, in Klärchen umarme er sein Enkelkind! Und zärtlich streichelte er des Mädchens einfach gescheiteltes Haupthaar und drückte ihr einen Kuß auf Stirn und Lippen.

Das Gewitter hatte sich indes ganz verzogen, der Bergführer und Klärchen rüsteten sich zum Weitergehen.

„Jener Beamte hatte mir versprochen,“ sagte Veronika, „mir Auskunft zu erteilen, was aus dem Kinde geworden und ob er es in allen Formen Rechtens an Kindesstatt angenommen, doch hab’ ich nie eine Zeile, ein Wort von ihm erhalten.“

„Das ist alles in Ordnung, liebe Frau,“ versetzte der Bergführer; „dafür aber werde ich sorgen, daß er Ihnen noch jetzt schreibt mit seiner Namensunterschrift. Das lassen Sie meine Sorge sein – damit will ich danken für die freundliche Aufnahme.“

Draußen war alles erquickt durch das Gewitter und die Regenflut; noch rauschten die Wälder an den Berglehnen, ein verspäteter Wind schüttelte die Tropfen von den Bäumen auf die Waldblumen, die zu ihren Füßen blühten.

„Und so,“ sagte Klärchen, „hätte mein Vater kein Recht auf diesen Namen, kein Recht, über mich zu bestimmen?“

„Du irrst, mein Kind. Er hat die Rechte und Pflichten eines Vaters. Diese hat er bisher erfüllt, jene kann er für sich verlangen. Daran ändert sich nichts.“

„Nichts, gar nichts – auch nun ich dich gefunden, den Vater meiner Mutter, den Blutsverwandten, von dem ich in Wahrheit abstamme? Dem andern muß ich dankbar sein; er hat für mich gesorgt jahrelang; aber er ist doch nur ein Vater, den sie dazu gemacht haben, drüben in den Gerichtsstuben, wo man die Häuser kauft und verkauft und die Prozesse führt, und ich bin solch ein Gegenstand, über den man da verhandelt und ein Geschäft abgeschlossen hat!“

„Rege dich nicht auf, mein Kind! Es muß alles in der Welt seinen Schick haben und seine Ordnung, und was wäre aus dir geworden, wenn sich der Mann von der Burg nicht deiner angenommen hätte? Vielleicht wärst du verhungert wie hundert arme verlassene Würmer, die man nur um Gotteswillen eine Zeit lang füttert, bis man selbst es satt bekommt. Und diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0179.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2024)
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